Irak: Der Kampf ums Öl

Nr. 11 –

Ein neues Ölgesetz soll helfen, die Wirtschaft anzukurbeln. Doch viele im Irak sind misstrauisch. Sie befürchten einen Ausverkauf der Ressourcen.

Der prophezeite Ölboom im Irak hat sich als Fata Morgana entpuppt. Zwar verfügt das Land weltweit über die zweit- oder drittgrössten Rohölreserven, doch Krieg, Korruption, konfessionelle Schlächtereien und die Kriminalität haben den einst mächtigen Erdölsektor in einen industriellen Zombie verwandelt. Im März 2003, vor der US-Invasion in den Irak, hatte der damalige stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz dem US-Kongress versichert, dass der Irak «seinen eigenen Wiederaufbau relativ bald selber finanzieren» werde. Und die US-PlanerInnen sagten voraus, dass sich die Ölproduktion des Iraks bis zum Jahr 2010 auf sechs Millionen Barrel am Tag verdreifachen würde (ein Barrel sind 159 Liter).

Die internationalen Ölkonzerne und der Internationale Währungsfonds (IWF) drängen seit langem auf die Verabschiedung eines neuen Ölgesetzes. Dieses soll vollumfänglich der freien Marktwirtschaft verpflichtet sein und den privaten InvestorInnen grosse Profite einbringen. Ein Entwurf des Gesetzes ist vor kurzem veröffentlicht worden; das irakische Kabinett hat ihm zugestimmt. Noch diesen Monat soll er im Parlament debattiert und verabschiedet werden.

Heikle Details umschifft

Der vorliegende Gesetzestext würde den Ölkonzernen allerdings noch keinen Freipass geben. Ein Londoner Ölanalyst nennt ihn «verdammt konfus». In den entscheidenden Punkten - die Rolle von ausländischen InvestorInnen und die Frage nach der Dezentralisierung - bleibt das Gesetz vage. In allgemeinen Formulierungen wird die staatliche Kontrolle über das Erdöl bestätigt. Ausserdem sollen alle Regionen (das sunnitische Zentrum, der schiitische Süden und der kurdische Norden) von den Öleinnahmen profitieren. Eine neu zu gründende staatliche Gesellschaft soll die Gelder proportional zu den Bevölkerungszahlen weiterleiten. Das könnte helfen, die Konflikte zwischen den drei Regionen zu deeskalieren.

Doch das Gesetz klammert viele Problemfelder aus: Die wichtigen Details sollen später von einem ebenfalls neu gegründeten nationalen Öl- und Gasrat behandelt werden. Diesem soll der Premierminister vorstehen. Mit diesem Vorgehen wird das Parlament umgangen. Und während das Gesetz ein Bündel von allgemeinen nationalen wirtschaftlichen Zielen definiert, setzt es nicht fest, wie hoch die minimale staatliche Beteiligung an einem Ölförderprojekt sein soll. Auch die Profite von ausländischen Firmen werden nicht begrenzt.

Korruption und Chaos

Unter den PolitikerInnen Iraks herrscht allgemeine Verwirrung über das neue Gesetz. Bereits haben einige ihre Opposition gegen den «Ausverkauf des Landeserbes» angekündigt. Viele PolitikerInnen wie auch ÖlexpertInnen und befragte BürgerInnen glauben zwar, dass eine ausländische Mitwirkung bei der Ölförderung hilfreich sein könnte. Niemand will aber, dass der Irak zum Sklaven von Shell, BP oder ExxonMobil wird.

Vor dem Golfkrieg von 1991 förderte der Irak rund 3,5 Millionen Barrel Erdöl am Tag. Derzeit sind es noch 2,1 Millionen Barrel. Die grossen Ölfelder liegen im Norden und im Süden des Landes. Seit der US-Invasion vor vier Jahren ist die Produktion im Norden jedoch fast vollständig zum Erliegen gekommen. Dies als Folge der ständigen Sabotage der Pipelines: 400 grössere Anschläge wurden bisher gezählt. Betroffen ist vor allem die Verbindung zwischen den Ölfeldern von Kirkuk und der Raffinerie in Baidschi sowie von dort nach dem türkischen Hafen von Ceyhan. Bei den Anschlägen wurden letztes Jahr 289 ArbeiterInnen getötet und 179 verwundet.

