Kultour

Nr. 50 –

Ausstellung

Yoda und Gandalf

Wenn Sie Kinder im Primarschulalter haben, stehen die Chancen nicht schlecht, dass auch heuer wieder die neusten «Star Wars»-Mobile und «The Hobbit»-Schlachtszenen von Lego ganz oben auf dem Wunschzettel stehen. Hört denn dieses Kommerzkarussell nie auf? So mögen viele stöhnen, die sich an eine Kindheit mit der Filmtrilogie von George Lucas oder an die Lektüre von J. R. R. Tolkiens Fantasyromanen erinnern.

Doch was, wenn die Omnipräsenz von Legosteinen, Plastiklaserschwertern und Fortsetzungscomics nicht einfach einer geschickten Marketingstrategie entspringt, sondern ein urmenschliches Bedürfnis nach imaginären Welten spiegelt? Genau diesem Zusammenhang geht die Maison d’Ailleurs in Yverdon mit seiner neuen Ausstellung «Alphabrick» nach. Und behauptet kühn: «Diese Universen lassen uns die dichterische Faszination und die grundlegenden mythologischen Strukturen spüren. Und sie verhelfen uns zu dem Platz in der Gesellschaft, den wir suchen – in einer Gesellschaft, aus der das Epos verschwunden zu sein scheint.»

Anhand zahlreicher Lego-Dioramen zu «Star Wars», «The Hobbit» und «The Lord of the Rings», Skizzen und Originalbildern von John Howe, Illustrationen von Benjamin Carré und vieler weiterer Objekte sowie Kurzfilme will die Ausstellung begreiflich machen, wie fiktionale Welten entstehen, sich verbreiten und eine mitunter ironische Eigendynamik entwickeln. Am Samstag, 13. Dezember 2014, wird John Howe von 16 bis 18 Uhr anwesend sein. Mit etwas Glück lässt sich sogar eine Zeichnung oder eine Unterschrift des künstlerischen Direktors von Peter Jacksons «The Hobbit»-Trilogie ergattern!

«Alphabrick» in: Yverdon Maison d’Ailleurs, Di–Fr, 14–18 Uhr, Sa/So, 11–18 Uhr (bis 31. Mai 2015). www.ailleurs.ch

Franziska Meister

Theater

Idealisten

Am Anfang der Recherche zum Stück «Idealisten» des Theaterkollektivs Schauplatz International stand die Besichtigung eines Theaters im umbrischen Hinterland, das der nobelste Kaschmirproduzent Europas dort hatte bauen lassen. «Wir waren nicht sicher, ob er ein Idealist, ein Hochstapler oder einfach sehr geschäftstüchtig war. Uns selbst hielten wir zweifelsohne für Idealisten», schreibt Schauplatz International. Beobachtungen aus dem eigenen Leben, zur italienischen Renaissance sowie zu Buster Keatons Stummfilm «One Week» bilden die Ausgangslage des neuen Stücks. Gesprochen wird nicht in «Idealisten», denn, wie Anna-Lisa Ellend und Lars Studer zu Beginn des Stücks erklären, sie hätten viel über Idealismus geredet – jetzt sei genug damit, ab sofort liessen sie ihre Körper sprechen. Was folgt, ist, wie in allen Stücken von Schauplatz International, ein Theater, bei dem sich die Grenzen zwischen Theorie, Performance, Musik und Installation auflösen. In Bern läuft ausserdem ein «Bekennervideo» des Kollektivs: ein Video über eine Terrorgruppe, die ihr Ende verkündet, ohne je begonnen zu haben.

«Idealisten» in: Luzern Südpol, Fr/Sa, 12./13. Dezember 2014, 20 Uhr. www.sudpol.ch. Diskussionsrunde zu «Idealismus» mit Schauplatz International und Gästen in: Zug Shedhalle, 
Sa, 13. Dezember 2014, 15–16.30 Uhr. 
www.shedhallezug.ch

«Bekennervideo» in: Bern Stadtgalerie, 
Mo–Fr, 12–18 Uhr, Sa, 12–16 Uhr. Bis 17. Januar 2015. Podiumsgespräch mit Gästen zu «Terror und Kunst»: Do, 18. Dezember 2014, 18 Uhr. 
www.stadtgalerie.ch
www.schauplatzinternational.net

Silvia Süess

Freischwimmer

«I’m a private dancer, / a dancer for money, / I’ll do what you want me to do». Was passiert, wenn man Tina Turner beim Wort nimmt? Tümay Kilincel und Jungyun Bae tun es in ihrer Performance «Dance Box». Die «Tanzbüchse» ist ein putziger kleiner Wohnwagen, der wie eine begehbare Jukebox funktioniert, als intime Zweierkabine für eine Tänzerin und ihr Solopublikum. Hier kann ich mir einen Tanz aussuchen, der dann nur für mich allein aufgeführt wird. Bloss, der private Rahmen ist trügerisch: Wer alles schaut uns dabei zu, draussen vor dem Wohnwagen? Und wer schaltet sich im weltweiten Web dazu, wo das Geschehen in der «Dance Box» jeweils als Livestream übertragen wird, sichtbar für alle, die das sehen wollen?

