Durch den Monat mit Thomas Haemmerli (Teil 2): Wie interessant ist Ironie?

Nr. 14 –

Thomas Haemmerli: «Was an meinem Film provoziert, ist der Einblick in die vier Wände.»

WOZ: Sie bezeichnen sich selbst als radikalen Atheisten. Ist das die Voraussetzung, um den Saustall der eigenen Mutter und ihre eigenen verkrusteten Überreste zu filmen – und zu zeigen?
Thomas Haemmerli: Nein. Die grundsätzliche Frage ist die, ob man glaubt, dass jemand, der stirbt, nachher in der Lage ist, zu empfinden, was mit ihm passiert.

Hilft ein Job beim Fernsehen – Sie waren Reporter bei «10vor10» – ein abgeklärterer Mensch zu werden?
Als Journalist und Intellektueller ist mir wichtig, dass man die Dinge aus historischer Perspektive genau sagen kann. Es hat mich immer genervt, wenn Angehörige von Verstorbenen sich weigerten, ein Archiv aufzumachen, weil sie die dunklen Flecken der Person nicht zeigen wollten.

Vermutlich ging es dabei oft um politische Themen, jedenfalls um 
für die Allgemeinheit Relevantes. 
In Ihrem Fall geht es um eine Privatperson, ihre Familie und ihre Krankheit. Das ist für die Allgemeinheit nicht von grossem Nutzen.
Dieses «für die Allgemeinheit von Nutzen sein» ist ein wahnsinnig hoher Anspruch. Ich würde behaupten: Noch einmal eine Naziforschung, noch mal einer, der beweist, was das für Sauhunde waren – das ist ohne Nutzen. Was an meinem Film provoziert, ist der Einblick in die vier Wände. Hätte ich meine Mutter als Junkie oder Lesbe gezeigt, wäre es o.k. Das Messie-Thema aber braucht mehr Öffentlichkeit, damit es normal wird.

Und woher kommt Ihre Motivation, das Hässliche am Tod zu zeigen?
Der Tod ist seit der Nachkriegszeit zunehmend hospitalisiert worden und als Bild verschwunden. Seither wissen die Leute nicht, dass der Tod ausgangs meist eher eklig ist. Sie denken, es sei der Normalfall, dass man einfach entschläft. Oder noch drei relevante Sätzchen sagt. Dabei: Der Tod ist in der Regel etwas relativ Gruusiges.

Und er riecht auch übel ...
Oh ja! Boah, war das ein Gestank in der Wohnung meiner Mutter! Ich gewöhnte mir an, nur durch den Mund zu atmen.

Der Mann von Rentokil, der das Blut weggekratzt hat, trug eine Art Gasmaske. Hat er öfters derartige Aufträge?
Rentokil war die einzige Firma, die wir dazu bringen konnten, diese Arbeit zu machen. Und ich finds wichtig, zu zeigen, dass es Menschen gibt, die Leichenüberbleibsel vom Boden wegkratzen müssen. Die Frau des Arbeiters sagte mir an der Premiere, jetzt wisse sie endlich, was ihr Mann mache. Man kann nicht so tun, als existierte das nicht. Was mir übrigens auch aufgefallen ist: Es gibt die Tendenz, immer mehr auf die symbolische Ebene zu gehen und sich nicht mehr für die reale zu interessieren.

Sie sprechen von der Gesellschaft?
Ja, und von der Politik und den Medien. Als in Afghanistan Bundeswehrsoldaten mit den Knochen russischer Soldaten Faxen veranstaltet haben, ist eine Riesendebatte losgegangen, die «Bild»-Zeitung erfand den Terminus «Totenschändung». Gleichzeitig kam heraus, dass ein Soldat einem afghanischen Buben die Knarre an den Kopf gehalten hat und drohte, ihn zu erschiessen. Das ging in den Medien total unter. Ich behaupte, dass ein Haufen von Idioten sich viel mehr über symbolische Geschichten aufregt als über das, was real passiert.

Wie erklären Sie sich das?
Es gibt so einen übersteigerten Begriff von Würde im Medialen. Nicht was den Gefangenen in Guantánamo angetan wird, interessiert, sondern dass es davon Bilder gibt. Und dann gibts noch diese Schizophrenie, dass die Bilder über den Tod in der Fiction immer realistischer werden, etwa in Gerichtsmedizinalserien. Aber das Fernsehen scheut sich total – mit Verweis auf die Würde – Tote zu zeigen.

Waren Sie wütend auf Ihre Mutter, als Sie die Wohnung betreten haben?
Am Anfang war ich geschockt. Man kann ja nicht auf jemanden hässig sein, den es nicht mehr gibt.

Nein? Ein Bekannter war extrem sauer auf einen Freund, der sich das Leben genommen hatte.
Ich bin in Gottes Namen ein eher analytischer Charakter. Ich kann Distanz wahren, auch über die Ironie.

Hat Ihnen nie eine Frau gesagt, dass allzu viel Ironie auch langweilig sein kann?
Doch, klar. Ich kann eh nur mit einem Typus Frau, der selbst einen vierschrötigen Humor hat und das erträgt.

Letzte Woche hatte Ihr Film 
in Zürich Premiere. Wie fühlt sich 
ein rationaler Mensch, wenn er 
mit über hundert geladenen Gästen im Saal sitzt und die Tragödie der 
eigenen Familie präsentiert?
Fantastisch! Die grosse Erleichterung nach einer lang anhaltenden Konstipation.

Thomas Haemmerli, 43, ist Journalist 
und Filmer. Er kennt in Zürich alle 
wichtigen Leute aus Kultur und Medien und ist gerne Strippenzieher. «Sieben Mulden und eine Leiche» ist sein erster langer Film.