Durch den Monat mit Köbi Gantenbein (Teil 4): Einheitslohn und Hierarchie – geht das zusammen?

Nr. 43 –

Als Chef des Magazins «Hochparterre» versuchte Köbi Gantenbein, seine eigene Macht einzuschränken. Manchmal warf die Betriebsversammlung seine Entscheide über den Haufen. Für Entlassungen war er aber allein verantwortlich.

Köbi Gantenbein im Regenmantel draussen
Köbi Gantenbein: «Ich wollte ‹Hochparterre Weine› lancieren, aber die Betriebsversammlung hat das verhindert.»

WOZ: Köbi Gantenbein, Sie sind im Sommer als Verleger und Hauptaktionär des «Hochparterre» zurückgetreten. Fanden Sie es schwierig, Ihr Lebenswerk loszulassen?

Köbi Gantenbein: Am 31. Mai habe ich mein Pult geräumt und dachte: Jesses, was passiert jetzt wohl? Aber ich war erstaunt, wie gut es ging. Ich habe auch etliche andere Arbeiten – in Stiftungsräten, Verwaltungsräten, Vereinen – aufgegeben. Ich leite noch die Kulturkommission Graubündens und den Bündner Literaturpreis, sonst gehöre ich nur noch mir und meiner Frau Luci. Diesen Sommer habe ich Dinge abgesagt, die ich vor fünf Jahren nicht hätte verpassen wollen. Ich sagte 35 Jahre lang: Warum soll man in die Ferien, wenn man so schöne Anfragen hat? Das ist jetzt anders. Ich sage meistens Nein und staune über mich. Ich dachte, ich trage schwerer.

Gehen Sie gar nicht mehr ins «Hochparterre»-Büro?

Doch, ich gehe gerne hin und wieder vorbei, fühle mich auch herzlich willkommen, aber ich hocke aufs Maul. Der Köbi ruft nicht vom Berg herunter. Ich habe etliche Kollegen erlebt, die als ehemalige Chefs in ihren Architekturbüros herumgeistern, nicht loslassen können – das ist mir eine Warnung.

Bevor Sie gegangen sind, haben Sie «Hochparterre» umgebaut. Früher waren Sie Mehrheitsaktionär, jetzt ist es eine Stiftung.

Ja. In der Stiftungsurkunde stehen die Grundsätze «Liberté, Égalité, Solidarité», und der Stiftungsrat muss seine Politik entlang dieser drei Werte formulieren.

«Hochparterre» hat einen Einheitslohn wie die WOZ, aber anders als die WOZ eine hierarchische Struktur. Geht das zusammen?

Die Betriebsversammlung ist das wichtigste Gremium von «Hochparterre». Da sind alle dabei, ob Aktionär:innen oder nicht. Sie bestimmt die Geschäfte mit, auch die Geschäftsleitung. Bis zu meinem Weggang spielte die personale Autorität eine grosse Rolle, zuerst Benedikt und Köbi, dann ab 2010 Köbi allein. Ich habe mich aber mit institutioneller Autorität gezügelt, zum Beispiel ein Redaktionsstatut geschrieben, in dem steht: Die Betriebsversammlung kann mit der Hälfte der Mitglieder plus einer Stimme jeden Entscheid des Chefredaktors kippen.

Ist das einmal passiert?

Mehrmals. Ich wollte zum Beispiel «Hochparterre Weine» lancieren. Mein Bruder Daniel ist Weinbauer, und ich bin gerne ein regsamer Geschäftsmann, das habe ich von meiner Mutter. Ich dachte, Architektinnen und Architekten sind verwöhnte Kerli, das läuft sicher gut, und Daniel macht ein wunderbares Programm. Ich hatte schon alles vorbereitet – aber die Betriebsversammlung war dagegen. Sie fand, nein, wir machen keine Weinhandlung, sonst können wir auch noch «Hochparterre Handschuhe» machen oder was immer.

Hat Sie das frustriert?

Nein. Ich wusste, meine Entscheide waren dann gute Entscheide, wenn sie sich vor einer Mehrheit der Betriebsversammlung bewähren konnten.

Hat bei «Hochparterre» jetzt niemand mehr die Rolle, die Sie hatten?

Nein. Der Betrieb hat in einer Retraite entschieden, die personale Autorität aufzulösen und die institutionelle zu stärken. Es gibt nun eine Geschäftsleitung aus drei Leuten, die abwechseln werden. Und die Hochparterris bauen die Gremien aus. Im Tagesgeschäft spielen Arbeitsgruppen eine tragende Rolle. Es gibt mehr Sitzungen, alles wird langsamer, aufwendiger und komplizierter. Aber «Hochparterre» ist gut unterwegs, und ich habe grosse Freude, wie die Transformation geraten ist. Die Demokratie im Betrieb wird gestärkt.

Ein Vorteil der Hierarchie ist: Der Chef oder die Chefin ist offiziell legitimiert, unangenehme Dinge anzusprechen. In selbstverwalteten Betrieben ist oft nicht klar, wer das darf.

Ich habe gerne regiert; ich bin aber ein Harmoniker und ein Kümmerer, achtsamer Umgang ist mir wichtig. Ich habe viele Mitarbeitergespräche geführt, oft drehten wir dafür auf dem Platzspitz Runden. Ich habe einen Schrittzähler im Handy – wenn ich mit dem ganzen «Hochparterre» geredet hatte, war das etwa die Strecke von Zürich bis Basel. Mir war es auch wichtig zu fragen: «Dir gehts schlecht, was ist los?» So konnte ich früh Unterstützung einfädeln. Sinnkrisen, Krankheiten, Scheidungen, Todesfälle – einige Hochparterris haben in all den Jahren substanzielle Krisen geschoben. Auch ich selbst bin einmal ermattet.

Haben Sie einmal jemanden entlassen?

Ja. In meinen gut dreissig Jahren neun Leute. Unterschiedlichste Gründe – missratene Geschäfte, schlechte Arbeit oder soziale Unverträglichkeit. Auch kam einmal die halbe Belegschaft zu mir und fand, mit dem geht es nicht mehr, dem musst du kündigen. Ich habe widerstanden. Kündigungen waren das einzige Geschäft, das ich nicht vor die Betriebsversammlung brachte. Ich habe nur meinen engen Kreis konsultiert. Aber entschieden habe ich allein. Und immer schlecht geschlafen.

Köbi Gantenbein (66) hat 1988 mit Benedikt Loderer «Hochparterre» gegründet, war viele Jahre dessen Chefredaktor und Verleger und hat sich letzten Sommer pensioniert. Wie «Hochparterre» heute funktioniert, hat Stefan Howald in der WOZ Nr. 28/22 beschrieben.