Kultour

Nr. 26 –

Festival

Belluard Bollwerk

«Dreissigjährige wurden in den Achtzigern geboren. Dreissigjährige kaufen ihre Möbel nicht nur bei Ikea. Dreissigjährige haben eine ordentliche Versicherung. Dreissigjährige haben eine elektrische Zahnbürste. Dreissigjährige haben Rückenschmerzen.»
Dies ist im Programmheft des Festivals Belluard Bollwerk International zu lesen. Denn: Das spartenübergreifende Festival in Fribourg feiert dieses Jahr seine 30. Ausgabe. 1983 wurde es von den drei Freunden Claude-Alain Gallet, Klaus Hersche und Pierre-Alain Rolle gegründet. Seit damals produziert und präsentiert das Festival während zehn Tagen rund zwanzig Projekte aus verschiedenen Kunstdisziplinen.
Das diesjährige Plakat ist eine Hommage an die Achtziger: Ein Jüngling mit löwenhafter Föhnfrisur, einem Chow-Chow-Hündchen im Arm und mit nacktem Oberkörper lächelt lieblich in die Kamera. Doch das Belluard betreibt zwar ein bisschen Nostalgie, aber es blickt auch in die Zukunft. Anlässlich des Jubiläums suchte man künstlerische Projekte, die sich mit «Future Nostalgia» auseinandersetzen. Aus 670 Eingaben wurden fünf internationale Projekte ausgewählt. Die Anthropologin aus der Zukunft, Kapwani Kiwanga, berichtet in ihrem zweiteiligen Vortrag «Afrogalactica» über den Einfluss der afrofuturistischen Bewegung auf die Raumfahrtbehörde der Vereinigen Staaten von Afrika und von der Entwicklung der Geschlechter und ihren Auswirkungen auf intergalaktische Gesellschaften. Hannes Bär und Jonas Oehrli lassen die verschwundene Welt der Videospielhallen wiederaufleben.
Neben den fünf Gewinnerprojekten sind auch dieses Jahr mehrere Eigenproduktionen des Festivals zu sehen – Performances, Konzerte und Theater.

Silvia Süess

Festival Belluard Bollwerk International in: Fribourg verschiedene Orte, Fr, 28. Juni, 
bis Sa, 6. Juli 2013. Festivalkassen Bollwerk und Ancienne Gare. www.belluard.ch

Aus dem Hinterhalt

Das Hinterhalt-Festival in Uster findet bereits zum dritten Mal statt. Die Umgebung wechselt jeweils, und dieses Jahr werden Einheimische und Gäste mit einem illustren Programm in einen Hinterhalt entführt, der zu den ältesten Teilen der Stadt gehört. Rund um das Kulturhaus Central finden auf verschiedenen Plätzen, in versteckten Winkeln und Nischen Konzerte, Lesungen, Kleintheatervorführungen, Performances und Filmvorführungen statt.
Aus Bern reist die lautstarke Rapperin Steff la Cheffe an und bringt gleich etwas «Tanz dich frei»-Feeling mit. Die beiden Walliserinnen Erika Stucky und Sina präsentieren ihr sinnlich-verspieltes Programm, und die Weyermann-Brüder Luke und Adrian finden für das Festival als The Weyers in ihre alte Heimat zurück. Der Gitarrist Mathias Kielholz bringt mit seinem Trio das Programm «Swiss Love Songs» im «Central» zur Uraufführung, und Zapzarap spielen Musik für die ganze Familie.
Das Künstlerpaar Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger, das eben den «Nationalpark» ins Kunstmuseum Chur gezaubert hat, verwandelt auch Teile von Uster in einen «wundersamen Garten». Sie schaffen so ein Biotop für den Drehleierspieler Matthias Loibner aus Wien, der an allen drei Tagen des Sommerfests präsent ist.

Fredi Bosshard

3. Hinterhalt Festival in: Uster Kulturhaus Central und Umgebung, Fr, 28., bis So, 30. Juni 2013. 
www.hinterhalt.ch

Tanztheater

Eisbär

Magnetische Kräfte wirken, die Körper der Tanzenden werden angezogen und wieder abgestossen. Das Spannungsfeld wird in vom Meer umspülter polarer Kälte aufgebaut. EinzelgängerInnen treffen auf das Rudel.
Die jungen TänzerInnen des Physical Dance Theater von Marcel Leemann bringen mit «Eisbär» physisch Auseinandersetzungen auf die Bühne. Sie lassen sich unter kundiger Leitung des Choreografen Leemann von eigenen Erfahrungen inspirieren, pendeln zwischen Isolation und Interaktion. Musikalisch unterstützt werden sie dabei von der irrwitzigen elektronischen Musik des schweizerisch-japanischen Freundschaftsprojekts Tim & Puma Mimi.

