Kultour

Nr. 3 –

Ausstellung

Burn-out und Sonnenlicht

Der in Athen lebende Fotograf und Künstler Dimitris Michalakis ist seit vielen Jahren in den gesellschaftlichen Randbezirken unterwegs – nicht erst seit der seit 2009 andauernden Finanzkrise, die auch die Mittelschicht unter Druck setzt. Er hat in den Quartieren der ImmigrantInnen fotografiert, dokumentiert die Aktivitäten der Arbeiterbewegung und der NeofaschistInnen. Seine Langzeitstudie zeigt die Auflösungserscheinungen einer Gesellschaft an den Brennpunkten und an den kleinen und unscheinbaren Details. Es sind Dokumente eines gesellschaftlichen Zersetzungsprozesses, der in totale wirtschaftliche und emotionale Erschöpfung zu münden droht.
Ganz anders arbeitet der zwischen Brig, Zürich und Berlin pendelnde Thomas Julier: Mithilfe der Digitalfotografie, Bild- und Grafikprogrammen verleiht er seinen Arbeiten kunsthistorische und popkulturelle Bedeutungen. Er nutzt dabei gängige Motive, bringt sie in serielle Zusammenhänge und antwortet so auf die allgegenwärtige Bilderflut.
«Burnout» von Dimitris Michalakis und «Glitch in the Sunlight» von Thomas Julier in: Winterthur Coalmine, Do, 17. Januar 2013, 18.30 Uhr, Doppelvernissage. Mo–Fr, 8–19 Uhr; Sa, 11–16 Uhr. Bis 5. April 2013. www.coalmine.ch

Fredi Bosshard

Hafencity Hamburg

In Hamburg wird momentan an zwei der bedeutendsten Stadtentwicklungsgebieten Europas gebaut. Die Hafencity, eine zentral gelegene ehemalige Hafen- und Industriefläche an der Elbe, wandelt sich zu einem Stadtquartier für gehobenes und genossenschaftliches Wohnen und Arbeiten, verbunden mit einem szenigen Freizeitangebot. Die vom Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron geplante Elbphilharmonie gehört dabei zusammen mit dem Flughafen Berlin Brandenburg zu den deutschen Grossbaustellen, die um Platz eins bei den Baukostenüberschreitungen wetteifern. Momentan hat Berlin die Nase vorn, an zweiter Stelle steht das Bahnprojekt Stuttgart 21, die Elbphilharmonie folgt auf Platz drei.
Parallel zur Hafencity erhält der eher vernachlässigte Stadtteil Wilhelmsburg ein neues Gesicht. Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) sollen soziale, kulturelle und energetische Projekte Antworten auf drängende städtebauliche Fragen der Metropolen geben. Dabei spielen erneuerbare Energien, die zu umweltgerechten Lösungen führen, eine zentrale Rolle. Die Wanderausstellung «Stadt neu bauen – Eine Reise in die Metropole von morgen» vermittelt erste Eindrücke von bereits Gebautem und ermöglicht Ausblicke auf das Geplante.
«Stadt neu bauen – Eine Reise in die Metropole 
von morgen» in: Zürich ETH Zentrum, Haupthalle, 
Mi, 23. Januar 2013, 18 Uhr, Eröffnung im Auditorium Maximum. Bis 14. Februar 2013. 
www.ausstellungen.gta.arch.ethz.ch

Fredi Bosshard

Theater

«Detektivgeschichte» von Imre Kertesz

Antonio Martens, ein Scherge, legt nach dem Sturz eines fürchterlichen Willkürregimes Rechenschaft ab: Es geht um die Akte Salinas, den tragischen Fall eines Vaters und eines Sohns, die als Unschuldige von den Handlangern einer korrupten Diktatur getötet wurden.
Seine Erzählung «Detektivgeschichte» hat der Literaturnobelpreisträger Imre Kertesz in einem fiktiven lateinamerikanischen Land angesiedelt. Der Inhalt aber ist keineswegs aus der Luft gegriffen: Kertesz, 1929 in Budapest geboren, verarbeitet darin seine Erlebnisse unter dem Nationalsozialismus wie auch unter dem Kommunismus. Wegen seiner jüdischen Herkunft wurde Kertesz 1944 als Fünfzehnjähriger über Auschwitz ins Konzentrationslager Buchenwald und in dessen Aussenlager Wille verschleppt. Nachdem er im April 1945 befreit worden war, kehrte er nach Budapest zurück, wo er ab den frühen fünfziger Jahren als Autor und Übersetzer arbeitete. Doch auch im kommunistisch regierten Ungarn wurde er in seiner Tätigkeit als «freier» Schriftsteller massiv eingeschränkt.
Die kammerspielartige Parabel auf ein Willkürregime aus der Perspektive eines opportunistischen Geheimpolizisten (dargestellt von Thomas Sarbacher) wird nun in einer Schauspielfassung von Regisseur Peter Schweiger im Zürcher Theater Sogar auf die Bühne gebracht.
«Detektivgeschichte» in: Zürich Theater Sogar, Do, 17. Januar 2013, 20.30 Uhr (Premiere) sowie Fr–So, 18.–20., Mi–So, 23.–27. Januar 2013, 20.30 Uhr 
(sonntags jeweils um 17 Uhr).

