Asylpolitik: Gnadenloses Zürich

Nr. 46 –

Eine WOZ-Nachfrage liefert erstmals Zahlen: Wie viele Härtefälle die einzelnen Kantone beantragen. Wie viele abgelehnte Asylsuchende Anfang 2008 auf der Strasse stehen.

Die Gesamtzahl der Härtefälle könne er herausgeben, sagt Jonas Montani, Sprecher des Bundesamtes für Migration (BFM): 665 bewilligt, 118 hängig. Ja, er habe die Zahlen auch aufgeschlüsselt nach Kantonen. «Aber die veröffentlichen wir nicht.» In seiner Stimme schwingt mit: Es gibt dafür gute Gründe.

Noch sechs Wochen dauert es, dann tritt das revidierte Asylgesetz in Kraft. Eine der folgenreichsten Änderungen: die Ausdehnung des Sozialhilfestopps. Bisher bekamen nur jene Asylsuchenden keine Sozialhilfe, die von Beginn weg nicht ins Asylverfahren aufgenommen wurden. Sie hatten lediglich Anspruch auf Nothilfe. Neu gilt der Sozialhilfestopp auch für jene Asylsuchenden, die am Ende des Asylverfahrens einen negativen Entscheid erhalten. Selbst wenn sie mehrere Jahre in der Schweiz verbrachten: Ab dem 1. Januar 2008 erhalten sie nur noch Nothilfe. Das bedeutet: raus aus der eigenen Wohnung in die Sammelunterkunft. Und zehn Franken pro Tag für Nahrungsmittel und Hygiene.

Die Lücke, die der Teufel lässt, heisst Härtefallregelung. Lebt ein Asylsuchender mehr als fünf Jahre (vor der Revision waren es neun Jahre) in der Schweiz, kann der Kanton (nicht der Asylsuchende selbst) ein Gesuch ans BFM richten. Wird es bewilligt, erhalten die Asylsuchenden eine B-Bewilligung, mit der ihnen der Arbeitsmarkt offensteht. Die Kriterien dafür tat das Bundesamt in einem Rundschreiben Anfang dieses Jahres kund: klagloses Verhalten, guter Leumund. Soziale und wirtschaftliche Integration aller Familienmitglieder. Gute Sprachkenntnisse.

Ein Zusatz für KennerInnen der Materie: Weil die Aufenthaltsdauer das erste Kriterium ist, können die Kantone auch für Asylsuchende mit vorläufiger Aufnahme respektive solche, deren Verfahren noch läuft, eine Härtefallregelung beantragen. In diesen Kategorien werden derzeit sogar am meisten Gesuche eingereicht. Ihnen droht aber im Moment kein Sozialhilfestopp. Hier soll es deshalb nur um jene Asylsuchenden gehen, deren Antrag abgelehnt wurde. Wie vielen wird am 1. Januar die Sozialhilfe gestrichen? Für wie viele davon wurde ein Härtefallgesuch ans BFM gerichtet? Die WOZ fragte bei allen 26 kantonalen Ausländer- und Migrationsämtern nach. Aufgrund der kleinen Fallzahlen haben wir die Kantone Appenzell Ausser- und Innerrhoden, Ob- und Nidwalden sowie Schwyz und Glarus nicht berücksichtigt. Der Kanton Zug gab keine Auskunft.

Föderale Willkür

«Jedem Kanton werden die Asylsuchenden nach seiner Grösse zugewiesen. Jeder Härtefall ist aber ein Einzelfall. Die Gesuchszahlen lassen sich somit nicht vergleichen», begründet Georg Blum vom Zuger Amt für Ausländerfragen die Absage. Da mag er recht haben - sofern die Kantone alle systematisch vorgehen und die Kriterien gleich anwenden. Die Zahlen zeichnen aber ein anderes Bild: Bei den Härtefallgesuchen herrscht föderale Willkür.

Ein Vergleich unter ähnlich grossen Kantonen zeigt: Die Unterschiede sind viel zu frappant, als dass Einzelfallprüfungen den Ausschlag geben könnten. Der Kanton Zürich beispielsweise will 1200 Personen die Sozialhilfe streichen. Lediglich 4 Personen hat man beim BFM als Härtefall angemeldet. Der Kanton Waadt wiederum stoppt für 800 Personen die Sozialhilfe, für 349 Personen wurde beim BFM ein Gesuch gestellt. Ein anderes Beispiel: Der Kanton Aargau stellt 250 Asylsuchende auf die Strasse, ebenso St. Gallen. Der Aargau richtet jedoch nur 7, St. Gallen hingegen 47 Härtefallgesuche ans BFM. Das Schlusslicht und der Spitzenreiter sind ebenfalls vergleichbar: Luzern entzieht 100 Personen die Sozialhilfe und stellt keinen einzigen Härtefallantrag. In Basel-Stadt droht 65 Fällen die Streichung der Sozialhilfe. Aber für 30 wurde ein Härtefallgesuch gestellt.

