Glencore: Verfolgt, gekündigt, geräumt

Nr. 34 –

Die Kohlenminenarbeiter im Norden Kolumbiens haben sich gegen die schlechten Anstellungsbedingungen organisiert. Dem Schweizer Unternehmen Glencore passt das gar nicht.

Mitten auf der Strasse liegen Holzbalken und Steine, aufgetürmt zu einer Barrikade. Dahinter stehen etwa zwanzig Männer, Frauen und Jugendliche und versperren den Eingang zur Kohlenmine La Jagua, die dem Schweizer Unternehmen Glencore (vgl. unten) gehört. Sie tragen die gelben T-Shirts der Gewerkschaft Sintramienergética, im Hintergrund weht eine kolumbianische Fahne. Auf einem Transparent ist zu lesen: «Clase obrera unida, jamás será vencida» (Die vereinigte Arbeiterklasse wird niemals besiegt werden).

So sah es bis Samstag vergangener Woche vor den Zufahrten zur La-Jagua-Mine im nördlichen Kolumbien aus. Seit Monatsbeginn blockierten hier 117 Minenarbeiter gemeinsam mit ihren Familien die Einfahrten, nachdem sie ohne Vorwarnung eine Kündigung erhalten hatten. Sie forderten ihre Wiedereinstellung, eine angemessene Entlöhnung und das Recht auf gewerkschaftliche Organisation.

Vergangenen Samstag jedoch begann die Spezialeinheit der Polizei zur Aufstandsbekämpfung (ESMAD), einen der drei blockierten Eingänge zu räumen. 25 Protestierende wurden dabei verletzt. Am Sonntag wurde der wichtigste Weg zur Mine wieder frei, seither können wieder Lastwagen die abgebaute Kohle in den Hafen von Santa Marta fahren, wo sie von Glencore in die USA und nach Europa verschifft wird.

Estivenson Avila, der Präsident der Gewerkschaft Sintramienergética, sagt, dass es auch im Dorf La Jagua de Ibirico zu Zusammenstössen mit der Polizei gekommen sei. Der Bürgermeister bestritt dies allerdings am Telefon und versicherte, keine Räumung angewiesen zu haben. Während des Telefongesprächs waren jedoch im Hintergrund Schüsse zu hören.

Die Räumung vom vergangenen Samstag ist wohl das vorläufige Ende eines Kampfes, der im vergangenen März begann, als sich die Arbeiter der Glencore-Mine gewerkschaftlich organisierten. Die Arbeiter waren nicht direkt bei Glencore angestellt, sondern bei Temporärfirmen wie Operadores Mineros del Cesar (OMC) oder Consorcio Minero Unido (CMU), die die Minen im Auftrag von Glencore betrieben. OMC und CMU schlossen mit den Arbeitern jeweils Verträge für maximal ein Jahr ab. Bisher wurden die Verträge zwar erneuert, doch dabei waren die Arbeiter nicht vor willkürlichen Vertragsänderungen geschützt. So hatte OMC seit 2006 rund 350 Arbeiter entlassen. Die 117 Arbeiter, die im August entlassen wurden, forderten deshalb mit der Blockade der Mineneinfahrten nicht nur die Wiedereinstellung, sondern auch, dass diese direkt bei Glencore zu erfolgen habe.

Zu den schlechten Anstellungsbedingungen kam die Unzufriedenheit über den Lohn, der weitaus tiefer ist als derjenige der Angestellten des US-amerikanischen Unternehmens Drummond. Dies veranlasste die Arbeiter dazu, sich im März der Gewerkschaft Sintramienergética anzuschliessen.

Glencore beendete auf Anfang August die Zusammenarbeit mit OMC - angeblich wegen mangelnder Rentabilität. OMC war die einzige Temporärfirma, bei der es der Gewerkschaft Sintramienergética gelungen war, die Arbeiter zu organisieren. Den Protes-tierenden war sofort klar, dass dies der wahre Grund für die 117 Entlassungen in La Jagua sein musste. Der gleichen Ansicht war auch Alberto Bautista, der Vizepräsident der Gewerkschaft Sintramienergética.

