Axpo-Rettungsschirm: Der Riese wankt

Nr. 36 –

Extreme Energiepreise zwingen die Axpo, beim Staat um Hilfe zu bitten. Doch die Probleme des Stromkonzerns sind auch hausgemacht. Die Politik will nun die Schrauben anziehen.

Kühlturm des AKW Leibstadt
Die Probleme der Axpo sind nicht nur einer Verkettung unglücklicher Umstände geschuldet: Kühlturm des AKW Leibstadt. Foto: Florian Bachmann

Martin Neukom, grüner Baudirektor des Kantons Zürich, wirkt am Telefon sachlich, entspannt fast schon. Dabei gab nur wenige Stunden vor dem Telefonat SP-Energieministerin Simonetta Sommaruga bekannt, dass der Stromkonzern Axpo mittels Notrecht unter einen milliardenschweren Rettungsschirm des Bundes gestellt wird. Grösster Eigentümer der Axpo ist der Kanton Zürich – und Neukom dessen offizieller Aktionärs­vertreter. «Akut besteht ein Pro­blem bei der Liquidität, weshalb die Hilfe des Bundes nötig wurde. Die Axpo hat aber kein Problem bezüglich Rentabilität», hält Neukom fest.

Ab 2016 forcierte die Axpo ihre Wachstumsstrategie. Heute ist sie in 32 Ländern tätig.

Konkret stellt der Bund vier Milliarden Schweizer Franken für die Axpo zur Verfügung, um Liquiditätsprobleme zu überbrücken. Der Konzern, fast für die Hälfte der Schweizer Stromproduktion verantwortlich, darf auf keinen Fall ausfallen. Für diesen Kreditrahmen muss die Axpo einen Zins von fünf bis zehn Prozent bezahlen, und sie darf keine Dividenden ausschütten, solange der Kredit offen ist. Die Ursache für die mangelnde Liquidität, so Neukom, liege in den zusätzlichen Sicherheitsleistungen, die die Axpo bei den aktuell stark steigenden Strompreisen an der Börse hinterlegen müsse. «Solche Sicherheiten – man kann sie wie eine Mietkaution betrachten – müssen innerhalb von 48 Stunden hinterlegt werden», so Neukom. Die Axpo habe nach seiner Einschätzung alles unternommen, um diesen Schritt zu vermeiden, denn die Auflagen im Zusammenhang mit dem Rettungsschirm, «der eher eine Liquiditätshilfe ist, sind – besonders im Zinsbereich – unattraktiv».

Geschäften ohne Transparenz

Die analytische Nüchternheit des studierten Naturwissenschaftlers Neukom sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die aktuellen Liquiditätsprobleme der Axpo nicht nur einer Verkettung unglücklicher Umstände geschuldet sind – Krieg gegen die Ukraine, Windflaute im Winter, reparaturbedürftige französische AKWs. Ebenso sind sie in der Geschäftsstrategie zu suchen, die die Axpo seit Jahren verfolgt. Der Konzern ist ein Zusammenschluss der Nordostschweizerischen Kraftwerke, der Innerschweizer CKW und der Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg. Gebildet wurde die Axpo 2001, um auf dem damals frisch liberalisierten euro­päischen Strommarkt neue Renditefelder zu erschliessen. In die gleiche Zeit fallen aggressive Expansionen ins Ausland, etwa nach Italien, wo die Axpo drei Gaskraftwerke teilweise oder ganz besitzt. Ab 2016, nach schwierigen Jahren, forcierte die Axpo ihre Wachstumsstrategie, heute ist sie in 32 Ländern tätig. Zuletzt gründete sie eine Tochtergesellschaft in Singapur, um im wachsenden Markt mit Flüssig­erdgas (LNG) in Asien mitzuverdienen.

In Italien, dem für die Axpo bedeutsamsten Markt nach der Schweiz, ist der Konzern einer der wichtigsten Player im Gross­kundengeschäft. Auch im Handel mit Gas, wo zuletzt enorme Preissprünge auftraten, verzeichnet er hohe Wachstumsraten. Die Risiken dieser Expansionsstrategie treten heute offen zutage. Im letzten Jahr, als die Preisanstiege auf Energie noch moderat ausfielen, stieg der Umsatz von 4,8 Milliarden auf 6 Milliarden Franken, laut eigenen Angaben hauptsächlich aufgrund neu geforderter Absicherungen im Endkunden­geschäft in Italien und Spanien. Geht es beim Rettungsschirm also um die Versorgungs­sicherheit der Schweiz – oder nicht doch ums Geschäft im liberalisierten euro­päischen Strommarkt?

Weder die Axpo noch das Bundesamt für Energie wollen gegenüber der WOZ aufschlüsseln, für welche Deals genau der Konzern die Milliardengarantie des Bundes braucht. Immerhin sagt die Axpo, dass der Bundeskredit vor allem zur Absicherung der Schweizer Stromproduktion gedacht sei. Auch da bringt eine ­Eigenart die Axpo in die Bredouille: Anders als die Konkurrenz, insbesondere als der ebenfalls als «system­kritisch» eingestufte heimische Stromkonzern BKW, handelt die Axpo ihren Strom praktisch vollständig über abgesicherte Termingeschäfte an der Börse. Auch der andere Riese Alpiq verkauft seinen Strom vorwiegend über solche Konstrukte und könnte damit bald in Liquiditätsprobleme geraten. Denn mit Termingeschäften können sich die Stromanbieter zwar vor fallenden Preisen schützen, stecken aber bei extrem hohen Preisen in ­Schwierigkeiten.

