Leser:innenbriefe

Nr. 46 –

Die SP hat ein Flügeli

Zur Bundesratswahl

«Der sozialliberale Flügel bläst zum Angriff auf die linke Parteispitze – weil der SP der Verlust eines Bundesratssitzes drohe. Das mag stimmen, aber es gibt Wichtigeres», schrieb die WOZ im Juli.

Die SP Schweiz hat auch keinen Flügel, sondern ein Flügeli. Die SP Schweiz hat auch keine «Spitzen», aber Ecken und Kanten. Die Wünsche des SP-Kopräsidiums sind aber für die 56 Mitglieder der demokratisch nominierenden SP-Fraktion übrigens nicht verbindlich. Vielleicht schlagen sie ja eine Frau und einen Mann vor. Ob dann dieser Mann Jositsch heisst, steht nach seinem rücksichtslosen Vorpreschen in den Sternen.

Rolf Oberhänsli, per E-Mail

Unrechtmässige Umsetzung

«Verwahrung: Jede Strafe hat ein Ende», WOZ Nr. 44/22

Als Betroffener mehrerer Massnahmen – früher nach Artikel 59 Strafgesetzbuch (StGB) und heute nach Artikel 64 StGB – bin ich inzwischen etwa zehn Jahre präventiv der Freiheit beraubt. Diese Massnahmen dürfen nach Verbüssung der Strafe eigentlich keinen Strafcharakter mehr haben. Die zehn Jahre präventive Haft muss man im Verhältnis zu meinen eigentlichen Strafen sehen, die einmal 35 und einmal 27 Monate betrugen und die ich neben der präventiven Haft voll verbüsst habe.

Die Kritik der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) an der unrechtmässigen Umsetzung der Verwahrung muss umgehend Änderungen zur Folge haben. Und zwar heute, nicht morgen oder in fünf oder zehn Jahren! Tragischerweise zeigt gerade der Kanton Bern, wie er sich um Verwahrte nicht kümmert, indem er in der Justizvollzugsstrategie 2017–2032 schreibt: «Die Zahl der Verwahrten im Kanton Bern sei zu gering, um im geplanten Neubau im Moos eine eigene Institution oder eine spezialisierte Abteilung einzurichten.»

Zurzeit sind elf Verwahrte im Thorberg. Ich weiss nicht, wie viele Verwahrte der Kanton Bern braucht, um die gesetzlich vorgeschriebene Separierung von Verwahrten zu rechtfertigen. Leider haben Berichte der NKVF nur empfehlenden Charakter, und viele Kantone foutieren sich darum. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das Gefängnis Waaghof in Basel-Stadt hat seit Jahren keine geeignete Belüftung der Zellen; die Gefangenen verschmachten im Sommer fast. Die NKVF hat das mehrmals kritisiert, bisher vergebens!

In jüngster Zeit sind mehrere Artikel zur Verwahrungsproblematik erschienen, in denen grosse Verfechter:innen von Veränderungen – wie Susan Boos oder Rechtsprofessor Martino Mona – zu Wort kamen. Ich als Verwahrter hoffe sehr, dass ich nun endlich meine im Keller vom Thorberg eingesperrte Kaffeemaschine benutzen darf und dass auch andere machbare Erleichterungen sofort gewährt werden. Die gesetzlichen Möglichkeiten bestehen, also packen wir es an!

Romano Schäfer, Krauchthal

Nicht im Ernst

Zur Werbebroschüre des Goetheanums, beigelegt der WOZ Nr. 43/22

Das ist mein erster Leserbrief, und wie so oft melde ich mich erst, wenn mir etwas missfällt, statt auch einfach mal ein Lob auszusprechen. Daher vorweg: Fast alles, was Sie machen, finde ich sehr, sehr gut, und ich bin froh, jede Woche so gut recherchierte Artikel zu lesen, und wenn es genau so weitergeht, dann sehr gern.

Als ich gestern die neue WOZ aus dem Briefkasten nahm, musste ich mich jedoch sehr wundern, und das gar nicht wegen der Zeitung, sondern wegen der Werbebeilage. Goetheanum? Anthroposophie? Aber doch nicht im Ernst. Dass Sie der wissenschaftsfeindlichen, faktenleugnenden Anthroposophie, die immer wieder mit Antisemitismus und Rassismus sowie der Impfgegnerschaft in Berührung kam und kommt, in dieser Form eine Plattform bieten, finde ich zutiefst erschütternd. Meines Erachtens steht dies gegen fast alles, wofür Sie doch stehen! Zumal ich von der WOZ in der Vergangenheit bereits sehr gute Artikel gelesen habe, die die Anthroposophie entsprechend kritisieren.

Ich hoffe doch sehr, dass es bei diesem einen Ausrutscher bleibt und es in Zukunft keine solchen Werbebeilagen mehr geben wird.

Philipp Rein, per Mail