Der Fall Lina E.: Unter den Hemden blitzen Pistolen hervor

Nr. 32 –

Lange Zeit stockte das Verfahren gegen vier Antifaschist:innen in Dresden. Doch nun entschied sich ein ehemaliger Mitstreiter zur Zusammenarbeit mit den Behörden. Ein Zwischenstand aus dem Gericht.

Lina E. am 28. Juli im Saal des Dresdner Oberlandesgerichts
Bisher fiel der Prozess durch Ungereimtheiten auf: Lina E. am 28. Juli im Saal des Dresdner Oberlandesgerichts. Foto: Sebastian Kahnert, Keystone

Die Spannung im Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Dresden ist förmlich mit den Händen greifbar. Fast eine Stunde hat es an besagtem Donnerstag Ende Juli gedauert, bis der Staatsschutzsenat entschieden hat: Die Öffentlichkeit ist weiterhin zum Prozess zugelassen. Zuvor hatte der Anwalt von Johannes D. beantragt, Publikum und Presse von der Verhandlung auszuschliessen, sonst drohe seinem Mandanten «Gefahr für Leib und Leben».

Wie das begründet wurde, bleibt unbekannt. Die Argumente sind hinter verschlossenen Türen verhandelt worden. Doch das Gericht hat zugunsten der Öffentlichkeit entschieden, und so warten nun alle angespannt auf den dreissigjährigen Mann, der beschlossen hat, gegen seine früheren Weggefährt:innen auszusagen. Er soll sich seitdem in einem Zeugenschutzprogramm befinden.

Die ehemaligen Mitstreiter:innen, das sind vier Antifaschist:innen, deren Fall wegen «Bildung einer kriminellen Vereinigung» seit elf Monaten in Dresden verhandelt wird. Die drei Männer und die Hauptangeklagte Lina E. sollen Neonazis angegriffen haben. Bisher fiel der Prozess indes durch Ungereimtheiten auf. Die Angeklagten schwiegen. Das Verfahren stockte.

Der Auftritt des Landeskriminalamts

Nun geht im Hochsicherheitssaal in Dresden eine Tür auf. Herein kommen drei Personenschützer des Landeskriminalamts (LKA) Sachsen. Sie tragen Cargohosen und taktische Einsatzwesten, auf denen in grossen, neongelben Buchstaben «Polizei» steht. Mit ihren grob karierten, offen getragenen Hemden erwecken sie den Anschein, als ob sie ihre Ausrüstung verdecken wollten. Doch unter ihren Hemden blitzen immer wieder Pistolen hervor. Die Gesichter halten sie mit Atemschutzmasken und tief getragenen Basecaps bedeckt.

Nachdem sich die drei Beamten im Saal positioniert haben, geht an der gegenüberliegenden Seite des Raumes eine Tür auf. Herein kommen nacheinander weitere fünf Beamte. In ihrer Mitte läuft ein Mann, der sie alle um einen Kopf überragt: der Kronzeuge.

Er nimmt im Zeugenstand neben seinem Anwalt Platz, um die beiden herum im Halbkreis die drei Personenschützer. Exakt derselbe Auftritt wird sich in den folgenden Verhandlungstagen wiederholen. Nichts soll dem Zufall überlassen werden.

Bevor das Gericht mit der inhaltlichen Befragung beginnen kann, bittet Johannes D. um das Wort. Er möchte erklären, warum er sich für die Zusammenarbeit mit Verfassungsschutz und LKA entschieden hat. Grund dafür sei vor allem der öffentliche Vergewaltigungsvorwurf seiner Expartnerin gewesen, der zu seiner Ächtung in der linken Szene geführt habe. Den Vorwurf selbst bestreitet er.

Infolgedessen sei er nach Warschau gezogen und habe dort «nur sein Leben leben» wollen. Als ihn im November 2021 am Rand eines ultranationalistischen Marsches in Warschau Rechtsextreme jagten, machte er die veröffentlichten Vorwürfe seiner Expartnerin auch dafür verantwortlich. Er habe daraufhin vollends mit der Szene gebrochen und sich den Polizeibehörden anvertraut. Das gegen ihn eröffnete Ermittlungsverfahren wegen Vergewaltigung sei mittlerweile eingestellt worden.

Es kommt kurz zu einer hitzigen Diskussion, als Undine Weyers, eine der Verteidiger:innen der Angeklagten, darauf besteht, dass die Einstellung des Verfahrens nur die halbe Wahrheit sei. Die Diskussion wird jedoch vom Vorsitzenden Richter Hans Schlüter-Staats abgewürgt: Das Gericht sei zunächst nur an der Aufklärung der hier angeklagten Taten interessiert.

Als «Scout» die Leute observiert

Und so berichtet Johannes D. dem Senat von seiner Beteiligung an einem Überfall auf den Eisenacher Rechtsextremisten Leon R. im Dezember 2019. Der wurde damals von mehreren Personen vor seinem Wohnhaus verprügelt. Der Zeuge soll dabei als «Scout» die Zielperson im Vorfeld observiert haben. R.s Standort habe er an die Personen weitergeleitet, die später den Angriff ausgeführt haben sollen.

In den folgenden Verhandlungstagen bis letzten Freitag ging es entsprechend weiter: Johannes D. erzählt, er sei über die Jahre etliche Male von Lina E.s Verlobtem Johann G. als «Scout» angefragt worden. Meist ging es darum, Neonazis in Sachsen oder Sachsen-Anhalt auf ihrem Rückweg von Veranstaltungen oder Demonstrationen an Bahnhöfen anzugreifen und zu verprügeln.

Auch Lina E. belastet D. mit seinen Aussagen schwer. Sie soll beim Planen und Ausführen der Aktionen eine ebenso wichtige Rolle eingenommen haben. Diesbezüglich habe er das Paar «immer oder häufig zusammen angetroffen». Beim Angriff in Eisenach soll sie etwa als «Übersichtsperson» die Situation im Blick behalten und koordiniert haben.

Die Verteidigung der Angeklagten hat den Zeugen zwar mehrmals ermahnt, nicht zu spekulieren, aber bisher davon abgesehen, ihn eingehend kritisch zu befragen. Sie will abwarten, bis das Gericht nach der Sommerpause im September wieder tagt. Dann soll es darum gehen, wie sich Johannes D.s Zusammenarbeit mit Verfassungsschutz und LKA anbahnte. So bleiben bis auf Weiteres viele Fragen offen.