Adrian Riklin

«Kreuzzug der Schweine»

«Kreuzzug der Schweine», die neuste Produktion des Figurentheaters Vagabu, basiert auf einem satirischen Text des Schauspielers und Musikers Pierre Cleitman. Sie erzählt die abenteuerliche Flucht zweier Schweine, die entdeckt haben, dass der hohe Wellnessfaktor, mit dem ihr Alltag in der Schweinefarm gesegnet ist, direkt zur Schlachtbank führt. Auf ihrer Flucht bleiben den beiden Enttäuschungen nicht erspart. Immerhin landen sie nicht im Schlachthof …
In der Inszenierung der Pariser Regisseurin Isabelle Starkier verbinden sich Schauspiel und Figurentheater: Dreissig Schweine, ein Akkordeon spielender Professor (Pierre Cleitman) und seine beiden Assistenten (Marius Kob und Christian Schuppli) erzählen diese Fabel voller Sarkasmus und Ironie. Für die Klanglandschaften ist der Komponist Leo Hofmann verantwortlich.
Im Anschluss an die Aufführung vom 19. Januar wird der Historiker Peter Haenger ein Publikumsgespräch moderieren. Nach den Uraufführungen in Basel wird das Stück auch in Riehen, St. Gallen, Zürich und Stuttgart gezeigt.
«Kreuzzug der Schweine» in: Basel H95 Raum für Kultur, Premiere: Mi, 16. Januar 2013, 20 Uhr, weitere Daten siehe www.vagabu.ch ; in: Riehen Saal der Musikschule Sa, 2. Februar 2013, 20 Uhr, So, 3. Februar 2013, 17 Uhr. www.kulturbuero-riehen.ch

Adrian Riklin

Ölspuren

Das Erdöl: Es beschäftigte das Schweizer Künstlerpaar Christina Hemauer und Roman Keller schon in seinem Dokumentarfilm «A Road not Taken», der 2010 in den Schweizer Kinos zu sehen war. Der Film zeigt anhand einer Spurensuche auf, wie 1979 der US-Präsident Jimmy Carter Sonnenkollektoren auf das Weisse Haus montieren liess – als symbolischer Aufbruch ins postfossile Zeitalter. Damals standen die USA unter dem Eindruck der Ölkrise von 1973. Doch Carters Nachfolger, Ronald Reagan, liess die Kollektoren 1986 demontieren.
Das Erdöl beschäftigt Hemauer und Keller auch in ihrem neusten Projekt: «Schwache Ölspuren im Sandstein – Days of an Elapsed Future» heisst die aktuelle Ausstellung der beiden Kunstschaffenden, die im Walcheturm in Zürich zu sehen ist. In Videos, Bildern, Installationen und Tonaufnahmen erkunden sie die Verheissungen und das Leid, die Erdölfunde mit sich bringen. Durch geologisch-historische Schichten einer erfolglosen Bohrung um 1925 in Tuggen, Schwyz, gelangen sie nach Marfa, Texas, wo ein Spielfilm über den Öltycoon J. R. gedreht wird.
«Schwache Ölspuren im Sandstein – Days
of an Elapsed Future» in: Zürich Walcheturm,
 Mi–Fr, 14–18 Uhr; Sa, 14–17 Uhr. Bis 2. März 2013. 
www.walcheturm.ch

Silvia Süess

Film

Tour de Lorraine

«Drecksgeschäfte» – so lautet der Titel der diesjährigen Tour de Lorraine. Gemeint ist der Handel mit Rohstoffen. Die Schweiz, die als Standort diverser Rohstoffkonzerne grosse Umsätze erzielt, zeigt sich hier in einem äusserst schlechten Licht. Wie jedes Jahr gibt es an der Tour de Lorraine in mehreren Berner Lokalen, die mehrheitlich im Lorrainequartier zu Hause sind, Diskussionen, Konzerte und Filmvorführungen.
Einen spannenden Filmzyklus zum Thema präsentiert das Kino in der Reitschule. Verschiedene Dokumentarfilme aus aller Welt zeigen die Folgen, die unsere Gier nach immer mehr und immer billigeren Rohstoffen hat. In «Blood in the Mobile» macht sich der dänische Filmemacher Frank Poulsen als Besitzer eines Nokia-Handys auf den Weg in die Demokratische Republik Kongo, wo ein Grossteil der Minerale, die für die Herstellung von Handys notwendig sind, herkommen. Er will herausfinden, ob er als Handybesitzer den Konflikt im Kongo unterstützt – und stösst auf schreckliche Tatsachen.
Auch das Dorf Rosia Montana in Rumänien leidet unter seinem Rohstoffreichtum: Unter dem Dorf lagern die grössten Goldvorkommen Europas. Fabian Daub dokumentiert in seinem Film «Rosia Montana – Dorf am Abgrund», wie das Dorf zerstört wird und wie der Widerstand dagegen wächst. Der Film wird in Anwesenheit des Regisseurs und einer Aktivistin vorgeführt. Weitere Filme der Reihe sind «Was übrig bleibt» von Andreas Gräfenstein, «Operación Diablo» von Stephanie Boyd, «Sambia: Wer profitiert vom Kupfer?» von Alice Odiot und Audrey Gallet, «Hammer and Flame» von Vaughan Pilikian und Justin Meiland, «Arte a la deriva y derivados del petróleo» von Grégory Lasalle und «Tout l’or du Monde» von Robert Nugent.
Tour de Lorraine in: Bern verschiedene Lokale, 
Do–Sa, 17.–19. Januar 2013. Filmzyklus im Kino in der Reitschule, Fr, 18., bis Sa, 26. Januar 2013. 
www.tourdelorraine.ch

Silvia Süess