Das Ölministerium wird von Schiiten kontrolliert. Es ist in verschiedene Korruptionsaffären verstrickt. Viele Beschäftigte, Ölingenieure und Geologen, sind wegen Todesdrohungen untergetaucht oder aus dem Land geflohen. Letztes Jahr bewilligte das Ölministerium 3,5 Milliarden US-Dollar für Projekte wie die Reparatur der Pipelines. Wegen der miserablen Sicherheitslage und dem Mangel an ausgebildeten Technikerinnen und Managern sind bis August 2006 jedoch nur 40 Millionen US-Dollar verwendet worden.

Die irakischen Ölexporte sind derzeit auf einem sehr tiefen Stand. Der Fluss des Öls ist immer wieder unterbrochen, sodass letztes Jahr die irakische Regierung 100 Millionen US-Dollar Entschädigungen an Transportfirmen zahlen musste. Öltanker warteten tagelang im Hafen von Basra, weil die Fracht viel zu spät eintraf.

Bis Mitte 2006 waren die meisten irakischen Pipelines auch nicht mit funktionierenden Zählern ausgerüstet. In der ersten Zeit der Besatzung hatte der damalige US-Generalkonsul Paul Bremer die Installation von neuen Geräten verweigert. Weshalb, weiss niemand. Und die jetzt in Basra installierten Geräte funktionieren nicht korrekt. Die Überholung der Messinstrumente wurde vor kurzem wieder um einen Monat verschoben. AnalystInnen können die irakische Produktion nicht genau beziffern - sie zählen die Ladung der Tankschiffe zusammen.

Schmuggel im grossen Stil

Derweil floriert der Ölschmuggel, selbst mit grossen Tankern: Die Verantwortlichen lassen die Schiffe mit mehr Öl füllen, als sie in den Büchern ausweisen. Kontrolleure der Regierung werden bestochen. Auch auf dem Landweg funktioniert der Schmuggel ziemlich offen: An der irakisch-türkischen Grenze warten manchmal Hunderte von Tanklastwagen in Dreier- und Viererkolonnen nebeneinander. Die Fahrer sitzen während Tagen bei ihren Fahrzeugen, spielen Karten, trinken Tee, werkeln an ihren Motoren und warten auf einen Beamten, dem sie Bestechungsgeld bezahlen und gefälschte Formulare aushändigen, sodass sie passieren können.

Das subventionierte irakische Benzin, das nicht halb so viel kostet wie in den angrenzenden Ländern, macht den Wiederverkauf von legal im Irak erworbenem Benzin in Jordanien oder Syrien sehr profitabel. Dazu kommt, dass gemäss US-Rechnungshof rund zehn Prozent des raffinierten Treibstoffes im Irak gestohlen wird. Die nichtstaatliche Organisation Revenue Watch schätzt, dass dem Staat damit allein im Jahr 2005 rund 4,2 Milliarden US-Dollar entgangen sind. Am Ölschmuggel sollen sowohl Politiker aus den Regierungsparteien wie auch aufständische Gruppierungen verdienen.

Im Hinblick auf die Gewalt im Irak ist es jedoch erstaunlich, dass überhaupt Öl gefördert, raffiniert und exportiert wird. Die Industrie funktioniert teilweise nur dank des verzweifelten Bemühens vieler IrakerInnen, die den Anschein von Normalität wahren wollen. Ein beim Ölministerium angestellter Ingenieur, der Todesdrohungen erhalten hatte, ist statt zu fliehen mit seiner Frau in sein Büro eingezogen.

Am vorliegenden Ölgesetz hat eine kleine Gruppe von irakischen Politikern ein Jahr lang im Geheimen gearbeitet. Mitbeteiligt waren die US-Consulting-Firma BearingPoint, Botschaftspersonal der USA und Britannien sowie der US-Energieminister Samuel Bodman. Er soll angeblich einigen Ölfirmen frühere Versionen des Gesetzesentwurfes vorgelegt haben. Das Gremium stand auch unter dem Druck des IWF, der ein liberalisiertes Ölgesetz zur Bedingung für die Streichung von rund sechs Prozent der ausstehenden Staatsschulden machte.

