Von oben herab: Peanuts

Nr. 39 –

Stefan Gärtner über die arme Schweizergarde

Das Wort «Schweizergarde» existiert in meinem Wortschatz hauptsächlich darum, weil es in Rio Reisers Hit «König von Deutschland» vorkommt, in dem das singende Ich sich ausmalt, wie es wäre, wäre es König: «Reinhard Mey wäre des Königs Barde / Paola und Kurt Felix wären Schweizergarde / Vorher würd ich gern wissen, ob sie Spass verstehen / Sie müssten 48 Stunden ihre Show ansehen», und das hat mir auch als Heranwachsender schon überaus eingeleuchtet. Rio Reiser ist lange tot, «Verstehen Sie Spass?» gibt es immer noch, und man muss kein ausgesprochener Fan von Rio Reiser sein, um darüber doch die Theodizeefrage zu stellen, eine Frage, die in meinem intellektuellen Alltag so selbstverständlich zu Hause ist wie die Schweizergarde im Vatikan.

In Luzern hätten sie auch über 40 Franken abgestimmt.

Eine Überleitung, so glanzvoll wie die Wahrheit trist, denn die Schweizergardisten hausen in einer feuchten und bröckelnden Kaserne in Mehrbettzimmern, und das Klo ist auf dem Gang. Ich meine, wer Spass daran hat, stundenlang verkleidet und mit Helm auf dem Kopf vorm Vatikan Wache zu halten, damit Kommunistinnen und Freimaurer den Papst nicht klauen und Leute zufrieden sind, deren Lebensziel in der vollen Milliarde Handyfotos besteht, dem ist dann vielleicht auch wurscht, wenn er auf einem verwanzten Strohsack schlafen muss. Aber da die moderne Welt so streng aufs Menschenrecht hält und Papst Franzl ja praktisch Sozialist ist, werden die Unterkünfte nun renoviert, aber nicht vom Vatikan, der weiss, dass nur die Armen ins Himmelreich kommen, und seiner Garde da nichts verbauen will. Also zahlt er nur die Unterbringung während der Renovierung, die fünfzig Millionen Franken kostet und von einer «Stiftung für die Renovation der Kaserne der Päpstlichen Schweizergarde im Vatikan» übernommen wird. Die Kantone zahlen auch, am meisten das Wallis, nämlich eine Million, 200 000 mehr als der reiche Kanton Zürich, und da stellen sich jetzt wohl «rechtliche Fragen», wie die «Neue Zürcher Zeitung» schlaglichtartig zusammenfasste, um per Zwischentitel nachzufassen: «Der Vatikan liegt nicht im Wallis». Nee, weil, der liegt ja im Vatikan! Vielleicht braucht es auch noch eine «Stiftung für die Renovation des Oberstübchens der NZZ», auch wenn da fünfzig Millionen womöglich nicht reichen …

«Scherz» beiseite, denn nicht alle Kantone haben Lust, ihren auf gut helvetische Art hart erwirtschafteten Stutz einfach so dem Papst zu schenken. Die Stimmbevölkerung des Kantons Luzern etwa hat die bereits bewilligten 400 000 Franken am Sonntag wieder einkassiert. Und ich schreibe diese Kolumne ja nun schon das eine oder andere Jahr, staune aber doch immer wieder: dass das Schweizervolk sich wegen 400 000 Franken sonntags die Jacke anzieht und abstimmen geht – ausser natürlich in Zürich, wo die Leute sich sagen: Zweimal essen in der Kronenhalle, weshalb die Aufregung? Das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz beträgt an die 750 Milliarden US-Dollar, und jeder gewöhnliche Kindergarten kostet ein Vielfaches dessen, was, volkswirtschaftlich gesehen, tatsächlich Peanuts sind. Aber es geht ums Prinzip, die Abstimmung hat die Freidenkervereinigung der Schweiz lanciert, und ich wärme mich an dem Gedanken, dass sie in Luzern auch über 4000 Franken abgestimmt hätten, ja sogar über 40.

Dass es in Zürich zu keiner Abstimmung gekommen ist, tut mir dagegen für Ruedi leid, der immer noch daran nagt, nie Schweizergardist gewesen zu sein, wegen eines völligen Mangels an Eignung. «Sie müssen katholische männliche Schweizer, zwischen 19 und 30 Jahre alt, mindestens 1,74 Meter gross und sportlich sein. Zusätzlich müssen sie einen einwandfreien Leumund besitzen», hat er mir mal grimmig aus Wikipedia zitiert. «‹Einwandfrei›, diese Penner, nur weil ich einmal …», aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

Sein Buch «Terrorsprache» ist im WOZ-Shop erhältlich unter www.woz.ch/shop.