Nukleare Bedrohung: Lehren aus der Vergangenheit

Nr. 41 –

Der Krieg gegen die Ukraine eskaliert weiter. Anfang dieser Woche liess der russische Präsident Wladimir Putin Kyjiw und weitere ukrainische Städte mit Raketen beschiessen. Der Terrorangriff gegen die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur zeigt einmal mehr, wie skrupellos und gewalttätig das russische Regime vorgeht. Immer dringender stellt sich die Frage: Wie ernst meint Putin die nuklearen Drohungen, die er zunehmend unverhohlener ausspricht?

Bisher besteht laut vielen Sicherheitsexpert:innen keine unmittelbare Gefahr, doch niemand kann ausschliessen, dass der unberechenbare Präsident irgendwann auch zu Atomwaffen greifen wird. Es gilt ohnehin: Solange es solche Waffen gibt, besteht die Gefahr, dass sie eingesetzt werden. Putin ist in der aktuellen Situation ohne jeden Zweifel der Aggressor. Doch dafür, dass ein Atomkrieg derzeit so realistisch ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr, sind alle Atommächte mitverantwortlich.

Die Antwort kann nur die komplette Abschaffung von Atomwaffen sein.

Die heutige globale Nuklearordnung, die immer unübersichtlicher wird, hat ihre Wurzeln im Kalten Krieg. Die beiden Grossmächte USA und Sowjetunion lieferten sich bis in die 1980er Jahre ein gigantisches nukleares Wettrüsten, geleitet vom Prinzip der gegenseitigen Abschreckung, das auf der Drohung beruhte, Hunderttausende Zivilist:innen mit Atomwaffen vernichten zu können. Nach dem Ende des Kalten Krieges traten zahlreiche internationale Rüstungskontrollabkommen in Kraft, die Atomwaffenbestände der neun Atommächte verringerten sich deutlich, vollständig und endgültig vernichtet wurden sie jedoch nicht. Die USA und Russland, die über neunzig Prozent der knapp 13 000 heute existierenden Nuklearwaffen besitzen, widersetzten sich dem, genauso wie das transatlantische Militärbündnis Nato.

Nach einer Ruhephase setzte vor rund einem Jahrzehnt ein erneutes Wettrüsten der Atommächte ein – unkoordiniert und in erster Linie gestützt auf nationale Interessen. Allein letztes Jahr beliefen sich die globalen Ausgaben für den Unterhalt und die Modernisierung der nuklearen Waffenarsenale auf über achtzig Milliarden US-Dollar. Forscher:innen sprechen vom dritten atomaren Zeitalter, das mittlerweile angebrochen sei. Internationale Abkommen sind mittlerweile praktisch wirkungslos, erprobte Regeln und bewährte diplomatische Ansätze haben an Gültigkeit verloren.

Molly McGinty von der Vereinigung Internationale Ärzt:innen für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) sagte kürzlich an einer Uno-Konferenz in New York, die jüngsten nuklearen Drohungen seien ein Symptom für ein kaputtes System, das es neun Nationen erlaube, die Welt mit ihren völkermörderischen Waffen in Geiselhaft zu nehmen. Was für absolut katastrophale humanitäre Folgen ein Atomkrieg hätte, skizzierte McGinty in New York eindringlich: «Ein Atomkrieg mit weniger als drei Prozent der weltweiten Atomwaffen könnte bis zu jeden dritten Menschen auf der Erde töten.» Ein umfassender Atomkrieg zwischen Russland und den USA würde das Überleben der Menschheit bedrohen.

Die von der militärischen Logik der Macht des Stärkeren dominierte Aufrüstungsspirale hat die Welt an den Rand des Abgrunds geführt. Mittelfristig kann darauf nur die komplette Abschaffung von Atomwaffen die Antwort sein. Ein entsprechender Vertrag ist zwar in Kraft, aber die Atommächte, sämtliche Nato-Staaten und auch die Schweiz weigern sich, ihn zu ratifizieren.

Kurzfristig ist ein Blick auf die Kubakrise hilfreich, die vor exakt sechzig Jahren ihren Anfang nahm. Auch damals stand die Welt unmittelbar vor einem Atomkrieg. Er konnte verhindert werden, weil der damalige US-Präsident John F. Kennedy nicht allein auf militärische Antworten pochte. Kennedy sagte später, die wichtigste Lektion aus der Kubakrise sei gewesen, seinem sowjetischen Widersacher Nikita Chruschtschow einen Ausweg zu lassen, nur so lasse sich eine Eskalation bis zum Einsatz von Atomwaffen verhindern.

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Kommentare

Kommentar von JanMartz

Sa., 15.10.2022 - 06:34

Ausweg = Abzug aus der Ukraine