Leser:innenbriefe
Aus dem das kroch?
«Wichtig zu wissen: Die Mutter aller Schlachten», WOZ Nr. 4/2022
Ob der Journalist diesen Titel selbst gesetzt hat? Dieser ist so was von daneben, Herr Widmer! Wieder mal ist einer beim Formulieren nicht darauf gekommen, dass er sich sexistisch äussert. Was hat bei Kriegshandlungen eine weibliche Person als hervorbringende Kraft verloren? Schlachten werden in den allermeisten Fällen von Männern inszeniert und ausgefochten. Nicht von Frauen, schon gar nicht von Müttern. Beim Lesen kam mir ein alter Ärger über einen ähnlichen, oft gedankenlos wiedergegebenen Satz hoch, der Bertolt Brecht zugeschrieben wird: «Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.» – Als Frau wird mir bei dieser Aussage schlecht. Mit «das» ist ja nichts Gutes, Lebensspendendes gemeint, sondern etwas ganz Furchtbares. Faschismus, Krieg? Solche Scheusslichkeiten sollen aus einem Frauenkörper kommen? Ach, es ist bloss allegorisch gemeint?? Schon falsch!
Herr Brecht, ich bitte Sie! So ein kluger und gerechtigkeitsliebender Geist verzapft solchen Stuss? Und unzählige Leute wissen dann nichts Besseres, als diesen frauenfeindlichen Unsinn immer und immer wieder neu wiederzukäuen. Kommt von Brecht, da muss man nicht mehr selbst nachdenken? – Wie falsch liege ich, wenn ich aus Brechts Aussage den alten Ekel des Mannes vor der Vulva heraushöre?
Rosemarie Imhof, Allschwil
Schlechtes Image
«Sozialhilfe: Wenn Lai:innen Leben ruinieren», WOZ Nr. 5/2022
Die geschilderten, kritisierten Fälle sind tatsächlich alle skandalös und dürfen so nicht vorkommen. Als pensionierten Sozialarbeiter mit langjähriger Tätigkeit auf Sozialdiensten schmerzt mich das. Ebenso schmerzlich ist aber auch, wie die öffentlich-rechtliche Sozialarbeit seit jeher in der Kritik von rechts wie von links steht: entweder wegen zu vieler Ausgaben oder wegen zu vieler Auflagen.
Dieses pauschale schlechte Image ist leider auch unter anderswo tätigen Sozialarbeiter:innen weit verbreitet. Es kommt a priori zur Unterstellung, Bedürftige würden nicht wirklich unterstützt. Diese kollektive Wahrnehmung schadet der öffentlich-rechtlichen Sozialarbeit als Instrument, den dort tätigen Sozialarbeiter:innen und damit dann auch den von ihnen abhängigen Klient:innen.
Die Sozialhilfe (bitte nicht mehr den antiquierten Begriff «Fürsorge» verwenden) hat seit Mitte der neunziger Jahre die Auswirkung der Globalisierung zu spüren bekommen, die «Fabrikler:innen» mit einer Berufsehre gab es nicht mehr, die Arbeitslosenversicherung kürzte Rahmenfristen, der Zugang zur Invalidenversicherung wurde immer hochschwelliger, und das Auffangbecken für alle, die da auf der Strecke blieben, wurden die Sozialdienste, die Fallzahlen stiegen exponentiell an. Dieser Kontext muss hier auch einmal festgehalten werden, ohne damit etwas entschuldigen oder legitimieren zu wollen.
Sandro Fischli, Bern
Isolierte Diskurse
«Menschenrechte: Ein Wort wie ein Hammerschlag», WOZ Nr. 6/2022
Dass die WOZ einen Artikel zum Bericht von Amnesty International (AI) über Apartheid mit der Frage beginnt, ob sich AI damit einen Gefallen getan hat, sagt schon viel über die voreingenommene Einstellung des Autors respektive der WOZ. Er versucht, die Kritik an Israel in die antisemitische Ecke zu stellen, um AI das Recht abzusprechen, über Menschenrechtsverletzungen in Israel zu berichten. Er geht mit keinem Wort auf die Fakten ein, die AI präsentiert. Stattdessen bringt er eine Abhandlung über isolierte Diskurse der Linken in Deutschland zu Israel, von Demonstrationen, an denen «judenfeindliche Sprüche gegrölt werden» et cetera. Und natürlich darf auch nicht die Bezeichnung der «einzig jüdische Staat» fehlen mit dem Verweis auf die Nachbarstaaten.
Dabei wird ausgeblendet, dass AI über alle diese Staaten ebenfalls Berichte erstellt hat. Auch erwähnenswert: Israel als Demokratie hat sich nicht davon abhalten lassen, diesen Staaten dabei zu helfen, Menschenrechtsaktivist:innen auszuhorchen (Verkauf der Pegasus-Software). Endgültig ins journalistische Abseits gerät die WOZ mit der Unterstellung, AI habe diesen Bericht nur aus Verzweiflung gemacht, weil vergleichbare Berichte in der Vergangenheit nichts gebracht hätten.
Martin Luzi Büechi, Bern
Begriff «Antisemitismus»
«Menschenrechte: Ein Wort wie ein Hammerschlag» , «Holocaust-Gedenken: ‹Wir sind die Kinder ohne Fotoalben›» , «Linker Antisemitismus: Den Rassismus beim Namen nennen» , «Sachbuch: Kriegserklärung an den geistigen Schlendrian» , alle WOZ Nr. 6/2022
Hat sich die WOZ schon einmal überlegt, eventuell auf den Begriff «Antisemitismus» verzichten zu können? Es wird noch so weit kommen, dass man zum Beispiel die Hamas oder allgemeiner die Palästinenser:innen oder noch allgemeiner die Araber:innen oder eben noch allgemeiner die Semit:innen des Antisemitismus bezichtigt. Die verbreitetste semitische Sprache ist heute das Arabische. Als die indogermanische Sprachverwandtschaft entdeckt wurde, demnach ungefähr zur Zeit von «Über die Sprache und Weisheit der Indier» des deutschen Frühromantikers Friedrich Schlegel, wurden die Inderinnen, Perser oder auch die Kurd:innen plötzlich zu «unseren» Freund:innen, während die Semit:innen die ganz Anderen blieben.
Neue Vokabeln als Ersatz brauchen nicht gesucht zu werden. Begriffe wie Dämonisierung des Staates Israel, Israelkritik, Antizionismus, judenfeindlich, Judenhass, Millionen von Menschen nur wegen ihrer Religion ermordet, mörderischer antijüdischer Rassismus, das Gerücht über die Juden, Kette unbewusster Annahmen über die Juden und Jüdinnen, rassistische Propagandaerzählung, Widerstand gegen die «jüdische Wissenschaft» kommen in den vier erwähnten Artikeln bereits vor.
Urs Egli, Zürich