Weshalb also die Unterschiede? Zum einen haben die Kantone die in Betracht kommenden Fälle unterschiedlich überprüft. Einzelne Kantone haben alle Fälle von sich aus überprüft, andere nicht. Oder sie haben zumindest alle Betroffenen in einem Brief über die Möglichkeit der Härtefallregelung informiert. Die vage Antwort des Kantons Zürich, dessen Ergebnis mit 1200 Betroffenen besonders fatal ist: «264 Fälle sind überprüft worden, wobei bei 152 der Anstoss von aussen gekommen ist.» Zum zweiten konnten sie die Kriterien selbst auslegen - der Kanton Zürich etwa verlangt nicht nur einen guten, sondern einen «absolut tadellosen Leumund». Zum dritten ist die Asylbewegung lokal unterschiedlich stark. Speziell in der Waadt, in Basel und in St. Gallen hat ihr Druck offensichtlich gewirkt. Vom willkürlichen Ergebnis nicht überrascht ist Balthasar Glättli, Sekretär der nationalen Asylkoordination Solidarité sans frontières: «Vor der Revision wurden die Härtefälle einzig auf Bundesebene geklärt. Der Einbezug der Kantone musste zur Ungleichbehandlung führen.» Zudem würden die Kantone auch finanziell taktieren: Pro Asylsuchenden mit negativem Entscheid, der aus der Sozialhilfe fällt, erhalten sie vom Bund für dessen weitere Betreuung pauschal 15 000 Franken. Sollte er abtauchen, wäre das ein guter Gewinn.

Für 4500 Sozialhilfestopp

Insgesamt werden gemäss Auskunft der Kantone 4483 Personen vom Sozialhilfestopp betroffen sein. Die Zahl deckt sich ziemlich genau mit den «Personen im Vollzugsprozess» der Asylstatistik vom September 2007. Trotzdem bleibt sie eine Momentaufnahme. Der Sozialhilfestopp ist vor allem ein Druckmittel mit dem Ziel, dass die Asylsuchenden ausreisen - oder abtauchen.

Wie die knapp 4500 zum Verschwinden gebracht werden könnten, zeigt sich im Kanton Solothurn. Der Kanton hat zwar die Härtefallregelung im Vergleich grosszügig ausgelegt. Er lässt aber die Sozialhilfe nicht bis zum 1. Januar laufen. Sondern hat sie schon im August ausgesetzt. SOS Racisme Solothurn hat darauf bereits aufmerksam gemacht - nun wird wird der Sachverhalt offiziell bestätigt. Bernhard Felder vom Departement des Innern: «Wir überführen laufend in den SH-[Sozialhilfe]-Stopp. Bis jetzt haben wir 63 Personen aus den Gemeindeunterkünften gewiesen. 38 davon sind unbekannten Aufenthaltes. 14 beziehen Nothilfe in einer kantonal geführten Unterkunft. 3 Personen wurden ausgeschafft. 1 Person ist freiwillig ausgereist. 4 befinden sich in Haft. Bei 3 Personen ist die Entwicklung unklar.»

Noch sind nicht alle Härtefallgesuche entschieden. Noch können Härtefallgesuche von den Kantonen gestellt werden. Mit Verweis auf die vorherrschende Ungleichbehandlung erst recht. Das BFM hat bis anhin auf fast alle gestellten Anträge positiv reagiert - die Betroffenen können bleiben und erhalten eine B-Bewilligung.

«Eine Kampagne muss ein realistisches Ziel haben», sagt Balthasar Glättli. «Darum ist die Beschäftigung mit den Härtefällen wichtig.» Er warnt aber auch: «Die damalige Härtefallregelung für Sans-Papiers habe der Papierlosenbewegung den Todesstoss versetzt. Statt für eine generelle Regulierung kämpfte jeder nur noch für sich. Wenn wie jetzt mit dem neuen Asylgesetz die Mauern höher gebaut werden, sollten grundsätzlich alle bleiben können, welche drin sind.»