Kippenberger

Nr. 40 –

«Wer mein Bruder war? Ein Anarchist und Gentleman, Männerbündler und Frauenfreund, grosser Bruder und kleiner Bruder, ein Alleinunterhalter, der alles, nur kein Einzelgänger war - und es am Ende vielleicht doch geworden ist.»

Solche Sätze schreibt die Berliner «Tagesspiegel»-Redaktorin Susanne Kippenberger, jüngste von vier Schwestern, über ihren Bruder, den wahrscheinlich grössten Popstar der deutschen Kunst seit dem Zweiten Weltkrieg: Martin Kippenberger. Man merkt bereits diesen wenigen Sätzen an, dass sie jemand geschrieben hat, der, bei aller Liebe und einem bis zuletzt spürbaren Leiden über den Verlust, niemals die professionelle Distanz zu seinem «Gegenstand» verloren hat. Man kann sich vorstellen, wie gut das Buch werden musste, um diesem Kaliber von Bruder einigermassen gerecht zu werden.

«Durch die Pubertät zum Erfolg», «Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen», «Jetzt geh ich in den Birkenwald denn meine Pillen wirken bald» - ein paar Titel einschlägiger Arbeiten Kippenbergers reichen vielleicht, um auch ohne Bildmaterial das enorme Unterhaltungspotenzial seiner Kunst erahnen zu können und darüber hinaus die künstlerische Rebellion gegen eine für ihn vermuffte Bundesrepublik. Martin Kippenberger betrieb sie ruhelos und mit diebischem Vergnügen.

Von der Kindheit in einem dem Kreativen sehr zugewandten Elternhaus führt uns Susanne Kippenberger in ihrer akribisch recherchierten, knapp 600 Seiten dicken, flüssig, pointiert und plastisch geschriebenen Biografie heran an die extreme, nomadische Existenzweise ihres Bruders, in der alles, jeder Exzess, jeder Witz, jede miese Kritik, jede soziale Beziehung der Kunst dienstbar gemacht wurde. Höchst spontan entstanden so viele der berühmten Plakate, Skulpturen, Bilder und Aufkleber.

Martin Kippenberger saugte am Hals seiner Freunde wie ein nimmersatter Vampir, konnte nicht gut allein sein und war doch einsam. Seiner Schwester sagte er einmal, die Menschen ohne Alkohol nicht länger ertragen zu können. Gegen den Rat der Ärzte trank er weiter, bis er im Jahr 1997 starb. Er wurde 44 Jahre alt.

Susanne Kippenberger: Kippenberger. Der Künstler und seine Familie. Berlin Verlag. Berlin 2007. 586 Seiten. Fr. 38.60