Erwachet!: Kei Ahnig und kei Luscht

Nr. 41 –

Michelle Steinbeck erlebt eine emotionale Achterbahnfahrt

Beim Glotzen kam ich letzthin voll auf meine Kosten. Das übliche Sonntagabendprogramm lieferte ein Cellulite-Killer-Wechselbad-der-Gefühle: unverhoffte Freude, die direkt nach dem Aufkeimen brutal niedergeschmettert wird, sich in Unglauben, Verstörung, Verzweiflung wälzt, um schliesslich in flammender Wut aufzugehen. Was für ignorante Dumpfbacken regieren uns eigentlich?

Aber der Reihe nach. Die Sendung «Deville» vom 2. Oktober warf einen Blick auf die Herbstsession in Bern. Da ist eine Nationalrätin Humbel, die das Wort Gebärmutterschleimhaut nicht aussprechen kann. Peinlich, kann passieren, lach lach. Obwohl die Frau von der Mitte ist, weckt sie in diesem Moment Hoffnungen und eine vorsichtige Euphorie: Auch wenn sie Endometriose falsch definiert – es handelt sich eben nicht um «eine Wucherung der Gebärmutterschleimheit äh Schlaumheit», sondern um gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe –, ist das doch ein erfreuliches Zeichen, dass sich etwas tut. Bewusstsein für die Krankheit verbreiten, Forschungstöpfe öffnen, ja los!

Der Dämpfer folgt sogleich: Noch bei der Ankündigung der Motion «Förderung von Forschung und Therapie für spezifische Frauenkrankheiten» stehen mehrere, vorwiegend männlich gelesene Abgeordnete demonstrativ auf und verlassen den Saal. Quiet Quitting für Nationalräte. Ihr könnt grad draussen bleiben, im Fall!

Die darauffolgenden Gespräche, die Satirikerin Patti Basler mit Nationalrät:innen zum Thema führt, das diese eigentlich gerade behandelt hatten, sind leicht zusammengefasst: Couldn’t care less. «Ich ha kei Ahnig, duet mer leid» ist noch die beste Aussage. «Das müend Si d Fraue froge» scheint die geläufigste Meinung, aber auch die Nationalratspräsidentin findet: «Ich mues nüt wüsse über Frauechrankete.» Der bald wieder «normale» Ueli bringt es auf den Punkt, wenn er Basler anblafft: «Vill dümmer chamer nöd sy als Ihr sind. Tschuldigung.» Nur trifft das offenbar eher auf Maurer und seine Kolleg:innen zu.

Tschuldigung, bei diesem Thema reagiere auch ich zugegeben etwas entzündlich, ich meine empfindlich, schliesslich scheitere ich seit bald einem Jahr am Selbststudium dieser Krankheit, über die ich mir zuweilen verzweifelt dilettantisches Wissen anzueignen versuche, weil sie trotz ihrer weiten Verbreitung himmelschreiend unerforscht ist.

Für Betroffene ist das verheerend: Weil selbst Ärzt:innen und sogar Gynäkolog:innen keine bis wenig Ahnung von Endometriose haben, wird dir eher der Blinddarm rausoperiert, als dass du die richtige Diagnose bekommst. Und wenn dich nach durchschnittlich sieben Jahren die lose herumstreunende Information findet, dass es zertifizierte Endometriosezentren gibt, wirst du dort vom kümmerlichen Strauss an Behandlungsmöglichkeiten ernüchtert. Heilung gibt es keine, die Ursachen für die Entstehung sind ungeklärt.

Daran soll sich laut Bundesrat auch nichts ändern: Er hat beantragt, die erwähnte Motion abzulehnen, wie schon eine ähnliche in der diesjährigen Frühlingssession sowie eine weitere im letzten Jahr. Ich weiss nicht, was mich wütender macht: die Copy-paste-Stellungnahmen, die Endometriose gönnerhaft als «Reduktion des Wohlbefindens» anerkennen – Verharmlosung ist gar kein Ausdruck! –, oder der lapidare Running Gag, das würde nicht in seiner Zuständigkeit liegen.

Michelle Steinbeck ist Autorin. Ihre Zuständigkeiten liegen eigentlich auch woanders.