Film: Aufstieg in die Hölle

Nr. 40 –

Wie Queen Elizabeth II wäre sie dieses Jahr 96 geworden, Marilyn Monroe ist aber schon vor sechzig Jahren gestorben, Bilder einer gealterten Ikone existieren nicht. Stattdessen gilt sie bis heute weithin als Inbegriff von Weiblichkeit und Sexyness. Nun ist Andrew Dominiks «Blonde» zwar kein Enthüllungsbiopic, sondern eine Adaption des gleichnamigen Romans von Joyce Carol Oates. Aber es gelingt seinem Film, schlüssig aufzuzeigen, dass an diesem Image etwas grundverkehrt ist.

Der Film folgt einerseits der bekannten Linie, dass Marilyns Weg zum Ruhm mit Traumata gepflastert war. Von der Mutter in der Badewanne fast ertränkt, ins Waisenhaus abgeschoben, früh als Pin-up-Girl ausgebeutet und bald schon auf der Castingcouch missbraucht: So zeichnet der Film nach, wie Norma Jeane Baker (Ana de Armas) einen Hollywoodvertrag ergattert. In Dominiks Darstellung ist es weniger der Ehrgeiz, der die junge Frau voranbringt, sondern ein Schicksal, das ihr die Dinge zustossen lässt. Ob in «Niagara», in «Gentlemen Prefer Blondes» oder als Objekt der Begierde in «The Seven Year Itch»: Jeder Triumph ist mit neuen Kränkungen und Schmerzen verbunden. Der Weg nach «oben», bis ins Bett eines sexsüchtigen Präsidenten, der sie zum Blowjob nötigt, erweist sich als Abstieg in immer schlimmere Kreise der Hölle.

Als exzesshafte, überdramatische Interpretation einer Hollywoodkarriere erinnert «Blonde» mehr an Filme der Fünfziger als an heutige Biopics. Ana de Armas imitiert überzeugend, wenn auch etwas monoton, den kindlich-naiven Modus, den Marilyn für ihre Auftritte als «dummes Blondchen» kultivierte, ist damit aber auch zur Oberflächlichkeit verdammt. Seine grösste Wirkung entfaltet der Film immer dann, wenn Autor und Regisseur Andrew Dominik in der Rekonstruktion von Marilyns ikonischen Posen das voyeuristische Dahinter, die Ausbeutung und den würdelosen Umgang mit ihr herausarbeitet. Die Szene aus «The Seven Year Itch», in der sich ihre Figur über einem U-Bahn-Schacht den Rock hochblasen lässt, erscheint auf einmal so, wie sie vielleicht schon immer war: erschreckend geschmacklos.

Filmstill aus dem Film «Blonde»

«Blonde». Regie: Andrew Dominik. USA 2022. Jetzt auf Netflix.