Eine internationale Delegation mit VertreterInnen von nichtstaatlichen Organisationen (NGO), ProfessorInnen und GewerkschafterInnen aus Europa sowie Nord- und Südamerika besuchte eine Woche nach Beginn der Proteste die Kohlenmine La Jagua, um sich vor Ort ein Bild der Situation zu machen. Seit längerem verfolgen die NGOs Witness for Peace aus den USA oder die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ASK) die Aktivität von multinationalen Konzernen wie Drummond oder Glencore in Kolumbien. Kaum war die Delegation aus dem Bus ausgestiegen, begannen die Protestierenden Parolen zu rufen, und Gewerkschaftspräsident Avila hielt eine Rede. Die Delegation wurde regelrecht bestürmt. Alle wollten ihre Geschichte erzählen.

«Ich hätte das Kündigungsschreiben nicht entgegennehmen dürfen», erzählt eine Frau. «Die Kündigung ist illegal.» Sie könne aber nicht lesen und habe nicht gewusst, was sie entgegennehme. Also quittierte sie den Empfangsschein, ohne zu wissen, dass das die Kündigung für ihren Mann bedeutete. Die Entlassung der Arbeiter war illegal, weil die Gewerkschaft vor acht Monaten Verhandlungen für einen Gesamtarbeitsvertrag beantragt hatte. Nach kolumbianischer Gesetzgebung wären die Arbeiter damit bis zum Abschluss der Verhandlungen vor einer Kündigung geschützt gewesen. Die Firma OMC blieb den Verhandlungen fern und wurde dafür vom Ministerium für soziale Sicherheit gebüsst. Doch die Busse wurde von einer Richterin der Gemeinde La Jagua de Ibirico kurzerhand aufgehoben, obwohl dies ausserhalb ihrer Kompetenzen stand.

Die Menschen in La Jagua sind verunsichert und ratlos. Von den 117 Entlassenen weigern sich 32 Arbeiter, die Mine zu verlassen. Fünf von ihnen mussten ihren Protest aus gesundheitlichen Gründen bald abbrechen. Eine besorgte Ehefrau berichtet, dass Glencore den Männern den Strom abgestellt hatte, damit sie ihre Handys nicht mehr aufladen und nach aussen kommunizieren können. Ausserdem hätten Polizei und Militär, die vor den Minen pos-tiert waren, verhindert, dass die Arbeiter mit Lebensmitteln versorgt werden konnten.

Während sich die VertreterInnen der NGOs mit den Protestierenden unterhalten, werden diese plötzlich unruhig. «Das ist einer von denen, die uns verfolgen! Der dort, der uns die ganze Zeit filmt.» Hinter der Abschrankung, die das Firmengelände eingrenzt, steht ein Mann in Uniform, keine drei Meter von der Menschenmenge entfernt. Im Schutz des Zauns reagiert er lediglich mit einer lässigen Handbewegung. Aufgeregt berichtet Alberto Bautista, wie er und andere Gewerkschafter verfolgt werden: «Ich habe dieses Jahr bereits drei Attentate überlebt. Im Juli wurde zweimal auf mein Haus geschossen.»

4000 Morde

Bautista ist nicht der Einzige, dem solches widerfahren ist. Seit Mitte der achtziger Jahre wurden in Kolumbien rund 4000 GewerkschafterInnen ermordet (siehe WOZ Nr. 7/07). Betroffen waren in den vergangenen Jahren auch Mitglieder von Sintramienergética in der Gegend von La Jagua. So kam es 2001 zu einem Überfall auf den Präsidenten und den Vizepräsidenten der Gewerkschaft, als sie abends auf der Heimfahrt von der Arbeit waren. Der Präsident Valmero Locarno wurde auf der Stelle erschossen, der Vizepräsident Victor Orcasita entführt, gefoltert und anschliessend ebenfalls umgebracht. Das gleiche Schicksal ereilte auch Locarnos Nachfolger.

Nicht nur die Gewerkschaftsführer werden verfolgt: Die Leute vor der Mine sprechen von Einschüchterung und einer Diffamierungskampagne durch Glencore im Dorf La Jagua de Ibirico. Dazu habe Glencore eine firmeneigene Radiostation illegalerweise wieder in Betrieb genommen, sagt einer der Protestierenden. Die Radiostation sei vor einiger Zeit geschlossen worden, weil die Konzession fehlte. Glencore habe versucht, die DorfbewohnerInnen gegen die Gewerkschaft aufzuhetzen, sagt Bautista. Das sei aber nur bedingt gelungen. Ein Teil der Arbeiter, die keine Kündigung erhalten haben, solidarisiere sich mit dem Protest.