Die «Tanzbüchse» gastiert jetzt beim Theaterhaus Gessnerallee als Teil des Freischwimmer-Festivals, das sich der Intimität in Zeiten von Überwachung, sozialen Netzwerken und Reality-TV widmet. Mit dabei ist etwa der Zürcher Stephan Stock («Neue Männlichkeit»), der uns mit seinem «Theater der Peinlichkeit» konfrontiert und uns damit so weit bringen will, dass wir uns nicht einfach ins Gelächter retten oder uns peinlich berührt abwenden – sondern die Schönheit in der Scham entdecken. Auch nicht fehlen darf dabei das modische Genre des Reenactment: In «Strip Naked, Talk Naked» greifen Rose Beermann und Iva Sveshtarova die sexistische dänische Talkshow Thomas Blachmans auf. Der begrüsste jeweils einen prominenten Dänen bei sich auf dem Sofa, und dann plauderten die beiden Männer über eine Frau, die nackt vor ihnen stand. Auch ein Theater der Peinlichkeit.

«Freischwimmer: Intim» in: Zürich 
Theaterhaus Gessnerallee, bis Mo, 15. Dezember 2014. 
www.gessnerallee.ch

Florian Keller

Buchtaufe

Guy Krneta

Zwar ist es nun doch schon ein paar Monate her, seit Guy Krnetas Mundartroman «Unger üs. Familienalbum» erschienen ist, doch ein Kind tauft man ja auch nicht gleich nach der Geburt. Und so findet kommenden Samstag in Basel eine feierliche Buchtaufe statt – ohne Pfarrer, dafür mit Musik: eine sechsstündige «Jazz-Soap in fünf Teilen».

Krnetas Buch erzählt vom Erwachsenwerden in den siebziger Jahren. Der Ich-Erzähler ist ein Militärdienstverweigerer, der dafür ins Gefängnis musste und dessen Liebe in Peru ein Kind von ihm erwartet. Sein Grossvater sucht sein Chalet in Grindelwald, und sein Onkel singt in einem Schwulenchor – als einziger Heteromann im Dorf.

«Unger üs» erzählt die Episoden wie Einzelbilder, und so werden diese an der Taufe auch präsentiert. Diese startet mit einer Lesung des Autors; nach einem Apéro geht es dann in einzelnen Teilen weiter: Das «Familienalbum» wird durchgeblättert, doch nicht vom Autor selber, sondern von der Winterthurer Sängerin Isa Wiss. Mit ihrer ausdrucksstarken Stimme singt und liest sie durch den Abend. Begleitet wird sie von Christoph Baumann am Klavier, Hämi Hämmerli am Kontrabass, Tony Renold am Schlagzeug – und von Guy Krneta selber, der ergänzt und ebenfalls liest. Die fünf Teile dauern je eine Stunde und können auch einzeln besucht werden.

Buchtaufe «Unger üs» in: Basel Gare Du Nord, 
Sa, 13. Dezember 2014. Ab 17 Uhr: Lesung, 
Gespräch und Apéro (Eintritt frei). 18–24 Uhr: Jazz-Soap in fünf Teilen. www.garedunord.ch

Silvia Süess

Konzert

Digger Barnes

Die Wege in der Americana-Musik sind breit getreten. Doch Digger Barnes geht weiter seinen eigenständigen Pfad: Beharrlich arbeitet der in Deutschland lebende Songwriter an seinem Country Noir. Das Cover zu seinem neuen Album «Frame by Frame», gemalt von Wegbegleiter Pencil Quincy, zeigt ihn in seinem Wohnwagen: Vor glitzernden Vorhängen sitzt Schnauzträger Barnes und blickt ernst in die Nacht. Ein Vagabund ist er und ein grossartiger Geschichtenerzähler. Nicht aufdringlich und doch einnehmend. An Bahnübergängen und Tankstellen begegnen Barnes gebrochene Charaktere, die von Flucht, Verlust und Sehnsucht berichten. Im Porträt des Autoschraubers Oil-Stained Hank beispielsweise schildert Barnes seine Sicht auf die Welt. Er gelangt zum Schluss: «Die Gewinner und die Verlierer sind Zwillinge.»

Die Musik auf dem neuen Album ist, wie immer bei Barnes, sparsam instrumentiert: akustische Gitarre, Kontrabass und Besenschlagzeug. Gelegentlich sind Klavier, Vibrafon oder Banjo eingestreut. Geprägt sind die Songs von Barnes’ warmer Erzählstimme. Einige Refrains singt er im Duett mit der Australierin Emily Barker. Auf seiner aktuellen Tour hält Barnes mit seinem Wagen auch dreimal in der Schweiz. Den Zauber seiner Konzerte vergisst man so schnell nicht. Gute Fahrt, Digger!

Digger Barnes in: Winterthur Gaswerk, 
Sa, 13. Dezember 2014, 20.30 Uhr; Zürich Koch-Areal, So, 14. Dezember, 21 Uhr; Lausanne Théâtre 2.21, Mo, 15. Dezember, 21 Uhr.

Kaspar Surber