LeserInnenbriefe

Nr. 40 –

Wahrer Sozialliberalismus

«Liberalismus-Essay», WOZ Nr. 38/2018

Danke für den tollen Artikel zum Liberalismus. Eine treffende Analyse und eine ehrenrettende Einordnung des Begriffs (zu dem die Linke ihre wegen zu enger Auslegung bestehenden Berührungsängste verlieren sollte), ohne aus dem Blick zu verlieren, dass die Linke darüber hinaus an der Verwirklichung der Versprechen des Liberalismus arbeiten muss. Das wäre eine erfrischende Abgrenzung zu diesem und eine überfällige Repositionierung der Linken – Sozialliberalismus im wahrsten Sinne eben. Und ein wohl sehr wirkungsvolles Rezept gegen grassierenden Populismus von rechts wie auch von «links».

Enttäuschend fand ich, dass ihr die Aussage, bewusste, gerechte Sprache nütze nicht viel, wenn die materiellen Bedingungen nicht verbessert werden, in der Bildbeschreibung gleich «umgesetzt» habt: Statt der längst überholten, sexistisch konnotierten Bezeichnung «Krankenschwester» hättet ihr problemlos «Pflegefachfrau» schreiben können.

Tobias Kuhnert, per E-Mail

Ungeschriebene Freiheiten

«Menschenrechtskonvention: Wie die Schweiz sich in die Menschenrechte integrierte», WOZ Nr. 39/2018

In Ergänzung zur Darstellung von Christoph Good ist noch auf einen Pionier der Grundfreiheiten in der Schweiz hinzuweisen. Es war der an der Universität Zürich wirkende Staatsrechtslehrer Zaccaria Giacometti, der bereits im Jahre 1949 die These aufgestellt hat, dass die schweizerische Bundesverfassung nicht nur die in der Verfassung ausdrücklich geschriebenen, sondern auch ungeschriebene Freiheitsrechte enthalte.

Nach einem sehr kurzen geschichtlichen Rückblick auf die Entwicklung der «modernen Freiheitsrechte des Individuums gegenüber der Staatsgewalt» und deren Einführung in der Schweiz im Rahmen der napoleonischen Neuordnung der Schweiz erklärte Giacometti: «Wie nun die Bundesverfassung stillschweigende Bundeskompetenzen enthält, hat sie auch stillschweigende Gewährleistungen von Freiheitsrechten zum Inhalt. Aus dem Sinn des Freiheitsrechtskatalogs der Bundesverfassung als eines liberalen Wertsystems lässt sich nämlich folgern, dass die Bundesverfassung jede individuelle Freiheit, die praktisch wird, das heisst, durch die Staatsgewalt gefährdet ist, garantiert, und nicht allein die in der Verfassung ausdrücklich aufgezählten Freiheitsrechte.»

Und schon damals wies er darauf hin, dass die Garantien der Bundesverfassung sich nur gegen die kantonalen Staatsgewalten richten, weil sie dem Bundesgericht die Überprüfung von Bundesgesetzen auf Übereinstimmung mit der Verfassung nicht erlaubt. Durch den Beitritt der Schweiz zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist dieses Verbot seit dem 28. November 1974 wenigstens teilweise beseitigt worden: Das Bundesgericht prüft seither die Verfassungsmässigkeit von Bundesgesetzen jedenfalls dann, wenn gleichzeitig Rechte der Bürger, die ihnen durch die EMRK garantiert werden, verletzt sein könnten.

Die «Selbstbestimmungsinitiative» will nun aber wieder zum früheren Zustand zurück, also die Verfassungsgarantie wieder nur auf die kantonalen Rechtsakte beschränken. Das ist ungefähr genau das Gegenteil jener Selbstbestimmung, die dem Bürger zusteht.

Ludwig A. Minelli, per E-Mail