Kultour

Nr. 14 –

Festival

Squarepusher in Genf

Über Ostern noch nichts vor? Dann einfach in den Zug nach Genf steigen, dort ein billiges Hotel suchen oder gleich die Nacht durchtanzen. Bis Sonntag findet dort das zwölfte Electron-Festival statt. Seit der Gründung auf finanzielle Unabhängigkeit bedacht, habe es das Festival schwierig, «mit den grossen Kriegsmaschinen» zu konkurrieren, schreiben die VeranstalterInnen. Fern vom Kommerzdenken lebt es sich dafür umso befreiter: Rund um das Alternativzentrum Usine ist während des Festivals ein waches Interesse an den neuen Entwicklungen der elektronischen Musik spürbar, und in den Haupt- und Nebenräumen des Festivals formieren sich die Tanzenden zu immer neuen Szenerien. Als programmatischer Höhepunkt angekündigt ist dieses Jahr SBTRKT. Der Maskenträger aus London pendelt zwischen Dubstep und House, Ambient und Techno.

Fürs historische Bewusstsein empfiehlt sich ein Besuch bei Squarepusher, der mit Aphex Twin und Autechre die abstrakte Elektronik mitgeprägt hat und in Genf eine neue Show präsentiert. Zu entdecken ist Saycet, der in Frankreich als Prinz des Ambientpop gilt. Das Zürcher Frauenduo Me & Her stösst mit seinen sphärischen Grooves europaweit auf Begeisterung. Gefeiert wird in Genf auch der zehnjährige Geburtstag des Technolabels Boysnoize – ein Hinweis, dass das Electron ein wichtiger Ort der Vernetzung in der elektronischen Musik geworden ist.

Electron in: Genf diverse Orte, Do–So, 2.–5. April 2015. www.electronfestival.ch

Kaspar Surber

Film

Jacques Tati in Bern

Der Kreisverkehr als Karussell für die Erwachsenen auf dem Weg zur Arbeit: Das hat niemand schöner ins Bild gesetzt als Jacques Tati in «Playtime» (1967), seinem filmischen Alltagsballett über die Absurditäten der kapitalistischen Grossstadt. Der Film ist inzwischen fast ein halbes Jahrhundert alt, aber wie Tati hier die moderne Lebenswelt in gläsernen Büro- und Konsumkomplexen vorführt, wo Arbeit und Freizeit manchmal fast unmerklich ineinander übergehen, das hat bis heute nichts von seiner Schärfe eingebüsst.

Das Kino Kunstmuseum in Bern zeigt nun sämtliche Langfilme von Jacques Tati (1907–1982), dazu eine Auswahl von Kurzfilmen und zwei Animationsfilme, die seinen Geist atmen. Ebenfalls im Programm steht «Parade» (1973), Tatis vom schwedischen Fernsehen finanzierte und in nur drei Tagen gedrehte Hommage an die Welt des Zirkus. Es sollte die filmische Abschiedsvorstellung für das hoch verschuldete Genie bleiben: Vom kommerziellen Fiasko mit «Playtime» erholte sich Tati nie mehr richtig.

«Retrospektive Jacques Tati» in: Bern Kino Kunstmuseum, bis 27. April 2015; genaues Programm siehe www.kinokunstmuseum.ch.

Florian Keller

Lesefestival

Aprillen zum Zweiten

Täglich eine Portion Lyrik um 18 Uhr – dazu laden Tabea Steiner und Sandra Künzi am zweiten Aprillen-Lesefest ein. Doch das ist jeweils erst der Auftakt des Abends: Um 19 Uhr wird getauft, um 20.30 Uhr kombiniert. Kombiniert? Mittlerweile ein Klassiker ist etwa das Duo Melinda Nadj Abonji und Jurczok 1001, das am Samstagabend mit Beatboxen, Sprechgesang und gesampelter Geige die Genregrenzen aufmischt. Zu entdecken gibt es aber auch «Schönes und Obszönes aus dem Osten», jedenfalls aus dem Osten von Bern: Die beiden Autorinnen Ulrike Ulrich und Andrea Gerster lesen aus ihren Büchern, während die auch immer wieder in der WOZ aktive Lika Nüssli das Vorgetragene live illustriert – zum Beispiel die Geschichte einer promisken Comiczeichnerin.

