Kultour

Nr. 2 –

Ausstellung

Unerwünscht

Wie bei allen illegalen ImmigrantInnen ist Godwins Situation paradox: Um Geld zu verdienen, muss er sein Gesicht jeden Tag in der Öffentlichkeit zeigen. Um nicht von der Polizei entdeckt zu werden, muss er unsichtbar bleiben. Seine Reise begann in Nigeria, gestrandet ist er schliesslich in Neapel, wo er nun Topflappen auf der Strasse verkauft, um zu überleben. Erwünscht ist er weder dort noch sonst wo in Europa. Trotzdem taucht er plötzlich überall in europäischen Städten auf: in Hauseingängen, an Strassenecken und Fassaden. In Zürich etwa wurde er vor dem Café Collana beim Opernhaus und an der Tramhaltestelle beim Limmatplatz gesichtet.

2011 startete der Künstler Georg Klein ein Projekt, das Godwin als Stellvertreter unzähliger illegaler MigrantInnen in Europa sichtbar machen soll. Menschen aus ganz Europa schicken ihm Fotos von Orten, an denen sie Godwin gerne sehen würden. Klein schickt ihnen eine Fotomontage mit einem Foto von Godwin vor dem gewünschten Hintergrund zurück. Diese Plakate hängen die Menschen an die fotografierte Stelle, sodass Godwin sich fast unmerklich in den Hintergrund einfügt. Über einen QR-Code auf den Plakaten können PassantInnen Godwins Geschichte hören.

Wer Godwin helfen will, in das Bewusstsein der PassantInnen zu gelangen, kann sich am Projekt beteiligen und ein Foto vom gewünschten Hintergrund an godwin@georgklein.de senden – Anregungen gibts in der aktuellen Ausstellung in Zürich, wo eine Auswahl der einzigartigen Plakate zu sehen ist.

«Tracing Godwin» in: Zürich Kunsthaus 
Aussersihl/OG9, Lagerstrasse 98/99, 4.–29. Januar 2014.

Anina Ritscher

Security

Der 1969 in Lausanne geborene Fotograf Marc Renaud beschäftigt sich seit zehn Jahren mit dem Thema Sicherheit. Nun hat er verschiedene Aspekte seiner Sicht auf dieses Phänomen unter dem Titel «Security – eine Trilogie» zusammengefasst. Im ersten Teil «Security» befasst er sich mit den posttraumatischen Aspekten nach dem 11. September 2001 in New York und zeigt Arbeiten, die dort 2003 und 2004 entstanden sind. «Security in Blue», zwischen 2007 und 2010 entstanden, beschäftigt sich mit den blauen Beleuchtungen, die zu Nachtzeiten die Drogenszene aus Nischen, WC-Anlagen und Hauseingängen fernhalten sollen. Im letzten Teil der Trilogie wendet er sich verschiedenen eingeübten Katastrophenszenarien zu, die er als Formalisierung einer kollektiven Angst begreift.

Marc Renaud «Security – eine Trilogie» in: Basel Galerie Eulenspiegel, Do, 9. Januar 2014, 17 Uhr, Vernissage. Di–Fr, 9–12, 14–18 Uhr; Sa, 10–16 Uhr. Bis 8. Februar 2014. www.galerieeulenspiegel.ch

Fredi Bosshard

Konzert

Holländischer Witz

Han Bennink ist eine der Gründerpersönlichkeiten der holländischen Jazzszene. Vor fünf Jahren hat Bennink erstmals den Zürcher Kunstraum Walcheturm bespielt. Das ist wörtlich zu nehmen. Wie ein Derwisch sauste er durch den Raum, trommelte auf Stühlen, an Wänden und auf Lüftungskanälen. Er bearbeitete Holzpfosten und nutzte den knarrenden Holzboden als Perkussionsinstrument.