Fredi Bosshard

Marcel Leemann Physical Dance Theater «Eisbär» in: Bern Dampfzentrale, Fr, 28. Juni, 20 Uhr, Premiere. Sa, 29. Juni, 20 Uhr; So, 30. Juni 2013, 19 Uhr. www.dampfzentrale.ch

Konzert

Eine Stimme zum Butterschmelzen

Er war mal eine Teenagersensation: Mit fünfzehn Jahren verlieh Steve Winwood der britischen Spencer Davis Group eine Stimme, wie wenn da ein schwarzer Soul- und Bluessänger aus dem Mississippidelta seinen Liebesschmerz in einer ungerechten Welt erklingen lasse. Nach ersten Hitparadenerfolgen gründete Winwood als Organist 1967 mit Traffic einen Vorläufer des Progrocks und war bei Blind Faith, der ersten Supergroup der Rockgeschichte, mit Eric Clapton tätig sowie bei der urwüchsigen Ginger Baker’s Air Force. Tja, das waren noch Zeiten.
1977 begann Winwood eine Solokarriere als Multiinstrumentalist, immer gepflegt, immer gefühlvoll, aber zurückhaltend in der Aufnahme neuer Einflüsse und radikalerer Ideen. Über die Jahre hinweg gesprenkelt veröffentlichte er neun Alben, war dazwischen immer wieder als begehrter Studiomusiker tätig. Nach drei Jahren kehrt er jetzt für ein einziges Konzert in die Schweiz zurück. Schmeichelhaftes für Ohr und Seele garantiert.

Stefan Howald

Steve Winwood in Zürich Volkshaus. 
Di, 2. Juli, 20 Uhr.

Ausstellung

Against Expectation

Wie stellen wir uns einen praxisnahen Kunstraum vor? Wie kann der Druck der Produktivität der Spektakelgesellschaft gemindert werden, und wie können dadurch neue kulturelle und künstlerische Zusammenhänge und Experimentierfelder entstehen?
Diesen Fragen stellen sich die Kuratoren des Ausstellungsraums Counter Space in Zürich. Ihr Ziel ist es, Kriterien zur Bestimmung eines praxisnahen Orts für Kunst herauszuarbeiten und in einen aktuellen Diskurs zu stellen.
Der Kurator Angelo Romano und der Künstler Tashi Brauen gründeten den Counter Space 2012. Es soll ein Raum sein, in dem künstlerische und kulturelle Projekte aus verschiedenen Regionen zu sehen sind, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen, sowie ein Raum, in dem Kunst entstehen kann.
«Against Expectation» heisst die neue – und zweite – Ausstellung, die im Counter Space zu sehen ist. Im Rahmen der Projektserie «Memory of Eisenbart» gibt sie Einblicke in das gemeinsame Schaffen der beiden Schweizer Künstlerinnen Efa Mühlethaler und Françoise Caraco. Die beiden Frauen arbeiten vor Ort: Sie recherchieren und sammeln Informationen und Daten von der Umgebung, registrieren und speichern sie und halten sie vor Ort fest, um sie dann auszuwerten. Der Ausstellungsraum wird zum Labor.

Silvia Süess

«Against Expectation» in Zürich Counter Space, 
Do, 27. Juni 2013, 18 Uhr, Vernissage. Die Ausstellung dauert bis Sa, 13. Juli 2013. Do–Sa, 15–20 Uhr. 
www.counterspace.ch

Das Buch lebt!

Was wäre vergleichbar dem sinnlichen Blättern in einem schönen Buch? Gerade solch ergötzliches Tun soll allerdings vom Aussterben bedroht sein. Und es stimmt ja, Wikipedia wirft jedes gedruckte Lexikon in den Abfallkübel der Geschichte. Oder doch nicht? Vielleicht wäre ja eine Arbeitsteilung der Mittel möglich. Indem sich die Buchproduktion auf ihre Stärken besinnt: das Haptische, die Gestaltung.
Tatsächlich: Das schöne Buch lebt. Für den jährlichen Wettbewerb des Bundesamts für Kultur (BAK) zu den schönsten Schweizer Büchern ist letztes Jahr eine Rekordzahl von 450 Büchern eingereicht worden. Davon hat das BAK jetzt 19 ausgezeichnet. Natürlich dominieren Kunstbücher, und man findet Mehrfachnennungen für einschlägige Verlage wie Scheidegger & Spiess, Edition Patrick Frey oder die englischsprachigen Produktionen der Rollo Press. Aber auch ein Spezialunternehmen wie die Druckerei Odermatt in Dallenwil ist für drei Titel verantwortlich.
Ausgestellt sind die Titel für drei Tage im Zürcher Helmhaus. Doch wer blättert, will womöglich auch besitzen. Deshalb werden alle ausgezeichneten Titel der letzten Jahre zum Verkauf angeboten. Zudem präsentieren sich am Samstag verschiedene Verlage mit ihrem neusten Programm. Am Sonntag, 30. Juni, um 11 Uhr wird Paul Barnes, Typograf und visueller Gestalter aus London, einen Vortrag über «Designing letters» halten. Ab August wird die Ausstellung dann durch verschiedene Schweizer Städte reisen.

Stefan Howald

«Die schönsten Schweizer Bücher 2012» in: 
Zürich Helmhaus, Do, 27. Juni 2013, ab 18 Uhr, Vernissage. Ausstellung: Fr, 28., bis So, 30. Juni 2013, 11–20 Uhr. Vortrag Paul Barnes: So, 30. Juni 2013, 11 Uhr.
 www.swissdesignawards.ch/beautifulbooks