ExpertInnen schätzen, dass der Irak zwanzig bis dreissig Milliarden US-Dollar an Neuinvestitionen braucht, um seine Ölindustrie wieder auf Vordermann zu bringen. Eine erste Anschubfinanzierung sowie technische Unterstützung von aussen würde jedoch bereits ausreichen. Danach könnte der Irak die weiteren Aufwendungen mit den Öleinnahmen selber bezahlen. Allerdings müsste der Staat seine Ingenieure davon überzeugen können, wieder zurückzukehren. Die internationalen Ölkonzerne haben an solch einem Vorgehen allerdings kein Interesse. Sie könnten die Schwäche des irakischen Staates ausnützen, um so viel Einfluss wie möglich auf den irakischen Ölsektor zu erlangen. Unterstützung erhalten sie dabei vom derzeitigen Ölminister Hussain al-Shahristani, einem prominenten früheren Atomwissenschaftler, der unter Saddam Hussein zehn Jahre lang im Gefängnis sass. Er nimmt eine starre Position zugunsten des freien Marktes ein.

Shahristani muss allerdings mit einiger Opposition rechnen. Der exilierte Ölanalyst Muhammad Ali Zainy sagt: «Für uns ist Öl ein sehr emotionales Thema.» Sein Kollege Rafik Latta von der Londoner Argus-Gruppe ergänzt: «Alle im Ölministerium sind gegen die Liberalisierung. Diese Leute führten die Ölindustrie in den Jahren, als gegen den Irak Wirtschaftssanktionen verhängt waren, sehr effizient. Sie waren stolz auf das irakische Öl.» Die grossen sunnitischen Parteien bekämpfen die Liberalisierung und Dezentralisierung des Ölgeschäftes grundsätzlich. Beide Vorhaben könnten, so befürchten sie, dem Norden und dem Süden erlauben, die Einnahmen dem sunnitischen Zentrum des Landes vorzuenthalten.

Das Öl als Fluch

Doch das Gesetz ist auch bei den SchiitInnen umstritten: «Wir trauen dem politischen Prozess nicht, der von Paul Bremer begonnen wurde», sagt Scheich Ghaith al-Temimi, der Sprecher des einflussreichen schiitischen Klerikers Muktada as-Sadr. Al-Temimi beschuldigt führende irakische PolitikerInnen des «Öldiebstahls» und der «Kollaboration» mit den Besatzern. Gegenüber einer ausländischen Beteiligung bei der Ölförderung zeigt er sich trotzdem nicht abgeneigt. Seine Haltung fasst zusammen, was wohl die Position der meisten IrakerInnen ist: «Wir begrüssen jede Investition in unsere Ölwirtschaft, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Wir wollen, dass man unser Öl fördert, aber nicht stiehlt. Wenn ein schlechtes Gesetz verabschiedet wird, leistet das ganze irakische Volk Widerstand.»

Iraks Gewerkschaft der Ölarbeiter befürchtet mit dem vorliegenden Gesetz einen Ausverkauf der nationalen Ressourcen. Die Gewerkschaft hat die irakische Ölproduktion schon früher bei Arbeitskämpfen und Protestaktionen zum Stillstand gebracht. Sie fordert die irakischen ParlamentarierInnen auf, das Gesetz zurückzuweisen.

Doch viele Iraker und Irakerinnen sehen das Öl inzwischen als einen Fluch. «Wir werden bestraft, weil Saddam das irakische Öl verstaatlichte», sagt Salim Alwan, ein Polizeioffizier in Falludscha. «Ich wünschte, wir hätten in diesem Land kein Öl», sagt Numan Hany, ein Lehrer aus Mosul. «Dann wären die USA nicht in unser Land einmarschiert, und wir könnten an den beiden grossen Flüssen und auf dem Land, auf dem schon unsere Grossväter lebten, in Würde leben.»


Der US-Amerikaner CHRISTIAN PARENTI ist Journalist und Buchautor.