Ariane Koch: Wie man sich in ein Sofa verwandelt

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Ist er ein Mensch oder ein Tier? Oder irgendwas dazwischen, ein Wechselwesen gar, mit seinen Pinselfingern? Bis zuletzt lässt sich nicht restlos klären, was es mit dem Gast genau auf sich hat, den die Ich-Erzählerin in Ariane Kochs erstem Roman «Die Aufdrängung» bei sich aufnimmt. Sie wohnt allein im viel zu grossen Haus ihrer Eltern, wo sie träge in den Tag hinein lebt, als sei sie selber auch nur zu Besuch im eigenen Dasein. Ihr Radius ist überschaubar, doch als sie sich das fremde Wesen ins Haus holt, gerät ihre kleine Welt durcheinander.

Die Eingesessene, die einen Fremdling aufnimmt, den sie dann als «wissenschaftliches Experiment» nach ihrem Gutdünken zu assimilieren trachtet: So weit könnte man leicht der Versuchung erliegen, «Die Aufdrängung» allegorisch zu lesen – als Versuch über dieses reiche Land und seine Gastfreundschaft, als Euphemismus für Asylpolitik verstanden. Der Text jedoch, gebaut wie ein Tagebuch, mit kurzen, ungemein dichten Kapiteln, widersetzt sich solchen einfachen diskursiven Zurichtungen. Er bleibt so enigmatisch wie der Mitbewohner, von dem die Erzählerin einmal lakonisch notiert: «Ich werde das Gefühl nicht los, dass der Gast sich von meinen Socken ernährt.»

Immer wieder blitzen solche Beobachtungen auf, die das Arrangement scheinbar ins Surreale verschieben, wobei selbst profane Haushaltgeräte ein Eigenleben entwickeln. Etwa in der Kammer mit den kaputten Staubsaugern, deren schlackernde Saugrüssel zuerst am Gast schnüffeln und später von diesem dressiert werden. Oder wenn die Erzählerin über ihre Freunde schreibt, die sie «verlegt» hat, als wären es irgendwelche Alltagsgegenstände: «Ein paar gingen in Ehen oder ähnlichen Gebilden verloren, verwandelten sich in Sofas.» Sehr eigensinniger Humor, der einen immer wieder hinterrücks erwischt. Und Sätze, die sich festhaken, die man so schnell nicht loswird in ihrer schillernden Ambivalenz: «Wenn das Haus zu brennen anfangen würde, so nähme ich zwar nichts mit, würde es aber auch nicht verlassen.»

Ariane Koch liest in Solothurn am Samstag, 28. Mai 2022, um 11 Uhr, und am Sonntag, 29. Mai 2022, um 13.30 Uhr.

Ariane Koch: Die Aufdrängung. Roman. Suhrkamp Verlag. Berlin 2021. 179 Seiten. 23 Franken