Myanmar : «Der Widerstand siegt, oder das Land zerfällt»

Nr. 38 –

Der Bürgerkrieg in Myanmar dauert an und wird brutal geführt. Dennoch gibt es hoffnungsvolle Anzeichen, auch weil die Kräfte des Widerstands zunehmend zusammenarbeiten.

Markt in der thailändischen Grenzstadt Mae Sot
Der Markt von Mae Sot: In der thailändischen Grenzstadt leben viele aus Myanmar geflüchtete Dissident:innen.

Myo Ko verbringt seine Zeit gerne im Café Loot Lat Yay. Seit der Eröffnung vor zwei Monaten ist das Café in der thailändischen Grenzstadt Mae Sot zu einem beliebten Treffpunkt von Dissidentinnen, Bürgerrechtler:innen, Journalisten und Demokratieaktivist:innen aus Myanmar geworden. Myo Ko lebt seit Ende 2021 in Mae Sot, in seiner Heimat war er Student und im Widerstand gegen die Junta aktiv: «Bei Demonstrationen schossen die Soldaten mit scharfer Munition auf uns. Ein Freund wurde verwundet. Es wurde immer aktiver nach Dissidenten gesucht. Ich musste mich verstecken», erzählt der 27-Jährige. Weil die Situation für ihn immer gefährlicher wurde, floh er mit seiner Familie in das «befreite Gebiet» in Kayin im Osten Myanmars.

Der Unionsstaat, Heimat der Volksgruppe der Karen, ist einer der Hotspots des Kriegs der Junta gegen den Widerstand. Als dort die Kämpfe zwischen der Armee und dem bewaffneten Widerstand eskalierten, flüchteten sie bei einer gefährlichen Nacht-und-Nebel-Aktion durch den Dschungel über den Fluss Moei in die grenznahe Stadt Mae Sot, wo auch jetzt immer mal wieder dumpfes Geschützgrollen aus der Ferne zu hören ist.

Junta auf falschem Fuss erwischt

Viele Menschen aus Myanmar leben seit langem legal in Mae Sot. Andere sind illegale Flüchtlinge, die sich – wie Myo Ko – mit Schwarzarbeit über Wasser halten, immer in Gefahr, von der thailändischen Polizei aufgegriffen zu werden. Nach Schätzungen von Hilfsorganisationen sind alleine seit Januar 2022 mehr als 50 000 Menschen aus Kayin nach Mae Sot geflohen. Das Leben dort ist an der Oberfläche beschaulich. In kleinen Geschäften und Werkstätten gehen Thailänder:innen ihrer Arbeit nach. Myanmar:innen verkaufen auf dem «Burmese Market» Obst und Gemüse, Fleisch und Fisch, Edelsteine und Kunsthandwerk. Allerdings findet Letzteres derzeit kaum Abnehmer:innen. Touristinnen und Touristen sind wegen Corona und auch wegen der mit dem Putsch vom Februar 2021 erfolgten Schliessung des Grenzübergangs «Brücke der Freundschaft» über den Fluss Moei spärlich geworden.

Mae Sot ist neben der 230 Kilometer entfernten thailändischen Grossstadt Chiang Mai seit Jahrzehnten die Basis für Dissident:innen aus Myanmar, die seit Anfang der sechziger Jahre für demokratische Reformen kämpfen. Aber selbst im Exil sind sie nicht sicher vor dem Regime. «Vor kurzem wurden in einem Tempel in Mae Sot Spione aus Myanmar verhaftet, die vorgaben, buddhistische Mönche zu sein», weiss Thet Swe Win. Der 37-Jährige ist ein führendes Mitglied der Widerstandsbewegung Myanmars. Er lebt seit einem Jahr in Mae Sot und ist der Gründer des Cafés Loot Lat Yay.

Thet Swe Win
Thet Swe Win

«Natürlich mache ich mir Sorgen um die Sicherheit meiner Mitarbeiter und Gäste. Ich weiss, dass wir beobachtet werden. Aber bisher ist nichts passiert», sagt der stark tätowierte Thet Swe Win. Er ist Mitglied des nach dem Militärputsch gegründeten ­«National Unity Consultative Council», der den Dialog über die Zukunft Myanmars zwischen den vielen Widerstandsorganisationen – von Gruppen und Milizen der ethnischen Minderheiten bis hin zu politischen Parteien – und der Untergrundregierung «National Unity Government» (NUG) organisiert und fördert.

Der Bürgerkrieg in Myanmar geht derweil unvermindert und brutal weiter. Die «Tatmadaw» genannte Armee kämpft einen Mehrfrontenkrieg in weiten Teilen des Landes. Mehr als 6600 Gefechte zwischen der Armee und den bewaffneten Widerstandsgruppen haben seit dem Putsch vor eineinhalb Jahren stattgefunden, davon mehr als die Hälfte in der Region Kayin.

