LeserInnenbriefe

Nr. 14 –

Ziviler Ungehorsam?

«Coronakrise: Vorsichtig mit der Vorsicht!», WOZ Nr. 12/2020

Lieber Herr Beck! Mit Ihrem Satz «Gut möglich, dass die autoritären Dekrete nötig und dringlich sind» retten Sie sich – ganz knapp – vor meinem Verdacht, dass Sie im Homeoffice auf und ab getigert sind, auf der Suche nach einer «Geschichte». Sie haben meiner Ansicht nach eine überflüssige geschrieben, ja, möglicherweise sogar eine kontraproduktive.

Der Bundesrat hat, da sind sich bislang alle Parteien einig, den «Lockdown», wie Sie schreiben, unter Berücksichtigung sämtlicher Interessen der Gesellschaft erstaunlich präzis orchestriert. Während die steigenden Fallzahlen eine vollständige Ausgangssperre rechtfertigen würden, setzte sich vor dem Wochenende im Bundesrat der Konsens durch, dass man diese Ausnahmemassnahme nur verhängen werde, wenn sich die Bevölkerung nicht an die bislang geltenden Regeln halten werde.

Welche Angst treibt Sie gerade um? «Dass der Blick für demokratiepolitische Gefahren und Widersprüche» getrübt werde und bleibe? Dass gar «der Ausnahmezustand verfestigt» werde? Mit der Angst, die Schweiz werde auch in Zukunft mittels Notrecht regiert und verliere nach der Bekämpfung der aktuellen Pandemie ihr demokratisches Selbstverständnis, stellen Sie unsere politischen Verhältnisse auf eine Ebene mit denjenigen in Ungarn, wo Viktor Orban gerade um eine Bewilligung nachsucht, per Dekret auf unbestimmte Zeit regieren zu können. Das ist eine Beleidigung der Demokraten unseres Landes. – Was gibt Ihnen das Recht, unsere Mitmenschen dazu aufzurufen, «wachsam und kritisch» gegenüber Notrecht anstatt gegenüber Covid-19 zu «bleiben»? Und zum Schluss fürchten Sie, dass «der Dissens per Notverordnung verboten» werden könne! Leider ist es nicht einmal verboten, implizit zu zivilem Ungehorsam gegen den Ausnahmezustand aufzurufen!

Ellen Ringier, per E-Mail

Ein Trauerspiel

«Gesundheitspolitik: Geplante Unterversorgung», WOZ Nr. 13/2020

Es wurde in dieser Ausgabe in Sachen Corona einiges auf den Punkt gebracht. Im teuersten Gesundheitssystem treten in dieser Ausnahmesituation diverse Mängel zutage. Ich hoffe, die Politik erhält die Retourkutsche für die Sparpolitik auf Teufel komm raus. Dass man auf eine Epidemie nicht vorbereitet war, ist auch ein Trauerspiel. Dass das Coronavirus nun das ganze überdrehte Finanzsystem zum Zusammenbruch bringt, mag Zufall sein. Ich habe aber Zweifel, ob nach der Krise die Umverteilung von unten nach oben nicht wieder von vorne anfängt. Man hat ja nun zwei Feindbilder (das Virus und den Russen vor der Tür), mit denen man das Volk gefügig machen kann.

Paul Bind, per E-Mail

Stromlinienförmig

«Pflege: Chrampfen bis zum Umfallen», WOZ Nr. 13/2020

«Menschen in systemrelevanten Berufen wie dem Gesundheitswesen tragen unter schlechten Arbeitsbedingungen ein Übermass an gesellschaftlicher Last, gesundheitlichen Risiken und Verantwortung.» Das schreiben Sie richtigerweise. Dabei sind die Verhältnisse in Deutschland noch bedeutend schlechter. Da muss ein Stationsarzt auch mal dreissig PatientInnen versorgen. Allein. Aber auch hier in der Schweiz: Wir an den Patientinnen Tätigen sind zum Hanswurst der Human Resources und der Klinikdirektionen geworden. ChefärztInnen dürfen zum Teil nicht mehr selber entscheiden, wer in ihrem Team arbeitet. Dabei haben wir stromlinienförmig zu sein. Und dürfen grade mal ihre Werbelabel erfüllen. In der Klinik, in der ich arbeite, schmeisst man einen langjährigen Chefarzt und eine Chefärztin mal ganz nonchalant raus, weil sie in erster Linie die Kranken versorgen wollen und insistiert haben, ihre MitarbeiterInnen selber einzustellen. Das «Leidbild» meiner Klinik in Davos: «Der Mensch im Fokus». Wer Latein kann, möge sich auf diese Aussage seinen eigenen Reim machen …

Bernd Mensing, Allgemeinmediziner, per E-Mail