Johannes Holzmann (1882 - 1914): Ein «wilder Hund»

Nr. 44 –

Am 30. Oktober vor 125 Jahren wurde er geboren. Senna Hoy, wie ihn Else Lasker-Schüler nannte, hat in seinem kurzen Leben auch in Zürich seine Spuren hinterlassen: Ein «rastloser Bohème-Anarchist», der zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist.

«In Moskau der Prinz Sascha sass sündlos gefangen sieben Jahr», schreibt Else Lasker-Schüler märchenhaft verklärend über Johannes Holzmanns letzte Lebensjahre. Die Dichterin gab ihrem Freund immer wieder neue Kosenamen, nannte ihn etwa Sascha oder - in Umkehrung seines Vornamens - Senna Hoy. Johannes Holzmann lernte sie in Berlin im Kreise der Bohème-Anarchisten kennen. Beide waren Vertraute und verloren sich doch wieder aus den Augen. Erst als Holzmann auf dem Sterbebett lag, sind sie sich noch einmal begegnet. 1913 reiste Else Lasker-Schüler nach Russland, um ihren «Spielgefährten» Senna Hoy in einem Gefängnis zu besuchen. Frei bekam sie ihn aber nicht mehr. Wenig später starb Johannes Holzmann im Alter von nur 31 Jahren an Typhus.

Johannes Holzmann wurde vor 125 Jahren am 30. Oktober 1882 in Pommern geboren. Noch vor der Jahrhundertwende kam er nach Berlin und besuchte die Jüdische Lehreranstalt, verliess das Seminar aber recht bald, um publizistisch und politisch tätig zu werden. Holzmann fand Zugang zur Berliner Avantgarde und trat - obwohl gerade erst zwanzig Jahre alt - als Redner bei Veranstaltungen auf. Erich Mühsam zollte ihm Respekt, wenngleich er die «etwas phantastische und abenteuernde Art seines Auftretens» kritisierte. Eine Porträtfotografie aus dieser Zeit zeigt Holzmann mit Strohhut und einer Zigarette im Mundwinkel. Eines seiner Pseudonyme war Catulus, was auf Latein «junger Hund» heisst, und tatsächlich war er bisweilen wild und ungestüm.

«Mit der Faust ins Gesicht»

Der Österreicher Pierre Ramus hielt Johannes Holzmann für den «rastlosesten Bohèmeproleten der anarchistischen Bewegung deutscher Zunge». 1904 begann Holzmann unter dem Namen Senna Hoy die Zeitschrift «Kampf» herauszugeben. Zahlreiche namhafte Persönlichkeiten, darunter Erich Mühsam, Franz Pfemfert, Else Lasker-Schüler und Paul Scheerbart, veröffentlichten in dieser Wochenschrift, die es auf eine beachtliche Auflage von 10 000 Exemplaren brachte. Holzmann nahm in seinen Artikeln mehrmals Partei für die revolutionären Vorgänge in Russland und berichtete von den grossen Streiks der Textilarbeiter in Crimmitschau oder der Bergarbeiter im Ruhrgebiet. Der Tonfall der Zeitschrift war provokant, und die Artikel waren oftmals aggressiv geschrieben. Natürlich machte das die Zensur aufmerksam: Beinahe jede zweite Ausgabe beschlagnahmte die Berliner Polizei. Senna Hoy wurde als leitender Redaktor überwacht, worauf dieser überaus gereizt reagierte.

Dem Polizeipräsidenten von Berlin schrieb Holzmann einen privaten Brief und drohte darin, dass er jedem, der ihn bespitzeln würde, «mit der Faust ins Gesicht schlagen» werde. Das brachte ihm eine Verurteilung zu vier Monaten Gefängnis ein. Vor der Strafe floh Holzmann nach Zürich, arbeitete dort bei der Zeitung «Der Weckruf» und propagierte die Action Directe. Wieder wurde Holzmann inhaftiert und ausgewiesen, kehrte illegal in die Schweiz zurück und tauchte schliesslich unter, indem er über die Presse die Meldung lancierte, bei einer Gefangenenbefreiung umgekommen zu sein. Seinen Nachruf im «Weckruf» schrieb er selbst: «Jetzt ist, Kameraden, keine Zeit zum Trauern und Flennen! - würde er uns zurufen. Nehmt die Äxte in die Hand und schlagt nieder, was euch hemmend in den Weg treten will!»

Der Schwindel flog auf. Es war ein missglückter Versuch, seine schillernde Person unsichtbar zu machen, und liess ihn letztlich umso selbstverliebter erscheinen. Das säte Misstrauen, auch unter den GenossInnen im eigenen politischen Lager.

