Kultour

Nr. 23 –

Film

Der ganze Liechti im Xenix

Sie war nicht als Requiem gedacht, die grosse Retrospektive zu Ehren von Peter Liechti im Zürcher Kino Xenix. Die Planung war schon weit fortgeschritten, und Liechti selber hatte seinen Besuch bereits zugesagt, wie aus Trotz gegen die Krankheit, die ihn verzehrte. Jetzt, nach seinem Tod am 4. April, ist aus der umfassenden Werkschau im Xenix eine Gedenkveranstaltung geworden.

Man kann da nochmals alle die abseitigen und unberechenbaren Wege abschreiten, auf denen sich Liechti seinen ureigenen filmischen Kosmos erschlossen hat: von seiner Suada gegen den alpinistischen Frohsinn («Ausflug ins Gebirg», 1986) über seinen Selbstversuch als Raucher auf ambulantem Entzug («Hans im Glück», 2003) bis hin zu seiner jüngst mit dem Schweizer Filmpreis ausgezeichneten Annäherung an die eigenen Eltern, samt Hasentheater und einem rasenden Kasper namens Liechti («Vaters Garten», 2013). Auch nicht fehlen darf da «Marthas Garten» (1997), Liechtis einziger und selten gezeigter Spielfilm, den der Kritiker Fred Zaugg damals ein «Puzzle aus Angst und Lust, aus Wahn und Witz» nannte. Stefan Kurt spielt darin einen Versicherungsmann, der nach der Begegnung mit einer mysteriösen Frau mit ansehen muss, wie ihm allmählich alle Sicherheiten zerrinnen.

Und auch wenn Liechtis Filme nie darauf angelegt waren, Gewissheit zu stiften, weil ihm Expeditionen mit offenem Ausgang immer lieber waren, so macht diese Retrospektive nochmals schmerzlich klar: Die Schweizer Kulturlandschaft hat mit Peter Liechti eine Ausnahmeerscheinung verloren.

«Vom virtuosen Vor-sich-Hinschweizern. 
Ein Abschied von Peter Liechti» in: Zürich Kino Xenix, bis 6. Juli 2014. Programm und Spielzeiten: 
www.xenix.ch.

Florian Keller

Ausstellung

Roman Signer

Das St. Galler Kunstmuseum wurde 1970 wegen Baufälligkeit geschlossen und blieb es mehr als ein Jahrzehnt lang. Kunst fand darin trotzdem statt: Der damals noch wenig bekannte Künstler Roman Signer konnte dem zuständigen Architekten einen Schlüssel zum Museum abluchsen und nutzte es für seine Aktionen. Einmal fuhr er mit einem Fahrrad um die Säulen, auf dem Gepäckträger eine Rolle mit gelbem Vogelschreckband. Dieses wickelte sich während der Fahrt ab, wodurch eine Raum-Zeit-Skulptur entstand. Diesen Freitag kehrt Signer wieder einmal an den Tatort zurück und eröffnet im Kunstmuseum eine neue Ausstellung: keine Retrospektive, sondern eine aktuelle Werkschau mit Skulpturen. In den «kleinen und grossen Ereignissen», wie Signer seine Arbeiten nennt, verwendet er immer wieder dieselben Gegenstände: Stühle, Schirme oder eben Fahrräder. In seinen Versuchen erhalten sie eine andere Funktion und erweitern den Sinnzusammenhang. Mal belustigen sie die BetrachterInnen, dann wieder verleiten sie zum Nachdenken. Das Fahrrad wird auch diesmal nicht fehlen: Signer hat eines mit zwei Gummibändern in einem Saal festgezurrt. Anschliessend hat er es in zwei Hälften zertrennt. Das Ergebnis ist zu besichtigen.

«Roman Signer» in: St. Gallen Kunstmuseum, 
Fr, 6. Juni 2014, 18.30 Uhr, Vernissage; bis 26. Oktober 2014. 
www.kunstmuseumsg.ch

Kaspar Surber

Lesung

Schlafgänger

Ein Logistiker, eine Schriftstellerin, ein Student und einige mehr haben sich an einem Tisch versammelt und sprechen über die Gegenwart: über die Grenzen und was sie mit den Menschen, die diese überqueren, machen. Über ihre Körper, den Schlaf und politische Träume. «Nach Tagen ohne Schlaf verliess ich das Haus», sagt einmal der Logistiker, «und als ich zurückblickte, sah ich eine Person in meiner Wohnung am Fenster stehen, es schien mir für einen Augenblick, als sähe ich mich selbst im Schlaf, als stünde der eine schlafend am Fenster oder ginge der andere schlafwandelnd aus dem Haus, aber ich schlief nicht, nein, war wach.» Im Gespräch, im Stimmengewirr der Schlafgänger löst sich die herrschende Ordnung auf. Umso anspruchsvoller ist es, aus «Schlafgänger» vorzulesen, dem zweiten Buch von Dorothee Elmiger. Die Schriftstellerin hat sich mit dem Schauspieler Hanif Jeremy Idris und der Filmemacherin Fabienne Ehrler zusammengetan. Elmiger und Idris lesen die Stimmen, Ehrler zeigt dazu einen flackernden Roadtrip. Die Lesung entwickelt einen starken Sog, lullt ein und rüttelt trotzdem wach. Nun ist sie das erste Mal in Zürich zu hören: ein Plädoyer, die somnambulen Vorgänge genau zu verstehen.