Den Widerstand der seit über sieben Jahrzehnten für Autonomie kämpfenden Milizen der ethnischen Minderheiten hatte Putschgeneral Min Aung Hlaing bei seiner Machtergreifung einkalkuliert. Kalt erwischt wurde er aber von der Gründung der «Volksverteidigungsarmee» durch die NUG, die vor allem im Kernland der ethnischen Mehrheit der buddhistisch-nationalistischen Bama erfolgreich ist, dem eigentlich wichtigsten Rekrutierungsgebiet der Armee. «Die Tatmadaw hat nicht verstanden, dass auch die Bama bei den Wahlen mehrheitlich für prodemokratische Kräfte gestimmt haben», sagt Bo Kyi auf der Veranda seines Hauses an der thailändisch-myanmarischen Grenze. Der Gründer einer NGO, die sich für politische Gefangene in Myanmar einsetzt, fügt hinzu: «Sie haben die Freiheit kennengelernt, und die wollen sie sich nicht mehr nehmen lassen.»

Bevorstehende Grossoffensive

Zur Überraschung von Sicherheitsexpert:innen wie auch des Widerstands selbst sind die ethnischen Milizen und die dezentral operierende «Volksverteidigungsarmee» recht erfolgreich und die Junta in der Defensive. Das Militärregime habe nur noch 17 Prozent von Myanmar fest in der Hand, heisst es im neuen Report des «Special Advisory Council for Myanmar», einer unabhängigen Expert:innengruppe. Die Untergrundregierung und die mit ihr verbündeten Widerstandsgruppen hingegen kontrollierten 52 Prozent des Landes. Das verbleibende Gebiet sei umkämpfter Raum und oft das Ziel von willkürlichem Beschuss der Zivilbevölkerung und Brandstiftung durch die Armee, die zwischen Februar 2021 und Juli 2022 deutlich mehr als 20 000 Gebäude in den Dörfern niederbrennen liess.

Der Militärexperte Tony Davis warnt aber vor verfrühtem Optimismus. «Man kann noch nicht von befreiten Gebieten sprechen», betonte Davis Anfang Monat bei einer Veranstaltung des Institute for Security and International Studies (Isis) der Chulalongkorn-Universität in Bangkok über die Lage in Myanmar. Die Bodentruppen der Junta stünden in den ländlichen Gebieten derzeit auf verlorenem Posten. «Deshalb setzt die Junta auf die Luftwaffe. Mit russischen Kampfjets bombardieren sie Stellungen der Widerstandstruppen und Dörfer», weiss Davis. Russland hat sich zum wichtigsten Waffenlieferanten der Junta entwickelt.

Auf der Seite des Widerstands fehlt es an Waffen zur Flugabwehr und vor allem bei der «Volksverteidigungsarmee» an einer einheitlichen Kommandostruktur, während alle Anzeichen auf eine bevorstehende Grossoffensive der Tatmadaw mit der Luftwaffe hindeuten. «An vielen Orten gibt es mehrere, zum Teil konkurrierende Milizen», sagt Expertin Gwen Robinson vom Isis während der Veranstaltung in Bangkok. Mit massiven Waffenlieferungen aus dem Ausland wie für die Ukraine kann der Widerstand aber nicht rechnen. «Jede grössere Waffenlieferung würde eine Reaktion Chinas provozieren», sagt Davis.

Robinson hält für die kommenden Monate drei Szenarien für möglich: «Erstens: Das Land zerfällt. Die Städte werden von der Armee gehalten, die ländlichen Regionen vom Widerstand. Option zwei ist eine noch massivere Unterstützung der Junta durch Russland und zu einem geringeren Grad durch China. Oder aber der Widerstand siegt. Das ist plötzlich keine abwegige Vorstellung mehr.»

Letztlich wird Waffengewalt den Bürgerkrieg entscheiden – zu wessen Gunsten auch immer. Die Zukunft Myanmars aber muss in einem politischen Dialog geformt werden. Da ist es ein positives Zeichen, dass zwischen den diversen Gruppen aus der Zivilbevölkerung und den militärischen Widerstandsorganisationen, von denen manche bis zum Putsch überhaupt nicht miteinander umgehen konnten, intensive Gespräche laufen. «In den letzten neun Monaten hat es zwischen allen Beteiligten mehr Dialog gegeben als im Friedensprozess der letzten zehn Jahre», sagt Nyantha Maw Lin in Bangkok. Der im Exil lebende politische Analyst aus Myanmar macht aber auch klar, dass das Volk das Vertrauen auf Hilfe der internationalen Gemeinschaft verloren hat. «Wir sind auf uns selbst gestellt.»

Ko Myo sitzt im Café Loot Lat Yay in Mae Sot vor einer Tasse birmanischem Tee und sagt, dass er sich am liebsten einer Gruppe der «Volksbefreiungsarmee» anschliessen und für die Freiheit seiner Heimat kämpfen wolle. «Das kann ich aber leider nicht machen. Meine Mutter ist krank, unser Geld geht zu Ende. Meine Eltern mussten wegen mir fliehen. Also muss ich jetzt für sie sorgen.»