Beim International Quartet, mit dem Bennink unterwegs ist, steht der Swing weit oben, ohne dass die Musiker deswegen gleich nostalgisch werden. Die holländischen Qualitäten schlagen voll durch, übertragen sich auch auf den US-amerikanischen Posaunisten Ray Anderson aus Chicago. Gemeinsam mit dem Altsaxofonisten Paul van Kemenade rufen sie schon mal nach den musikalischen «salt peanuts». Zu van Kemenades gut im Bebop geerdeten Alttönen lässt Anderson sein Horn äusserst fintenreich und warm erklingen, setzt messerscharfe Akzente. Der «walking bass» von Ernst Glerum bereitet den Boden für musikalische Höhenflüge. Meist spielen sie eigene Kompositionen – und wenn sie ganz gut drauf sind, spielen sie auch noch die wunderbare Hymne «Song for Ché» des Bassisten Charlie Haden.

International Quartet, feat. Ray Anderson, Paul van Kemenade, Ernst Glerum & Han Bennink in: Zürich Kunstraum Walcheturm, So, 12. Januar 2014, 20.30 Uhr. www.taktlos.com

Fredi Bosshard

Festival

Norient

Mit einer russischen Nacht startet das diesjährige Norient-Festival. Das Musikfilmfestival findet bereits zum fünften Mal in Bern statt und bietet neben acht Filmen auch ein ausgewähltes Musikprogramm. Der Eröffnungsfilm «Pussy Riot. A Punk Prayer» dokumentiert die Ereignisse um die russische Punkband Pussy Riot, deren Mitglieder 2012 nach ihrem Punkgebet in einer russisch-orthodoxen Kirche verhaftet wurden. Ende Dezember 2013 wurden die beiden letzten Verhafteten, Maria Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa, freigelassen. Die Regisseure Mike Lerner und Maxim Pozdorovkin verfolgen den Fall «Pussy Riot», dokumentieren die Befragungen der vier Frauen vor dem Richter und besuchen die Eltern der Sängerinnen.

Am Freitag stehen Algier und Kairo im Zentrum des Festivals. Nach den Filmen «El Gusto» von Safinez Bousbia über die Chaabi-Musik in Algier und «Electro Chaabi» von Hind Meddeb über den neuen Massensound aus Kairo findet in der Turnhalle im Progr die erste «Kairo Elektro Sha’abi Clubnacht» in der Schweiz statt. Der Samstag schliesslich steht unter dem Motto «Pulverfass globale Musik: mexikanische Drogenmusik, Ghana Hysterie und eklektische DJ-Culture». Ein vielfältiges Programm sowie eine grosse Abschlussparty sind garantiert.

5. Norient Musikfilm Festival in: Bern 
Kino in der Reitschule, Frauenraum der Reitschule und Turnhalle Progr. Do–Sa, 9.–11. Januar 2014. 
www.norient.com

Silvia Süess

Ausstellungen

Photobastei

Im Zürcher Haus zur Bastei, das Anfang der fünfziger Jahre vom Architekten Werner Stücheli geplant wurde, wird momentan einiges «zurückgebaut». Allerdings nur so weit, dass bis September 2014 eine Zwischennutzung möglich wird. Das neungeschossige Haus am Zürcher Schanzengraben diente einst einer Bank als Bürogebäude. Die zentrumsnahen Arbeitsplätze wurden an die Peripherie verlegt, damit sich die Angestellten im meditativen Pendeln üben können.

Für acht Monate werden nun unter dem Namen «Photobastei» gegen 1500 Quadratmeter als Ausstellungsfläche für zeitgenössische Fotografie zur Verfügung stehen. Der Zürcher Kurator Romano Zerbini, der seit Ende der neunziger Jahre den Swiss Photo Award und die EWZ-Selection organisiert, bespielt im Ganzen sieben Etagen an der Bärengasse. Die unteren beiden Stockwerke sind renommierten FotografInnen für kuratierte Grossausstellungen vorbehalten. Den Anfang macht der Magnum-Fotograf Paolo Pellegrini. Auf ihn folgen René Groebli, Henry Leutwyler, Jim Rakete und Diana Scheunemann.