«Schlafgänger» in: Zürich Theater Neumarkt, 
Fr, 6. Juni 2014, 20 Uhr. www.theaterneumarkt.ch

Kaspar Surber

Gabriel Vetter

Auf der Startseite der Website des Café Kairo in Bern ist ein Bild einer Katze: der Hauskatze Piroschka, die letzten Monat einem Auto zum Opfer fiel. Die Legende sagt, dass die Katze einst die Band Lapin Machin zu einem Song inspiriert hat. Ob auch der Slampoet Gabriel Vetter an seinem Auftritt in der Berner Quartierbeiz einen von Piroschka inspirierten Text zum Besten geben wird, ist ungewiss. Sicher ist jedoch: Es geht in seinen Texten um die besten Freunde der Menschen – die Wurst und das Tier.

Der Schaffhauser Dichter, Kolumnist, Gagschreiber und Hörspielautor gehört zu den besten und schärfsten SchreiberInnen der Schweiz. Dass er dazu auch ein grossartiger Schauspieler ist, beweist er in seiner Webserie auf SRF «Güsel». Als schnauztragender Abfalldetektiv Gabriel ist er sich nicht zu schade, auch mal einen Leimstift anzubeissen, um die Abfallsünder zu eruieren – natürlich die Steiner-Schüler! – und belehrt in der Znünipause nonstop seine Angestellten. Die Dialoge der drei Büezer am Znünitisch sind etwas vom Besten, was das Schweizer Fernsehen in den letzten Jahren zu bieten hatte. Wer die Serie noch nicht gesehen hat: Unbedingt nachschauen auf www.srf.ch. Und wer Gabriel Vetter lieber live und (wohl) ohne Schnauz erleben möchte, dem sei ein Besuch im Café Kairo empfohlen.

«Hundsverlochete» in: 
Bern Café Kairo, Sa, 7. Juni 2014, 20.30 Uhr. 
www.cafe-kairo.ch

Silvia Süess

Festival

HackerInnen

Für die einen sind sie eine Gefahr, für die anderen sind sie HeldInnen – auf jeden Fall sind sie eine Art moderner Mythos, die eine Gegenkultur verkörpern: die HackerInnen. Von geächteten Freaks, als die sie von der Öffentlichkeit einmal wahrgenommen wurden, werden sie heute gerne zu noblen KämpferInnen gegen den Kapitalismus hochstilisiert.

In Bern findet nun ein «Kontemporäres Hacking Festival» statt, das den Fokus weder auf das eine noch auf das andere Extrem der Sicht auf die HackerInnen legt, sondern gemäss Website «aufzeigen möchte, dass hinter der subversiven Stilisierung von Hacking grosses Potenzial für ein breites Handlungsfeld einer prozessualen Strategie liegt». In Workshops, Diskussionen und Vorträgen findet eine intensive Auseinandersetzung mit den gesellschaftsrelevanten Möglichkeiten von Hacking statt. Dabei setzt das Festival den Fokus auf die praktische Anwendung des Hackens in den Bereichen Citizen Science, Kunst, Kultur und Technik.

Ursprünglich war ein Hacker ein Technikfreak, einer, der, wie es in Holland früher hiess, «versucht, einen Weg zu finden, wie man mit einer Kaffeemaschine Toast zubereiten kann». Da das Festival von diesem offenen Begriff des Hackers ausgeht, sind auch KünstlerInnen eingeladen, die das Hacken in analogen Techniken vornehmen. Zum Beispiel der Solothurner Tüftler Flo Kaufmann, der in seinem Projekt «Le son du métro» versuchte, die Magnetstreifen auf den Pariser Metrotickets zu decodieren, und die Daten als Grundlage einer algorithmischen Komposition verwendete. Kaufmann war früher jedoch auch mit dem digitalen Hacken vertraut: 1989, als Hacker noch nicht als «Helden der Gegenkultur» galten, hackte er mit zwei Schulfreunden ein damals weitverbreitetes Computersicherheitssystem.

Beim Festival lässt sich allerdings auch lernen, wie man sich gegen Hackerangriffe schützt: Der Eröffnungsabend bietet die Möglichkeit, den eigenen Computer von den Kryptografen des Berner Crypto Clubs ein wenig aufrüsten zu lassen.

«ckster-Festival» in: Bern Dampfzentrale, 
Do, 5. Juni 2014, 17 Uhr, Eröffnung; bis Sa, 7. Juni 2014. 
www.ckster.org

Silvia Süess