Stadtplanung: Elefanten am See

Nr. 20 –

In Zürich Wollishofen kämpft eine Allianz aus einer linken Bewegung und einem Quartierverein gegen privaten Wohnraum am See. Der Widerstand könnte für die Zukunft der ganzen Stadt wegweisend sein.

Wenn es hier Luxuswohnungen gibt, hat nicht nur die Rote Fabrik ein Problem: Das Kibag-Areal direkt neben dem Kulturzentrum. Foto: Richard Ziebold, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv

Vordergründig dreht sich dieser Konflikt um die zukünftige Nutzung eines abgehalfterten Gewerbeareals am Seeufer in Zürich Wollishofen. Doch letztlich geht es hier um die Frage, ob der mutlose Pragmatismus der Zürcher Stadtplanung überhaupt noch für utopische Ideen zu einer Stadt der Zukunft Platz lässt. Angestossen hat den Konflikt die lose Bewegung «Linkes Seeufer für alle», die dagegen kämpft, dass auf diesem Gewerbeareal dereinst Wohnungen gebaut werden dürfen. Denn diese könnten für die wertvollen öffentlichen Räume, die das Areal umsäumen, zu einer ernst zu nehmenden Bedrohung werden.

Das Areal, auf dem die Kibag AG noch bis 2030 ein Kies- und Betonwerk betreibt, ist umringt von einem vielfältigen sozialen Raum: Zur einen Seite liegt die Rote Fabrik mit ihren zahlreichen Kulturräumen; zur anderen das GZ Wollishofen und die Savera-Wiese, ein Tummelplatz für Badende, Familien oder Raver:innen; gegen die Strasse hin sind Gewerbe und Ateliers einquartiert. Die Gemeinschaften, die diese Räume bevölkern und beleben, produzieren Lärm. Wie die Erfahrungen der Roten Fabrik mit penetranten Lärmklagen hinlänglich gezeigt haben, lauert hier ein grosses Konfliktpotenzial, sollten auf dem Kibag-Areal in Zukunft luxuriöse Wohnungen mit Seesicht zu stehen kommen.

Protest zeigt Wirkung

Dass etwas in der Art zumindest einmal geplant war, liest man in den Sonderbauvorschriften, die Stadt- und Gemeinderat 2008 beschlossen haben. Weil das einst staatliche Grundstück der Kibag für einen bestimmten Zweck überlassen wurde, braucht sie für eine andere Nutzung eine Erlaubnis. Gemäss den Sonderbauvorschriften darf die Kibag auf einem Drittel des Areals Wohnungen bauen, «eine der Lage entsprechende Überbauung im oberen Wohnsegment», wie es in dem Erlass heisst. Und weiter: «Der geplante Bebauungstyp gewährleistet eine hohe Nutzungsflexibilität (Geschosswohnungen, Maisonettewohnungen oder ‹Villen› am See) und ermöglicht, dass alle Wohnungen über Seesicht verfügen.» Wenn die Kibag heute dazu befragt wird, sagt sie, es gebe aktuell keine Pläne, auf dem Areal etwas zu bauen.

Unabhängig davon, was die Begehrlichkeiten der Kibag tatsächlich sind, hat sich die Ausgangslage in den vergangenen Monaten merklich verschoben. Gerade läuft eine von der Stadt organisierte Testplanung; drei Büros arbeiten unter Anhörung der Quartierbevölkerung und der Kibag unverbindliche Entwürfe für die Gestaltung des Areals und seiner Umgebung aus. Die ersten sechs Entwürfe sehen zwar alle auch einen Wohnanteil vor. Aber auch, dass die Stadt einen Teil des Areals von der Kibag zurückkauft und frei zugänglich macht. Angestossen wurde die Testplanung von einer Motion, die Gabriele Kisker und Luca Maggi 2019 im Gemeinderat einreichten und die den Stadtrat mit einer grossräumigen Gebietsplanung beauftragt.

Bei der Testplanung dabei sind auch Aktivist:innen von «Linkes Seeufer für alle». Die zwei bisherigen Treffen haben sie als frustrierend erlebt, die zentrale Eigentumsfrage und der starke Wunsch der Quartiervertreter:innen, dass keine Wohnungen gebaut werden, seien zu lange ausgeklammert worden. Oder wie eine Aktive das beschreibt: «Die entscheidenden Fragen standen wie Elefanten im Raum – und am Schluss können wir vielleicht mitentscheiden, ob da noch drei Feuerstellen hinkommen oder ob der Kran am See stehen bleibt.»

