Onlineüberwachung: Überforderte Überwacher?

Nr. 31 –

Bei der vom Bund verfügten Einführung der Echtzeit-Internetüberwachung sollen auch Kleinstanbieter zu Hilfssheriffs werden. Internetprovider kritisieren die Behörden.


«Die haben zu viele amerikanische Polizeiserien geguckt», sagt ein Mitarbeiter eines Internetproviders. Er spricht vom Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr des Bundes. Kurz: ÜPF. In der Providerszene geniesst dieser Dienst einen schlechten Ruf: Er sei «technisch inkompetent», bedrohe die kleinen Firmen in ihrer Existenz und verfüge über zu viel Macht.

Der ÜPF ist das Scharnier zwischen Untersuchungsbehörden und «Fernmeldedienstanbietern». Will ein Untersuchungsrichter eine bestimmte Person überwachen, so meldet er dies dem ÜPF, dieser beschafft die Überwachungsdaten bei den Telekom-, Post- oder Internetanbietern und übergibt sie wiederum den Untersuchungsbehörden. So weit die Theorie. Am liebsten würde der ÜPF mehr oder weniger per Mausklick und in Echtzeit auf die gesamte Kommunikation von Verdächtigten zugreifen können – wie in den amerikanischen Geheimdienstserien à la «24». Vor einem Jahr deckte die WOZ auf, dass der ÜPF Internetprovider verpflichtet, Infrastruktur für die Echtzeitüberwachung des gesamten Datenverkehrs verdächtiger Kunden anzuschaffen. Nun ist die damals gesetzte Frist abgelaufen, jedoch ist kein Provider zu finden, der diese Vorgaben umgesetzt hätte. Einem Brief des ÜPF von Anfang Juli an 650 «Fernmeldedienstanbieter» ist zu entnehmen, dass die entsprechenden technischen Richtlinien bereits wieder überarbeitet werden.

Dafür macht der ÜPF im aktuellen Schreiben Druck auf die Provider, was die inhaltliche Überwachung von E-Mails und Voice-over-Internet-Protocol-Gesprächen (VoIP) angeht. Der ÜPF kündigt Kontrollen bei den Empfängern des Briefes an und droht mit Busse bei Nichtkooperation. Höchst unklar ist, wer überhaupt kooperationspflichtig ist. Selbst einzelne Kleinstprovider haben den Brief erhalten, obwohl sie bisher nie mit dem ÜPF zu tun hatten.

Die Branche übt deshalb heftige Kritik am ÜPF.

Technische Unklarheiten: Der ÜPF sei technisch «völlig inkompetent», sagt einer der Briefempfänger. «Die technischen Überwachungsrichtlinien sind nicht vollständig und nicht miteinander kompatibel.» Es sei, als ob jemand bei einem Schreiner einen Tisch auf ein bestimmtes Datum hin bestelle, aber nicht sage, wie gross und aus welchem Holz dieser gemacht werden solle. «Sitzungen mit dem ÜPF zu technischen Fragen sind Veranstaltungen voll unfreiwilliger Komik», sagt ein weiterer Insider.

Kostenexplosion: Kleinere Provider sagen, sie würden die verlangten Investitionen nicht verkraften. Allein die Infrastruktur für E-Mail-Überwachung kostet zwischen mehreren 10 000 und mehreren 100 000 Franken - je nach Grösse und Art des Providers. «Da riskiere ich lieber eine Busse, als meine Firma zu ruinieren», so der Betreiber eines kleinen Providers. «Die Richtlinien ändern sich ständig, ich wäre ja blöd, jetzt zu investieren, wenn ich in ein paar Wochen von neuem anfangen kann», sagt ein anderer Anbieter mit nur einer Handvoll KundInnen.

Demokratische Legitimation: Der ÜPF kann durch von ihm verfasste technische Richtlinien neue Arten der Kommunikationsüberwachung einführen. So werden faktisch neue Arten des Eingriffs in die Grundrechte Betroffener geschaffen, ohne dass dem ein demokratischer Gesetzgebungsprozess zugrunde liegt. Derzeit wird das Überwachungsgesetz BÜPF zwar revidiert (ein Entwurf befindet sich in der Vernehmlassung), aber statt dass er die Ergebnisse dieses Prozesses abwarte, sei der ÜPF in seinem Eifer nicht zu bremsen, so ein Kritiker: «Die sind Legislative und Exekutive in Personalunion und werden ihrerseits von niemandem ernsthaft kontrolliert.»

Die WOZ hätte den Zuständigen des Diensts Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr gerne in einem Interview mit den Vorwürfen konfrontiert. Es gab aber nur vorgefertigte schriftliche Antworten: Die Anbindung an das heutige Überwachungssystem des ÜPF funktioniere problemlos und sei mit zahlreichen FernmeldedienstanbieterInnen schon längst realisiert. Die gesetzliche Verpflichtung für die Provider, die Kosten zu tragen, bestehe seit Jahren, schrieb der ÜPF weiter. «Dass es nun zu einer Anpassung an den Stand der Technik kommt, war ebenso vorhersehbar, wie es notwendig ist.»