Ueli Maurers Rücktritt: Abgestumpft

Nr. 40 –

Was für eine Überraschung: Nach fast vierzehn Jahren in der Regierung kündigte letzte Woche der amtsälteste Bundesrat mit 71 Jahren seinen Rücktritt an. Eine Schockwelle erfasste die politische Schweiz. Und wie schon nach dem Tod der Queen und dem Rücktritt von King Roger waren bald alle Medien voll mit Huldigungen und Danksagungen. So lobte etwa die NZZ in einem pathetischen Kommentar, Maurer habe sein Leben lang für «das Vaterland» gearbeitet, er habe auch «die komplexesten Zusammenhänge im Nu erfasst», und überhaupt habe die Schweiz «Ueli Maurer viel zu verdanken».

Besonders hoch im Kurs waren zudem lobende Worte politischer Gegner:innen. Etwa von Simonetta Sommaruga, Cédric Wermuth und Jacqueline Badran, die alle betonten, dass sie sich zwar politisch nie einig mit Maurer gewesen seien, aber ihn halt doch einfach geschätzt hätten. Solche Beteuerungen kommen immer gut an. Bei der Vorstellung, Vertreter:innen gegensätzlicher Parlamentspole könnten nach der Session miteinander ein Bierchen trinken, wird es den meisten Journalist:innen im Land offenbar wohlig warm.

Macht dank Hetze

Mit Maurer geht jetzt also der Bodenständigste von allen. Der Krampfer, der es immer so schwer gehabt habe im Schatten des rechten Übervaters Christoph Blocher.

Tatsächlich ist Maurer einer der einflussreichsten Schweizer Politiker:innen der letzten Jahrzehnte. Als er 1996 Parteipräsident der SVP wurde, lag der Wähler:innenanteil der «Volkspartei» noch bei 14,9 Prozent, nach zwölf Jahren seiner Präsidentschaft ziemlich genau doppelt so hoch. Bedeutender als die Sitzgewinne ist aber die Kursänderung, die Maurer gemeinsam mit seinen Zürcher Kameraden zu verantworten hat. Sie lösten die Berner Sektion als bestimmende Kraft innerhalb der Partei ab und machten die SVP zu einer rechtspopulistischen Partei, die sich mittels Hetze Aufmerksamkeit und Macht verschafft.

Maurer wurde lange belächelt und verharmlost – man erinnere sich an Viktor Giacobbos Parodien. Seine Provokationen waren aber eiskalt kalkuliert. Gegenüber der Reporterin Margrit Sprecher erklärte er 2003, dass die Kamera eben auf ihn gerichtet bleibe, solange er das N-Wort benutze, und gestand unumwunden: «Es braucht immer neue Formen der Eskalation.»

Die Eskalationsstufen sind bekannt: schwarze Schafe, braun gezeichnete Hände, die nach Schweizer Pässen greifen, rhetorische Angriffe auf Menschengruppen, die die Partei als nicht zugehörig betrachtet. Die SVP hetzt gegen Minderheiten und Andersdenkende. Und das Land hat sich längst daran gewöhnt. Auch dank Maurer, der früh begriffen hat, dass «extrem» ein relativer Begriff ist und dass die Verschiebung seiner Bedeutung mindestens so wichtig ist wie der Gewinn von Parlamentssitzen.

Zwinkern im Trychlerhemd

Die Medien bekunden dagegen mit dieser Erkenntnis bis heute Mühe. Die meisten Kommentator:innen geben sich damit zufrieden, die im Parlament vertretenen politischen Kräfte möglichst gleichmässig abzubilden. Sie verwechseln die Mitte des politischen Spektrums mit der Mitte der gewählten Legislative, die sich in den letzten Jahrzehnten dank Politiker:innen wie Maurer immer weiter nach rechts verschoben hat.

Die Medien trugen damit wesentlich zur Normalisierung des von der SVP in die Öffentlichkeit getragenen Rassismus bei. Maurer habe die Schweiz gelehrt, mit der SVP zu leben, war nach seinem Rücktritt im «NZZ Magazin» zu lesen. Genauer wäre: Er hat sie erfolgreich abgestumpft.

Das belegen jetzt die hymnischen Abgesänge auf Maurers Karriere, die den SVP-Politiker zur Integrationsfigur hochstilisieren. Dass sich Mauerer steuerpolitisch immer (und fast ebenso oft erfolglos) für die Reichen und die Konzerne einsetzte, dass er auch als Regierungsmitglied nicht damit aufhörte, immer wieder der noch extremeren Rechten zuzuzwinkern – etwa im T-Shirt der Freiheitstrychler –, kaum der Erwähnung wert. Bezeichnend war hingegen, dass der SVP-Provokateur während seiner Rücktrittserklärung nonchalant noch mal eben eine transphobe Aussage machte.