Rund um die fixen Sendezeiten herum lassen sich am Büchertisch die getauften Bücher von Gerhard Meister, Trix Niederhauser und anderen erstehen, man kann in Büchersesseln rund um das Schlachthaus Bern lümmeln oder im Keller Interviews mit Spoken-Word-ArtistInnen wie Hazel Brugger, Guy Krneta oder Gabriel Vetter lauschen. Oder man lässt sich am Freitag und am Samstag zu später Stunde auf «Babelsprech» ein, wenn der Berner Dichter Michael Fehr ein Potpourri junger Stimmen aus dem deutschsprachigen literarischen Nachwuchs präsentiert. Übrigens: Zum Auftakt des Lesefests am 8. April entert Max Goldt die Schlachthausbühne.

Lesefest Aprillen in: Bern Schlachthaustheater, Mi–Sa, 8.–11. April 2015; Programm und 
Tickets unter www.aprillen.ch oder per Mail an 
info@schlachthaus.ch.

Franziska Meister

Literatur

Martinowitsch in Zürich

Im totalitären osteuropäischen Regime, das Viktor Martinowitsch in seinem Roman «Paranoia» entwirft, zählt jedes Detail, jede Regung. Da ist von einem Musterverzeichnis die Rede, das gemäss den Direktiven im «Regelwerk zum Umgang mit Abfällen aus Objekten unter operativer Beobachtung» erstellt wurde: «Hier wurden 2 gebrauchte Präservative in eng anliegender Toilettenpapierummantelung mit dem Ejakulat des Gogol sichergestellt …» Der allgegenwärtige Diktator Murawjow lenkt alles von einem immer beleuchteten Turmzimmer aus, und mitten in diesem postsowjetischen Idyll der Repression lebt der junge Schriftsteller Anatoli, der sich in eine hoffnungslose Affäre mit der rätselhaften Jelisaweta stürzt, ausgerechnet der Geliebten des Allgegenwärtigen. Nach einer kurzen Kostprobe eines Liebesglücks unter staatlicher Dauerüberwachung verschwindet Jelisaweta, und Anatoli wird zum Gespräch mit dem Geheimdienst gebeten – die Tragödie scheint damit unausweichlich …

Dieser in fulminant dichter Sprache erzählte Plot reichte der weissrussischen Regierung, um Martinowitschs Romandebüt kurz nach seinem Erscheinen zu verbieten. Zu sehr hat Martinowitschs Fiktion den Blick auf die weissrussische Realität geschärft. Zu beklemmend und lebendig ist die Geschichte, die mehr als nur tragische Liebesgeschichte und mehr als nur Politthriller ist. Zu eindrücklich gibt sie wieder, was kontinuierlich latente Paranoia mit einem Staat, einem Volk, einem Menschen machen kann. Selbst die Leserin kann sich beim Fortschreiten der Geschehnisse eines immer stärker werdenden Gefühls der Beklemmung und der Unsicherheit nicht erwehren. Hohe literarische Kunst also, die uns der Autor bei einer Lesung ins Literaturhaus Zürich bringt.

Viktor Martinowitsch liest aus «Paranoia» in: 
Zürich Literaturhaus, Di, 7. April 2015, 19.30 Uhr. 
www.literaturhaus.ch

Stephanie Danner

Symposium

Venedig im Cabaret Voltaire

Am Osterwochenende durch die venezianischen Giardini flanieren? Dafür ist es wohl zu spät, wenn Sie das hier lesen. Aber egal, das Cabaret Voltaire holt Venedig nach Zürich. Oder zumindest den Geist des Soziologen, Planungstheoretikers und Promenadologen Lucius Burckhardt (1925–2003), dem letztes Jahr der Schweizer Pavillon der Architekturbiennale in Venedig gewidmet war. Zwölf Schweizer KünstlerInnen – darunter San Keller, Muriel Baumgartner oder die !Mediengruppe Bitnik – liessen sich in Venedig zu neuen Arbeiten inspirieren, die jetzt im Cabaret Voltaire zu sehen sind.

«Invent the Future with Elements of the Past» heisst die Schau, und am Sonntag kommt hier nicht der Osterhase zu Besuch, sondern der Überkurator, der den Burckhardt-Pavillon in Venedig verantwortete: Das ist Hans-Ulrich Obrist, der in Person sicher anregender ist als sein neues Buch, das wir in der vorletzten WOZ etwas zerpflückt haben. Mit dabei ist auch Tino Sehgal, deutscher Kunststar der Stunde, und gemeinsam mit den KünstlerInnen der aktuellen Ausstellung werden sie in einem Symposium am Ostersonntag nochmals in Burckhardts Denken eintauchen.

«Invent the Future with Elements of the Past» in: Zürich Cabaret Voltaire, So, 5. April 2015, 
15–20 Uhr (Symposium); Ausstellung bis 12. Juli 2015. www.cabaretvoltaire.ch.

Florian Keller