Securitas: Lichtgestalten der Sicherheit
Angestellte der privaten Sicherheitsfirma wenden immer häufiger Gewalt gegenüber ZivilistInnen an - verurteilt wurde dafür noch keiner.
Mitte Dezember des letzten Jahres starb ein Asylsuchender aus Guinea an den Folgen einer Kopfverletzung, die er sich drei Tage zuvor bei einem Sturz aus dem Fenster der Zuger Asylunterkunft zugezogen hatte: Unbeteiligte Zeugen sagen, er sei von einem Securitas-Angestellten gestossen worden; die Securitas-Angestellten sagen, er sei gesprungen (siehe WOZ Nr. 51/04).
Am 11. Februar dieses Jahres wurde ein Asylsuchender aus Somalia von der Empfangsstelle Kreuzlingen mit einem mehrfachen Oberarmbruch ins Spital eingeliefert: Unbeteiligte ZeugInnen sagen, der Arm sei dem Asylsuchenden ohne ersichtlichen Grund brutal auf den Rücken gedreht und dabei gebrochen worden; die Securitas-Angestellten sagen, der Asylsuchende habe einem von ihnen den Ellbogen ins Gesicht geschlagen, daraufhin hätten sie ihm ordnungsgemäss den Arm auf den Rücken gedreht, der dabei anscheinend gebrochen wurde.
Am 23. März dieses Jahres knieten im Bahnhof Zürich zwei Angestellte der Securitrans - die Bahnpolizei der SBB, an der die Securitas mit 49 Prozent beteiligt ist - auf der Brust eines Schwarzen, und sprayten ihm aus weniger als zehn Zentimeter Entfernung Pfefferspray in die Augen, zwei andere versuchten die rund fünfzig PassantInnen wegzuschicken, welche die Szene beobachteten: Unbeteiligte ZeugInnen sagen, der Betroffene hätte sich am Boden kaum mehr gewehrt, der Einsatz von Pfefferspray sei ungerechtfertigt brutal gewesen; die Securitas-Angestellten sagen, sie hätten den Betroffenen - zu fünft - nicht «fixieren» können und deshalb den Pfefferspray eingesetzt.
Zeugen statt Verdächtige
«Seit ich bei der Securitas arbeite, gab es vielleicht vier oder fünf Fälle, in denen einer unserer Leute wegen eines Gewaltdeliktes angezeigt und verklagt wurde - und ich arbeite seit zwölf Jahren hier», sagt Reto Casutt, Pressesprecher der privaten Sicherheitsfirma Securitas mit Sitz in Bern. «Aber verurteilt wurde nie jemand, das heisst, unsere Leute waren unschuldig.» Casutt antwortet schnell und resolut. Er mag es nicht, wenn an der korrekten Arbeit der Securitas-Angestellten, die täglich draussen «auch für Ihre Sicherheit sorgen», gezweifelt wird. Aber hat Casutt bei den «vier, fünf Fällen» die mutmasslichen Straftaten in Zug und Kreuzlingen eingerechnet, wo ein Verfahren erst eingeleitet wurde und deshalb noch kein Urteil vorliegt? «Ah ja, stimmt, da warten wir noch auf ein Urteil. Aber ich bin sicher, unsere Leute werden auch diesmal freigesprochen», sagt Casutt.
Dass es Freisprüche gibt, kann sich auch Rechtsanwalt Marcel Bosonnet gut vorstellen. Er vertritt in beiden Fällen die Kläger - für den Todesfall in Zug sind es die Verwandten des Verstorbenen - und ist zunehmend frustriert: «Die Misshandelten haben kaum Chancen, zu ihrem Recht zu kommen, weil auch vonseiten der Polizei oder der Untersuchungsrichter immer wieder versucht wird, die Sache zu verschleppen oder zu vertuschen.» Nach dem Fenstersturz in Zug beispielsweise nahm die Polizei bei ihrem Eintreffen die Zeugen fest - auch sie Asylsuchende - statt die dringend tatverdächtigen Securitas-Angestellten. Mittlerweile ist mindestens einer dieser Zeugen ausgeschafft worden und kann an der Verhandlung keine Aussage machen. Auch im Fall Kreuzlingen agiert die Polizei mehr im Sinne der angeklagten Securitas-Angestellten denn im Sinne des Klägers: So spedierte ein Polizeibeamter einen Asylsuchenden, der eine Zeugenaussage machen wollte, kurzerhand aus dem Posten - der Zeuge hatte einen Nichteintretensentscheid und ist unterdessen verschwunden. Auch bei einem zweiten Zeugen hat es die Kantonspolizei Thurgau verpasst, die Aussage aufzunehmen, bevor er ausgeschafft wurde. Anwalt Bosonnet reichte inzwischen auch eine Strafanzeige gegen die Polizei Kreuzlingen ein: Es bestehe ein «dringender Tatverdacht der Begünstigung» im Bezug auf die Securitas. Bosonnet verlangt, dass die Kreuzlinger Polizei «nicht mehr in diese Strafuntersuchung einzusetzen» sei.