Bevorstehende Räumung

Daraufhin stattete die internationale Delegation dem Bürgermeister von La Jagua de Ibirico einen Besuch ab. Er empfing die Delegation zwar, äusserte sich aber kaum zur Situation in der Kohlenmine La Jagua. Er verwies auf eine Mitarbeiterin von Glencore, die für die Zusammenarbeit mit den umliegenden Gemeinden verantwortlich ist und die plötzlich im Büro des Bürgermeisters stand. Sie sei selber aus La Jagua de Ibirico, und es sei ein grosses Anliegen von Glencore, auf die Forderungen der Bevölkerung einzugehen, sagte sie. Es laufe bereits seit einigen Tagen ein Rekrutierungsprozess. «Leider hat sich aber keiner der Streikenden beworben.»

Mittlerweile wird mit neuen Arbeitskräften wieder Kohle aus der Mine abgebaut. Die neu eingestellten Arbeiter sind direkt von Glencore angestellt und nicht über Temporärfirmen - genau so, wie es die Protestierenden für sich gefordert hatten.

Zwei Tage nach dem Besuch bei den Familien vor den Mineneingängen erhielt die Delegation einen Anruf von Gewerkschaftspräsident Avila. Die Räumung der Blockade durch Polizei und Militär stehe kurz bevor, berichtete er. Die Bevölkerung von La Jagua de Ibirico hatte sich Anfang Februar schon einmal gewehrt. Damals protestierten sie gegen die Auswirkungen des Kohleabbaus auf ihre Gesundheit. Der Protest wurde von Polizei und Militär gewaltsam niedergeschlagen. Eine Person starb, fünfzig wurden verletzt.

Nach dem Anruf Avilas machte die internationale Delegation mit Rundschreiben auf die heikle Lage in Kolumbien aufmerksam. Die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien kontaktierte die Schweizer Botschaft in Bogotá. Sie sollte Glencore dazu auffordern, sich um eine friedliche Lösung des Konflikts zu bemühen.

Unterdessen nahm in der Gegend rund um La Jagua de Ibirico die Polizei- und Militärpräsenz zu. Die ESMAD war vor Ort und räumte am vergangenen Wochenende schliesslich eine der blockierten Minenzufahrten.

Bis Dienstag vor Redaktionsschluss hielten die entlassenen Arbeiter an ihren Forderungen fest und blockierten die Nebeneingänge zur Kohlenmine. Sie waren entschlossen, sich nicht zu rühren, bis sie von Glencore ein akzeptables Angebot erhielten. Dann wurde der Druck zu gross: Die massive Polizeipräsenz (300 Polizisten der ESMAD mit gepanzerten Fahrzeugen) liess eine Eskalation vermuten. Schliesslich ging die Gewerkschaft für die 117 Entlassenen ein Abkommen ein. 25 Arbeiter werden bei Glencore angestellt. Über das Schicksal der 92 anderen wird noch verhandelt.

Gespenstische Nummer eins

Glencore ist das umsatzstärkste Unternehmen in der Schweiz. 146 Milliarden Franken setzte der Konzern 2006 um - 50 Milliarden mehr als Nestlé. Zum Kerngeschäft der Firma gehört der Handel mit Kohle, Öl, Metallen und Agrarprodukten. Die Rekordumsätze werden nicht nur mit Produktion und Handel von Rohstoffen erreicht. Glencore ist an zahlreichen anderen Unternehmen beteiligt. So gehören der Firma etwa 35 Prozent des Bergbauunternehmens Xstrata, das in Zug seinen Hauptsitz hat - nur einen Steinwurf vom Sitz der Glencore entfernt.

Da das Unternehmen nicht börsenkotiert ist, sondern zu hundert Prozent dem Management und den MitarbeiterInnen gehört, muss Glencore keinerlei Zahlen veröffentlichen. Dadurch ist der Konzern wenig bekannt, obwohl er weltweit aktiv ist.

In Kolumbien gehören Glencore zwei Kohlenminen zu hundert Prozent: Seit 2005 die Mine La Jagua und seit 1995 die Mine Prodeco mit ihrem angegliederten Hafen Santa Marta, von dem aus die Kohle nach Europa und in die USA verschifft wird. Zudem besitzt Glencore in Kolumbien Anteile an mehreren Minen wie La Loma oder El Cerrejón.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Minenarbeiter und AnwohnerInnen in Südamerika gegen Glencore organisieren. Vergangenen Februar waren zwei Kolumbianer in der Schweiz, um direkt am Hauptsitz von Glencore in Baar gegen den Ausbau von El Cerrejón, einer der grössten Kohlenminen in Lateinamerika, zu protestieren (siehe WOZ Nr. 06/07).

Carlos Hanimann