Der grössere Teil des Hauses ist aber für kleinere Ausstellungen vorgesehen: FotografInnen, Gruppen, Stiftungen, Agenturen und Hochschulen können die Räume gegen Miete wochenweise für ihre Statements nutzen. Die Vernissagen finden jeweils donnerstags statt und machen die Veränderungen in der «Photobastei» sichtbar.

Parallel zur Ausstellung wird mithilfe von Sandbox Gallery, einer Software, mit der sich ein virtueller dreidimensionaler Raum konzipieren lässt, der reale Raum nachgebaut. In diesem können die MieterInnen ihre individuellen Ausstellungen auf virtueller Ebene gestalten und über die Ausstellungsdauer hinaus in einer Wolke schweben lassen.

«Photobastei» in: Zürich Bärengasse 29, 
Eröffnung im Januar 2014. Mo/Di, 12–21 Uhr. 
Bis 1. September 2014. www.photobastei.ch

Fredi Bosshard

Lachende Würste

In den dreissiger Jahren eroberten zunehmend Markenartikel die Regale der Lebensmittelgeschäfte und Dorfläden. Sie verdrängten die anonyme Stapelware. 1945, nach Kriegsende, folgten die ersten Selbstbedienungsläden. Die KundInnen mussten sich selbst über Produkte informieren. Damit sie dabei die Orientierung nicht verloren, wurde mit Werbung etwas nachgeholfen.

Der französische humoristische Zeichner Marius Rossillon alias O’Galop entwarf mit Bibendum bereits 1898 eine Figur, die menschenähnliche Züge aufwies und für Autopneus warb. Jahre später verlor Bibendum seinen Namen und wurde als Michelin-Männchen weltbekannt. Die Idee der «beseelten Produkte» wurde in den dreissiger Jahren wieder aufgenommen, und Bibendum feierte in vielerlei Gestalt Auferstehung. Als roter Wollstrang warb ein Torwart für Schaffhauser Wolle. Er angelte sich mit Schiebermütze auf dem Kopf den Ball, der ein Wollknäuel war.

Der bekannte Grafiker Herbert Leupin schuf 1949 die lachende Wurst, die auf die Produkte der Metzgerei Ruff aufmerksam machte. Ein abenteuerliches Teigwarenmännchen balancierte einen dampfenden Teller Spaghetti für die Firma Wenger, und das Akkordeon spielende Blasenmännchen machte auf Persil aufmerksam: «die strahlende Symphonie moderner Wäschepflege». Die Vermenschlichung der beworbenen Produkte hatte zwischen 1930 und 1950 ihre beste Zeit. Sie entführte in eine kindliche Welt, liess Märchen und Fabeln anklingen und geriet dann Ende der fünfziger Jahre wieder ausser Mode.

«Lachende Würste, fussballspielende Wollknäuel» in: Zürich Schweizer Nationalbank, Schaufenster an der Fraumünsterstrasse/Stadthausquai. Bis 10. März 2014.

Fredi Bosshard

Vintage

«I wear your granddad’s clothes, I look incredible» (Ich trage die Kleider deines Grossvaters, ich sehe unglaublich aus), rappt der US-amerikanische Musiker Macklemore in «Thrift Shop», was eine Art Brockenhaus bezeichnet. Der Erfolg dieses Lieds hat deutlich gezeigt, dass der Trend des Alten und Gebrauchten inzwischen im Mainstream angekommen ist. Es gilt als modisch, die alten Lederschuhe des Grossvaters oder eine Sonnenbrille aus den siebziger Jahren zu tragen. Secondhandläden wählen ihre Produkte heute sorgfältiger aus und präsentieren sie ansprechend. Die etwas verstaubten Wühlgeschäfte sind edlen Boutiquen gewichen.