Schlecht ausgebildet
Im Zürcher Fall liegt bis jetzt noch nicht einmal eine Strafanzeige vor - diese müsste vom Betroffenen selber eingereicht werden, und das passiert kaum. «Viele wissen überhaupt nicht, dass die Securitas-Leute vieles tun, wozu sie nicht berechtigt sind, und erstatten deshalb keine Anzeige», sagt Bosonnet. Aus demselben Grund sprechen auch die ZeugInnen von solchen Vorfällen selten bis nie bei der Polizei vor. Tatsächlich ist es so, dass Securitas-Angestellte nicht mehr dürfen, als jedeR andere auch: Sie können jemanden, den sie auf frischer Tat ertappt haben, festhalten, bis die Polizei kommt. Das ist alles. Sie dürfen keine Ausweise kontrollieren (ausser in Fabrikgebäuden, wo sie das Hausrecht des Besitzers vertreten), keine Personendurchsuchungen vornehmen, niemanden aus reinem Verdacht am Weitergehen hindern und schon gar keine Gewalt anwenden. Dass es trotzdem immer wieder - vor allem gegenüber Asylsuchenden - zu Übergriffen kommt, liege unter anderem auch an der schlechten Ausbildung der Securitas, vermutet Bosonnet. «Die haben keine Ahnung vom Umgang mit fremden Kulturen oder mit Traumatisierten.» Casutt von der Securitas bestätigt, dass die Leute, die im Asylbereich eingesetzt werden, keine zusätzliche Ausbildung bekommen. «Wir überlassen es dem Kunden - also zum Beispiel dem Bund -, unsere Angestellten noch spezifisch für ihren Einsatz weiterzubilden», sagt er. Doch auch vom Bundesamt für Migration (BFM) bekommen die Securitas-Angestellten keine Zusatzausbildung. «Die Leute sind ja von der Securitas psychologisch geschult, und wenn sie Probleme mit traumatisierten Personen haben, sind sie angewiesen, das dafür angestellte Betreuungspersonal beizuziehen», sagt Mario Tuor vom BFM. Immerhin ist Martin Graf, Geschäftsführer der Securitas-Tochter Securitrans, konkreter: «Kommen uns irgendwelche Fälle zu Ohren, in denen unsere Leute Fehler gemacht haben, dann fliesst das sofort in die Ausbildung. Es ist aber unvermeidbar, dass unsere Leute Fehler machen, dass einmal ein falsches Wort fällt zum Beispiel.» Aber dass solche massiven Übergriffe wie in Zug, Kreuzlingen oder Zürich passieren, das könne er nicht glauben. «Für mich gilt immer noch die Unschuldsvermutung.»
Unbekannte Rechte
Und das Gegenteil zu beweisen, ist schwierig. Vor allem, weil die meisten dieser Fälle nur hinter vorgehaltener Hand zirkulieren. Und weil die Betroffenen häufig die sind, die in der Gesellschaft keine Lobby haben: Asylsuchende, AusländerInnen, Drogenabhängige, Obdachlose. Dahingegen sind die Angestellten der Securitas in den letzten Jahren zu einem festen Bestandteil im öffentlichen Bild der sicheren und sauberen Schweiz geworden. «Unser Auftrag steht im Sinne der Prävention. Unsere Anwesenheit soll den Leuten Sicherheit geben», sagt Casutt. Statistisch gesehen hat die Anzahl Delikte in den letzten Jahren zwar nicht zugenommen. Aber: Das subjektive Sicherheitsbedürfnis ist gestiegen. Dieses und das Unwissen über die Rechte der privaten BeschützerInnen führen offensichtlich dazu, dass sich kaum jemand wehrt, wenn Securitas-Angestellte gewalttätig werden. Und solange keines dieser Delikte verurteilt wird, hat es sie für die Öffentlichkeit nicht gegeben. Und so lange wiederum wird Securitas an ihrem Image der korrekten Lichtgestalten festhalten.