Widerstand als Fest

Statt sich der Planungsagenda der Stadt unterzuordnen, wollen die Aktivist:innen das Nachdenken über die grossen Fragen provozieren: Was ist das überhaupt, ein Freiraum? Und was könnte an dieser unglaublichen Lage alles möglich sein? Ein Forum dafür soll auch ein partizipatives Quartierfest sein, das «Linkes Seeufer für alle», die Rote Fabrik, diverse Wollishofer Vereine, das GZ und viele weitere dieses Wochenende am Seeufer veranstalten. Das Fest ist legal, gefördert sogar aus einem Projekttopf der Stadt, aber der Gestus ist auch der einer Besetzung: Durch die Aneignung eines Raums wird die Vorstellung angeregt, was man damit sonst noch alles anstellen könnte.

Radikal sind die Forderungen der Bewegung keineswegs. Ähnliche Ziele verfolgt auch der Quartierverein Wollishofen, der nicht im Verdacht steht, eine linke Organisation zu sein. In einer kürzlich lancierten Petition fordert der Verein, «dass der gesamte Bereich am See zwischen der Badi Mythenquai und der Roten Fabrik […] als eine Freihalte- und Gewerbezone definiert wird». Mit anderen Worten: dass keine Wohnungen gebaut werden und hier weiter ein gewisser Lärmpegel möglich ist.

Fiammetta Jahreiss ist schon einige Jahre im Vorstand des Quartiervereins. Kurz nachdem sie aus Italien nach Wollishofen gekommen war, lehnte das Zürcher Stimmvolk 1986 einen gigantischen Hotelkomplex auf der Savera-Wiese ab. Mit wem sie auch im Quartier spreche, alle seien sich einig, dass hier ein Freiraum für Erholung und Kultur bleiben solle, sagt Jahreiss. «In einer Stadt, in der es immer mehr teure Yuppielokale gibt, sind solche Orte für die ganze Bevölkerung enorm wichtig. Hier am See und in der Roten Fabrik hatte ich immer das Gefühl, dass ich sein kann, wie ich will.»

Quartierfest Wollishofen: Savera-Areal, GZ und Rote Fabrik, Zürich, Samstag, 21. Mai 2022, ab 14 Uhr.

Nachtrag vom 2. Februar 2023 : Seezugang für alle!

Die frohe Botschaft steht gut versteckt im Schlussbericht, den die Stadt Zürich letzte Woche veröffentlicht hat: «Die Testplanung konnte keine überzeugende Lösung für die Integration von Wohnungen aufzeigen.» Die Rede ist vom Seeufer in Zürich Wollishofen, genauer von einem Areal gleich neben der Roten Fabrik, auf dem die Firma Kibag derzeit ein Betonmischwerk betreibt. Vermutlich verfolgte die Kibag den Plan, auf dem Areal einst Luxuswohnungen zu bauen; zumindest hat die Stadt ihr dies in einer Sonderbauvorschrift 2009 explizit erlaubt.

Gegen diese Pläne hat sich in den vergangenen Jahren die Bewegung «Linkes Seeufer für alle» formiert, weil der wertvolle Kultur- und Freiraum am See von reichen Anwohner:innen mit Ruhebedürfnis zuverlässig gefährdet würde. Die Testplanung hat die Stadt in Auftrag gegeben, um die Bedürfnisse der Quartierbevölkerung zu eruieren. Das partizipative Verfahren hat nun klar gezeigt, dass im Quartier keine neuen Wohnungen erwünscht sind: Das ist auch ein Sieg für die Gruppierung «Linkes Seeufer für alle», die die Bevölkerung mobilisiert und organisiert hat.

Sie seien positiv überrascht, dass ihre Forderungen endlich Gehör gefunden hätten, schreiben die Aktivist:innen auf Anfrage. Doch sie bleiben auch skeptisch. Das Hauptproblem, dass besagtes Areal im Privatbesitz der Kibag sei, werde weiterhin ausgeklammert: «Erst wenn das Gelände abgekauft und umgezont ist, kann darauf etwas Fruchtbares entstehen.» Tatsächlich wird im Schlussbericht begründet, wieso die Öffentlichkeit kein Anrecht auf das Land der Kibag habe, sprich: Eine Enteignung wird ausgeschlossen.

Bis im Sommer soll ein Masterplan erstellt werden, die nun abgeschlossene Testplanung ist dafür nicht bindend. Aber die Empfehlungen klingen rundum erfreulich: besserer Seezugang für die Allgemeinheit, Erhalt der industriellen Prägung, Erweiterung des Freiraums, mehr Fusswege. Ein paar entschlossene Menschen zeigen hier gerade: Kämpfe für eine schöne und solidarische Stadt können sich durchaus lohnen.