Das Wort «Vintage» stammt ebenfalls aus dem Englischen und steht für «alt» oder «erlesen». Es ist eine Mode der jüngeren Generation, die sich dem Konsumwahn der letzten Jahrzehnte entgegensetzt. Gleichzeitig nutzen ihn Mode- und MöbelherstellerInnen, indem sie ihren Produkten den Anschein eines gebrauchten Gegenstands geben. Das Museum für Gestaltung in Zürich greift diesen Trend mit der Ausstellung «Vintage. Design mit bewegter Vergangenheit» auf. Ausgestellt werden Möbel und Kleider, die den Wunsch nach Gegenständen aus der Vergangenheit und den Reiz des Gebrauchten ausstrahlen. Am Beispiel der mit Sandstrahlern bearbeiteten Jeans betont die Ausstellung aber auch die Ambivalenz des Vintage-Trends und hinterfragt unsere Sehnsucht nach natürlich und künstlich gealterten Objekten.

«Vintage. Design mit bewegter Vergangenheit» in: Zürich Museum für Gestaltung. Bis 6. April 2014. 
www.museum-gestaltung.ch

Anina Ritscher

Auf dem Holzweg

Hermann Blumer, der am 20. November seinen 70. Geburtstag feiert, ist schwer zu fassen. Ist er nun Erfinder, Künstler, Berater, Mentor, Koordinator oder gar alles zusammen? Was sicher ist: Alles dreht sich bei ihm ums Holz, und das seit über fünfzig Jahren. Mit der Ausstellung «Leidenschaftlich auf dem Holzweg. Hermann Blumer erfindet Holz in Waldstatt» wird nun in Teufen sein Lebenswerk geehrt. Blumers Werdegang wird mit zahlreichen Fotos und Plänen aus seinem Privatarchiv dokumentiert. Technische Erfindungen, die im Holzbau in aller Welt Spuren hinterlassen haben, lassen sich so nachvollziehen. So stand Blumer dem renommierten japanischen Architekten Shigeru Ban, der den neuen Erweiterungsbau des «Tages-Anzeigers» in Zürich entworfen hat, als Berater für weit gespannte Holzkonstruktionen zur Seite. Exemplarische ältere Arbeiten werden mit Plänen, Skizzen, Modellen und Fotos dargestellt. Das in den siebziger Jahren entworfene Eisstadion von Davos ist nicht über das Modell herausgekommen. Katalin Deér und Roland Bernath haben für die Ausstellung fotografiert, und eine ganze Reihe von KünstlerInnen, darunter Gabriela Brühweiler und Pascal Lampert, zeigen «eingeholzte Objekte». Sie lassen so das Zeughaus Teufen zum Zeighaus werden.

Parallel zur Ausstellung erscheint im Appenzeller Verlag das Buch «Holz kann die Welt verändern» von Ralph Brühweiler, das unter anderem auch darstellt, wie Blumer dem Werkstoff Holz zu neuem Wachstum verholfen hat.

«Leidenschaftlich auf dem Holzweg» in: Teufen Zeughaus. Mi–Sa, 14–17 Uhr; Do, 14–19 Uhr; So, 12–17 Uhr. Bis 8. März 2014. www.zeughausteufen.ch

Fredi Bosshard

Anton Bruhin

Anton Bruhin ist Maler, Zeichner, Erfinder von Palindromen (Wortfolgen, die vor- und rückwärts gelesen werden können) und spielt die Maultrommel mit Leidenschaft und Virtuosität. Der in Lachen geborene Künstler lebt seit Jahren in Zürich und gehört zu den ruhigen und beharrlichen Menschen, die immer für eine Überraschung gut sind.

Bruhin zeichnet von Hand, mit Tusche und Farbstiften, malt in Öl und nutzt den Computer, bleibt aber immer originell. Bruhin war bei der legendären Ausstellung «Saus und Braus» (Zürich, 1980) und auch wieder bei «Freie Sicht aufs Mittelmeer» (Zürich, 1999) dabei. Nun sind einige seiner Werkgruppen in einer Einzelausstellung in Emmenbrücke zu sehen. Lassen Sie sich von seinem Palindrom «Ein O-Ton, o Monotonie!» nicht auf eine falsche Fährte locken.

Anton Bruhin in: Emmenbrücke, Kunstplattform Akku. Mi–Sa, 14–17 Uhr; 
Sa, 10–17 Uhr. Bis 19. November 2014. 
www.akku-emmen.ch

Fredi Bosshard