Wie lange die Axpo noch als profit­orientierter Konzern ohne wirkliche Transparenzpflicht in einem freien Markt spielen darf, entscheidet sich wohl bereits in der kommende Woche beginnenden Herbst­session. Die Aufsichtsbehörde Elcom hat die Axpo vorsorglich schon jetzt per Verfügung zur Offenlegung ihrer Schweizer Gross­handelsgeschäfte aufgefordert.

Für die Axpo, die sich wie die allermeisten Schweizer Stromfirmen im Besitz der öffentlichen Hand befindet, sei der Profit auf dem liberalisierten europäischen Markt wichtiger als die Versorgungssicherheit im Inland, sagt Kurt Egger, grüner Nationalrat aus dem Thurgau und Mitglied der Ener­gie­kommis­sion: «Das ist absurd und muss sich nun rasch ändern.» Die Versorgungssicherheit sei nur über den dringenden Ausbau der erneuerbaren Energien zu erreichen. «Die Stromkonzerne müssen ab jetzt die Energiewende vorantreiben, statt am Status quo festzuhalten», sagt Egger. Wegen der aktuell hohen Preise werden die Gewinne der Stromfirmen künftig noch höher ausfallen. «Wir Grünen fordern deshalb, dass Übergewinne, die auch wegen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine entstehen, vom Bund künftig abgeschöpft und dann zweckgebunden in den Ausbau der Erneuerbaren investiert werden.»

Auch die SP lässt keinen Zweifel daran, dass sie einen Kurswechsel in der Strom­versorgung anstrebt. «Das aktuelle System mit einem liberalisierten europäischen Strommarkt, auf dem sich viele Schweizer Strom­anbieter eindecken, ist gescheitert», sagt die Aargauer SP-Nationalrätin Gabriela Suter, die ebenfalls in der Energiekommission sitzt. «Die Produktion und auch die Verteilung des Stroms gehören in staatliche Hände und müssen als Service public definiert werden.» Wenn am kommenden Dienstag der Nationalrat das Bundesgesetz für subsidiäre Finanzhilfen für Stromunternehmen berate, auf das sich der Bundesrat derzeit per Notrecht berufe, werde die SP die Forderung nach einem «Boniverbot für Management und VR in allen Stromfirmen stellen», die den Rettungsschirm in Anspruch nehmen werden – «und zwar während der gesamten Dauer der Inanspruchnahme des Darlehens». Das Verbot, so Suter, «soll auch für den aktuellen Fall Axpo gelten, der mit Notrecht geregelt wurde».

Zudem werde die SP einen dringlichen Vorstoss zur Besteuerung der Übergewinne einreichen. «Diese sollen in erster Linie an jene Leute rückverteilt werden, die angesichts der teils massiv steigenden Strom­kosten in den kommenden Monaten ansonsten in soziale Nöte kommen. Aber auch KMUs müssten entlastet werden, weil sonst Arbeitsplatzverluste oder gar Schliessungen drohen», sagt Suter.

Druck von der Strasse

Während für das Boniverbot durchaus Chancen bestehen, vom Parlament abgesegnet zu werden, dürfte es eine Übergewinnsteuer schwer haben. Die GLP lehnt sie ab, es sei nicht praktikabel, Krisengewinne von normalen Gewinnen zu unterscheiden. Die FDP will zwar, dass «langfristig mögliche Gewinne aufgrund der hohen Strompreise an die Stromkonsumenten weitergegeben werden», hält aber fest: «Das ist aber keine Zusage für irgendwelche neue Steuern.» Die SVP findet, «der Staat sollte bei Gewinnen von Unternehmen nicht noch stärker regulieren», und die Mitte-Partei wollte sich nicht spezifisch zum Thema äussern. Aufwind könnte die Forderung nach einer Übergewinnsteuer jedoch erhalten, weil die EU-Kommission diese Woche vermeldet hat, eine solche einführen zu wollen, um Haushalte zu entlasten.

Allenfalls nützt auch der Druck von der Strasse: Der Klimastreik ruft am 23. September in diversen Schweizer Städten zum Protest auf und nimmt explizit auf die aktuelle Energiekrise Bezug. Er fordert einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und einen Baustopp für Gas- und Ölkraft­werke.

Und Martin Neukom? Sieht der grüne Baudirektor Handlungsbedarf in «seinem» Stromkonzern? Neukom sagt, er werde sich als Aktionärsvertreter des Kantons Zürich persönlich dafür einsetzen, dass künftige Gewinne für den Ausbau der Erneuerbaren in der Schweiz eingesetzt würden – ein Feld, das die Axpo mangels Profitaussichten bisher vernachlässigt hat. «Das Ziel – auch für die Axpo – muss ganz klar sein: Raus aus den Fossilen!», sagt Neukom.

Leitartikel zum Thema: «Axpo-Rettung: Desaster mit Ansage»