LeserInnenbriefe

Nr. 25 –

Sieg der Autoschweiz

«Klimawechsel: Autoschweiz vs. ÖV-Schweiz», WOZ Nr. 24/2021

Einmal mehr fand ich Herrn Surbers politische Analyse – in diesem Fall zum CO2-Gesetz-Nein – sehr überzeugend. Ich bin seit Jahren linker Wähler und ziemlich enttäuscht, wie wenig sich die linken Parteien in diesem Abstimmungskampf engagiert haben. Auch wenn es nicht das wirkungsvollste Gesetz gewesen wäre, für die Stimmung im Land war es sehr wichtig. Nun ist es eindeutig ein Sieg der Autoschweiz. Ich frage mich, wie man die Stimmung im Land so falsch einschätzen konnte? Oder ob die linken Parteien das Gesetz selbst einfach nicht für gut befunden haben?

Roman Wiprächtiger, per E-Mail

Gegen Stehzeuge

«Mobilität: Autos hassen», WOZ Nr. 23/2021

Im Jahr 2021 wird es voraussichtlich eine Jahresproduktion von über 100 Millionen Fahrzeugen (Pkw und Nutzfahrzeuge) geben. Im Jahr 2013 waren es fast 90 Millionen, davon etwa 30 Millionen Lkw. Im Jahr 2019 wurden 71 071 581 Pkw und 25 027 669 Lkw produziert.

Nehmt diese Jahresproduktion von 100 Millionen Fahrzeugen, die eine angenommene durchschnittliche Länge von 5 Metern haben, und stellt sie auf einer 3 Meter breiten Fahrspur rund um die Erde hintereinander. Ihr werdet, wenn meine Rechnung fehlerfrei ist, 12 solche Fahrspuren nebeneinander füllen, um die Jahresproduktion dieses Wahnsinns zu parkieren. 12 Spuren auf 40 000 Kilometern ergeben eine 36 Meter breite Autobahn um unseren Planeten.

Im Jahre 2007 hat die automobile Weltproduktion die erste Milliarde überschritten. Ich überlasse euch die Rechnung – wie breit die Autobahn für eine Milliarde Autos wird, wenn sie aneinandergereiht wie auf der Müllhalde stehen.

In den Vereinigten Staaten stand in den ersten Jahren der Einführung des Ford T eine pragmatische Logik und populäre Intelligenz gegen die Einführung eines individuellen Fahrzeugs. Die Mehrheit der Arbeiterschaft sah keine Notwendigkeit, für ein Transportmittel arbeiten zu gehen, das während der Arbeitszeit zum individuellen Stehzeug wird. Wenn schon in der Fabrik täglich zehn Stunden malochen: schön deppert der, der das mühsam verdiente Geld in den Transport zur Arbeit verlocht. Der öffentliche Verkehr war schon damals Ausdruck für Solidarität. Jean-Baptiste Fressoz («L’Apocalypse joyeuse. Une histoire du risque technologique», Éditions Seuil) zeigt, wie und was die Oligarchen gegen die pragmatische Intelligenz des Volkes unternahmen. Die Zurverfügungstellung von billigstem Kredit und eine geschickte Propaganda waren notwendig, um das individuelle Fahrzeug zu popularisieren. Die Einführung des individuellen Stehzeugs, damals Ford T genannt, war also gleichzeitig auch Auftakt zu den sich bis heute wiederholenden Wellen von billigsten Konsumkrediten. In der Propaganda hiess es damals unter anderem, dass der öffentliche Verkehr ein gefährlich kommunistisches Anliegen sei. Der ÖV schafft jedoch keine Kreditsklaven.

Das Auto ist ein stehender Kult geworden. Ein egoistisches Stehzeug, das in seiner neurotischen Ausgabe, wenn es endlich mal in Bewegung kommt, im wahrsten Sinne echt unheimliche Geräusche von sich gibt. Ich möchte als Ergänzung zu eurem «Was tun?» bescheiden vorschlagen: Wie wäre es mit einem jährlichen internationalen Zürcher Filmpreis für den originellsten, kürzesten und ironischsten Clip, einen Preis für einen intelligenten und kulturell wirksamen Videoclip gegen die kultigen und fetischisierten Stehzeuge?

Hannes Lämmler, per E-Mail