Tod in Russland

Die Kritik an seiner Person liess Holzmann ganz und gar nicht kalt. Zürich kehrte er den Rücken zu. Einige Monate hielt er sich in Paris auf, wo sein Entschluss reifte, nach Russland zu gehen. «Falle ich dort, so falle ich für die Freiheit Europas», schrieb er seinem Freund Pierre Ramus im Januar 1907, «denn vom Ausgang der russischen Revolution hängt für jene viel ab.» Im April schloss sich Holzmann einer anarchistischen Föderation in Polen an, die reiche Kaufleute ausraubte, um damit ihre Organisationsarbeit zu finanzieren. Doch Senna Hoy wirkte an diesen Beutezügen nur einige Wochen mit: Ende Juni wurde er verhaftet und von einem Warschauer Kriegsgericht zunächst zu zwölf, in einem zweiten Prozess zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt.

In Deutschland versuchten Rechtsanwälte wie LiteratInnen zu intervenieren. Unter ihnen setzte sich vor allem Else Lasker-Schüler für seine Freilassung ein. In einem Brief an Pierre Ramus aus dem Jahre 1910 bittet sie um Hilfe für Senna Hoy: «Ich bin niedergeschlagen über 'Alkibiades'' Geschick ... wir wollen ihn so nennen», schreibt die Dichterin in Verzweiflung über Holzmanns Haftzustand. Später erwähnt sie in einem Brief an Karl Kraus, den Herausgeber der Zeitschrift «Die Fackel»: Vater ihres Sohnes Paul sei ein Grieche namens «Alkibiades de Rouan». Else Lasker-Schülers Sohn war unehelich, das war bekannt, und um die Vaterschaft betrieb sie ein Versteckspiel. Offensichtlich aus gutem Grund: Denn diesem Indiz folgend, war Pauls Vater niemand anderes als Johannes Holzmann, der bei dessen Geburt 1899 selbst noch minderjährig war. Dieses Geheimnis, das Else Lasker-Schüler nie preisgab, erklärt auch ihre Verbundenheit zu Senna Hoy, ihrem «Prinzen Sascha».

Else Lasker-Schüler sammelte Geld für die Reise nach Russland, und im November 1913 gelang es der Dichterin, Holzmann in einer geschlossenen Anstalt für Geisteskranke in Metscherskoje, unweit von Moskau, aufzusuchen. «Gestern sah ich Sascha, denk mal», schreibt sie in einer Postkarte an ihren Sohn. «Er grüsst dich herzlich, mein Männeken!» Nach jahrelangen Bemühungen war die russische Regierung endlich dazu bereit, Senna Hoy an das Deutsche Reich auszuliefern. Nun aber weigerten sich die deutschen Behörden, den Anarchisten ins Land zu lassen. Indessen verschlechterte sich Senna Hoys Gesundheitszustand: Er war unterernährt und an Typhus erkrankt, woran er am 28. April 1914 starb.

Erinnerung an den Spielgefährten

Senna Hoys Tod löste in Deutschland einen Nachhall aus. Karl Liebknecht stellte eine parlamentarische Anfrage über die Umstände seiner Nichtauslieferung, und Franz Pfemfert veröffentlichte in der Zeitschrift «Die Aktion» eine Senna-Hoy-Sondernummer. Literarisch hat Else Lasker-Schüler ihren Besuch in Russland in dem Prosastück «Der Malik» verarbeitetet: «Bewacht von einer Anzahl Kosaken im obersten Gewölbe des russischen Towers zu Metscherskoje fand der Malik den Freund ... ein verblutendes Morgenrot überzog zum letzten Male das wundervolle Antlitz Saschas, und Jussuf Abigail, der weinende Malik, schämte sich über den Splitter Gefahr, der er sich ausgesetzt hatte, neben der bedrohten ehernen Geduld seines liebsten Gespielen, dessen Glieder zum Gerippe abgemagert waren; in seinen Lungen frass der Bazill.»

Der Leichnam Senna Hoys wurde nach Berlin überführt und auf dem Jüdischen Friedhof in Weissensee beigesetzt. «Jede Schaufel Erde, die man auf seinen Sarg warf, warf man über mich», schreibt Else Lasker-Schüler in einem Brief an Karl Kraus. Für Else Lasker-Schüler blieb Senna Hoy ein Heiliger, der für die gepeinigte Menschheit in den Tod ging. In den «Hebräischen Balladen» widmet ihm die Dichterin den Zyklus «Meinem so geliebten Spielgefährten Senna Hoy». Ist Johannes Holzmann auch früh gestorben und sein Wirken in Vergessenheit geraten − die Gedichte von Else Lasker-Schüler haben ihn verewigt.


Else Lasker-Schüler: «Hebräische Balladen». Jüdischer Verlag, bei Suhrkamp. Frankfurt am Main 2000. 60 Seiten. Fr. 39.40