LeserInnenbriefe

Nr. 17 –

Unerfreuliche Schützenhilfe

«Abstimmung Energiestrategie 2050: Sozial ist diese Wende nicht», WOZ Nr. 15/2017

Nein, die Energiewende nach Schweizer Art ist keinesfalls unsozial. Richtig schreibt Susan Boos zwar, der erhöhte Stromzuschlag komme der Wirkung der Mehrwertsteuer gleich. Doch genauso wenig, wie Mehrwertsteuerprozente für die AHV unsozial sind, ist es ein Stromzuschlag, der langfristig zu einer Energiewelt ohne fossile Brennstoffe und verbesserter Umwelt führt – und der gerade auch ärmeren Bevölkerungsschichten zugutekommt. Das lässt sich nur schwer in Zahlen ausdrücken. Aber es war doch schon immer so, dass ärmere Menschen schlechteren Umweltbedingungen weniger ausweichen können als reichere, die sich etwa Wohnorte mit geringeren Schadstoffemissionen leisten können. Vollends daneben ist die Feststellung einer unsozialen Wirkung mit Bezug auf die Subventionen für bessere Energiemassnahmen beim Gebäudebestand. Denn erstens sind MieterInnen in der Schweiz – bei einem Mieteranteil von insgesamt rund sechzig Prozent – in vielen Fällen GenossenschaftsmieterInnen, zweitens gibt es schweizweit durchaus gering verdienende HausbesitzerInnen.

Der WOZ-Artikel erweckt den Eindruck, da würden mit der Energiestrategie 2050 jährlich 600 Millionen Franken nach oben umverteilt. Bei genauerer Betrachtung dürfte dieser Betrag viel geringer sein. Eine, was auch der WOZ-Artikel zugesteht, sinnvolle Umweltpolitik (wegen kaum vorhandener sozialer Misswirkungen) aber abzulehnen, ist in der aktuellen politischen Situation nichts als fehlgeleitete Propaganda respektive unerfreuliche Schützenhilfe für die SVP.

Guntram Rehsche, per E-Mail

Was am 21. Mai zur Abstimmung kommt, ist die Revision des Energiegesetzes von 1998, nicht mehr und nicht weniger. Eine Energiewende – also ein umfassender Umbau des Energiesystems Schweiz – ist dies nicht. Vielmehr handelt es sich um eine Systematisierung von Vorgaben, die bereits seit den siebziger Jahren zur Debatte stehen, im bisherigen Energiegesetz angedeutet waren und nun – in verwässerter Form, wie dies Susan Boos zeigt – zur Disposition stehen. Eine Wende würde jedoch weiter gehende Überlegungen bedingen, die nicht ausschliesslich von technischen und ökonomischen Fragestellungen dominiert sind. Es wäre wichtig zu verstehen, wie sich die verwendeten Ressourcen und die zum Einsatz kommenden Technologien, die Besitzverhältnisse und die wirtschaftlichen Organisationen, die Infrastrukturen der Verteilung, die industriellen Anwendungen und die privaten Konsummuster in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt und damit das Energiesystem Schweiz geformt haben. Werden diese Fragen nicht bald und in aller Gründlichkeit diskutiert, bleibt die angepeilte Wende kosmetischer Natur, revidiertes Energiegesetz hin oder her.

Monika Gisler, Zürich

Geschichtsvergessen

Durch den Monat mit Wilfried N’Sondé (Teil 2): «Wie verhindert man den Sieg von Le Pen?», WOZ Nr. 15/2017

Wilfried N’Sondé will nicht wählen gehen, weil in Frankreich für seinen Geschmack zu viel «gestritten» wird, und der WOZ-Interviewer hat diesem geschichtsvergessenen Nihilismus nichts entgegenzusetzen. Ist die liberale Demokratie wirklich für Linke nichts (mehr) wert? Dass Frankreich eine Republik ist, wo streitende PolitikerInnen sich freien und allgemeinen Wahlen stellen müssen, wo alle BürgerInnen, ob Mann oder Frau, schwarz oder weiss, die gleichen politischen Rechte haben und wo (anders als etwa in den USA) alle Stimmen auch gezählt und gleich gewichtet werden – sind diese Errungenschaften jahrhundertelanger politischer Kämpfe wirklich nicht verteidigenswert? Will N’Sondé es wirklich auf das Experiment eines autoritär-nationalistischen Regimes ankommen lassen, in dem es dann keinen politischen Streit mehr braucht, weil es reicht, wenn ein Führer oder eine Führerin den «Volkswillen» interpretiert?

Herr N’Sondé möchte abwarten, «was Le Pen überhaupt durchsetzen kann». Liest er die Zeitung? Interessiert es ihn, was in den USA mittlerweile los ist, wo sämtliche Fortschritte der letzten fünfzig Jahre, von Umweltschutz bis Frauenrechten, ArbeitnehmerInnenrechten bis Finanzregulation, zur Disposition stehen? Vor der Wahl hat man solche Plattheiten dort ja auch zur Genüge gehört – die PolitikerInnen seien alle gleich, Wahlen änderten sowieso nichts.

Seltsam, seit Trumps Amtsantritt behauptet das dort niemand mehr. Aber klar, aus Erfahrung lernen ist langweilig und uncool. 2016 wandte sich eine linke Fraktion gegen Hillary Clinton mit exakt den gleichen Argumenten, mit denen sie schon 2000 George W. Bush zur Macht verholfen hatte. 2002 versagte die französische Linke dem Sozialisten Jospin (dem Architekten der 35-Stunden-Woche) die Unterstützung und zementierte so auf Jahre die rechte Vorherrschaft, die man nun, 2017, beklagt. Und was lernt man daraus? Dass Wahlen nichts ändern. Danke, liebe WOZ, auf diese klarsichtige Analyse hat die Welt gewartet.

Toni Menninger, Bern