Erwachet!: In Zureich auf Bettlerjagd

Nr. 35 –

Michelle Steinbeck schaut eine Hetzkampagne

«Wofür die Bettelmafia dein Geld ausgibt» ist der Titel eines Videos, das mir der Algorithmus kürzlich anbot. Auf dem Vorschaubild Cedric Schild, bekannt für seine lustigen, manchmal investigativen Videos auf der Plattform Izzy (Ringier). Auch wenn die Beiträge kaum mehr über Produktplatzierungen hinausgehen, so ist ­«Supercedi» doch im Grunde supersympathisch geblieben.* Mich interessierte, wie er wohl die rechte Erzählung der «Bettelmafia» demontiert – schliesslich lesen wir sogar in der NZZ, dass diese «zumindest in der Schweiz» ein «Mythos» sei.

Auf den ersten Blick scheint es im Video um einen Bettler in Zürich zu gehen, der eine Krücke hat, die er gar nicht braucht. Es werden verschiedene Aufnahmen von ihm gezeigt: Einmal bettelt er, zitternd auf die Krücke gestützt, dann geht er auf sicheren Beinen in einer Gruppe über die Strasse. Auf der Suche nach dem Plot-Twist klicke ich mich durch das Video: Cedi bei einem Arzt, der ihm bestätigt, dass der Mann auf dem Video seine Krankheit spielt: «Diagnose Betrug». Darauf Cedi mit dem Mediensprecher der Stapo Zürich, der ihm leicht irritiert bestätigt, dass Betteln im Kanton verboten ist, die Polizei aber Besseres zu tun habe, als bettelnde Personen zu jagen. Nicht so Supercedi, seines Zeichens «Aktionskünstler»: Er verfolgt den Mann, rennt ihm lachend nach, will ihn «packen».

Was ist das? Eine Persiflage auf den besorgten Bürger, der Selbstjustiz übt? Oder er­eifert sich der Journalist Cedric Schild hier wirklich über den ältesten Trick der Welt (seit Brechts «Dreigroschenoper» ist «der lästige Zitterer» doch altbekannt)? Und wird hier tatsächlich zur allgemeinen Belustigung und Genugtuung ein Bettler durch Zureichs Strassen gejagt, wobei mit ­einer Begeisterung antiziganistische Klischees bedient werden, dass Roger Köppel wohlig erschaudern würde?

Ich schaue mir das Video noch einmal an, diesmal in voller Länge. Die Kommentare bestätigen: Da ist kein Witz – stattdessen zum Schluss der Verweis auf «organisierte Banden», die «versuchen, euch das Geld aus der Tasche zu ziehen». Schild rät zu «Misstrauen»; wenn schon Spenden, dann etwa an die Caritas. Die schreibt hingegen in einer Broschüre: Für die sogenannte Bettelmafia gebe es «genauso wenig polizeiliche Belege wie für die weit verbreitete Anschuldigung des ‹Sozialtourismus›. Es handelt sich allenfalls um Einzelfälle.»

Für Schild und Izzy ist ein Mann, der das Verbrechen begeht, mit seiner Strategie angeblich «mehr als wir» zu verdienen, offenbar Grund genug, die Mär vom «falschen Bettler» zu reproduzieren und auf plumpeste Weise Ressentiments gegen eine der marginalisiertesten Gruppen überhaupt zu schüren.

Das Perfide dabei: Der rassistische Kontext wird im Video nicht thematisiert, geschweige denn reflektiert. Dass Schild für die Kommunikation mit dem Mann ein paar Worte Italienisch lernt, wird als Gag abgetan. Die «Bettelmafia» im Titel verweist aber klar auf Romnija und Roma aus Südosteuropa, die seit der Pandemie vermehrt in der reichen Schweiz ihr Auskommen suchen. Spätestens seither ist die Stimmung gegen bettelnde Romnija und Roma gefährlich aufgeladen – was sich in den Kommentaren spiegelt. Sich solcher Tendenzen zu bedienen und sie weiter anzustacheln, ist, kurz gesagt, alles andere als super.

Michelle Steinbeck ist Autorin. Sie empfiehlt den Dokfilm «Der zornige Buddha» über eine Schule für Romnija-und Roma-Jugendliche in Ungarn, der kürzlich in der ZDF-Mediathek zu sehen war.

* Korrigenda vom 2. September 2022: In der Printversion sowie in der ursprünglichen Onlineversion steht, Izzy gehöre «mittlerweile» Ringier. Das Social-Media-Magazin gehörte allerdings schon immer Ringier, es wurde 2017 vom Medienunternehmen gegründet. Wir bitten für diesen Fehler um Entschuldigung.