Tipp der Woche: Hallo, Spaceboy!

Nr. 37 –

David Bowie an einem Konzert
Seht, das genialische Alien: Fans laden David Bowie mit Bedeutung auf. Still: © 2022 Universal Studios

Und dann, mittendrin in diesem Trip, diesem Rausch von Glitter und Glam und Sternenstaub, wird einem auch klar, was fehlt. Die ­Interviews mit irgendwelchen anderen Popstars, die in solchen Musikdokumentarfilmen meist irgendwelche Floskeln über die unermessliche Bedeutung der Hauptfigur in die Kamera aufsagen: In «Moonage Daydream» bleiben sie einem zum Glück erspart. Das einzige Prisma, durch das David Bowie (1947–2016) hier gespiegelt wird, ist in diesem Fall: David Bowie selbst, in seinen unzähligen ­Inkarnationen.

Es ist ein überwältigendes Kaleidoskop aus grösstenteils noch nie gesehenem Archivmaterial, das der US-Regisseur Brett ­Morgen hier komponiert hat – für ein Porträt des Künstlers als Projektionsfläche. Bowie ist fast der Einzige, der darin zu Wort kommt, auf der Bühne, im Fernsehen, oft auch im Off. Und er erweist sich früh als hellsichtiger Beobachter seiner Rolle als Identifikationsfigur, wenn er sagt, die Leute hätten etwa seinen Ziggy Stardust mit mehr Bedeutung aufgeladen, als er diesem mitgegeben habe. Der Künstler sei nicht wirklich da, sagt Bowie hier, der existiere nur in der Fantasie der Menschen.

Nur noch Entertainer?

Später dann, zur Zeit von «Let’s Dance», will er gar nichts mehr zu sagen haben. Aber der konventionelle Superstar, der jetzt nur noch Entertainer sein will, ist ja wieder nur eine Rolle, die wir mit Substanz füllen dürfen – und die er an der nächsten Biegung wieder gegen eine andere Figur eintauscht, zum Beispiel die des eigenwilligen Avantgardisten.

Dramaturgisch folgt Regisseur Morgen lose Bowies Schaffensphasen, wobei sich die Songs im Film längst nicht immer an die Chronologie halten. Denn «Moonage Day­dream» ist auch ein berauschendes 140-Minuten-Musikvideo, für das Bowies langjähriger Produzent Tony Visconti eine Unmenge an Songs wie zu einem posthumen Konzept­album nochmals neu zusammengemischt hat. Die musikalischen Weg­gefährt:in­nen, die mit Bowie Studio und Bühne teilten, bleiben dabei Staffage. Namentlich genannt wird im Film einzig Brian Eno; alle anderen werden erst im Abspann prominent aufgelistet. Bowie erscheint so als genialisches Alien, das alles aus sich selber schuf.

Rückzug des Fabelwesens

Nur einmal kippt «Moonage Daydream» in einen flachen Starschnitt. Da nimmt das Privatleben plötzlich ungewohnt viel Raum ein, als sich das queere Fabelwesen von einst in die heterosexuelle Ehe zurückzieht – und der Film das auch noch als eine private Offenbarung feiert. (Bowies Witwe Iman ist neben Brian Eno die einzige Person, die im Film auch einen ­Namen hat.)

Wenn David Bowie sich immer neu erfindet und von seiner hoffentlich nie abgeschlossenen Selbstsuche spricht oder sinngemäss auch von der Komfortzone, die er habe verlassen müssen, um kreativ zu bleiben: Dann klingt einiges davon heute nach postmodernem Gemeinplatz oder, schlimmer noch, nach Maximen aus der Businessklasse. Doch Bowie kann man das nicht anlasten. Vielmehr macht «Moonage Daydream» nochmals erfahrbar, wie revolutionär sein fluides Spiel war, bevor sich solche Gesten zum neoliberalen Imperativ verselbstständigten.

«Moonage Daydream». Regie: Brett Morgen. USA 2022. Jetzt im Kino.