Leser:innenbriefe: Technisches Handeln

Nr. 47 –

«Bruno Latour (1947–2022): Verführerische Netzwerke», WOZ Nr. 41/22, und «Leser:innenbriefe: Die Macht der Dinge», WOZ Nr. 44/22

Mir gefällt der Vorschlag des Autors für einen «Linkslatourianismus», und ich hoffe, dass meine eben erschienene Dissertation («Developing ALPS – Notes on Agency in Technology (Studia musica 92)», Helsinki 2022) einen kleinen Beitrag dazu bildet. Auch zu begrüssen ist der Ruf eines Leserbriefschreibers nach mehr Debatte über Latour.

Allerdings komme ich aufgrund Latours Werk bezüglich der Autonomie technischer Geräte zum genau umgekehrten Schluss, nämlich dass technische Geräte und Maschinen vor allem Extensionen unseres eigenen Handels sind und eben genauso wenig oder genauso autonom wie wir. Dass diese Handlungen mehr Verhandlungen («negotiations») sind als isolierte Aktionen, ist wichtig, aber nicht entscheidend: Dass in technischen Geräten eben unser Handeln zu finden ist, hat tragische Konsequenzen für nichtmenschliche sowie menschliche Akteure. Die «Existenzweise des Technischen» ist eben, so Latour, nicht im Gerät zu finden, sondern in der technischen Handlung.

Das heisst, dass sich in den technischen Geräten menschliche Interessen manifestieren. Und wenn wir die nicht als solche erkennen, geben wir zum Beispiel den Algorithmen (von mehr oder weniger autonom handelnden Menschen geschrieben) eine Macht, die sie nicht haben: Dass wir uns vermehrt in einer Google-Bubble isolieren, ist nicht die Schuld des Algorithmus, sondern von Google — oder aber unser eigene, da wir Alternativen nicht wahrnehmen wollen. Oder wie Latour in «Reassembling the Social» schreibt: «Flugzeuge fliegen nicht. Fluggesellschaften fliegen.»

Vom Umstand, dass wir von menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren umgeben sind, ist meines Erachtens in der heutigen Situation viel wichtiger zu lernen, dass sich in den Dingen mehr menschliche Aktivität manifestiert, als wir wahrhaben wollen (CO2 in der Atmosphäre zum Beispiel oder Mikroplastik im Meer, Antibiotika im Abwasser), das ist die Basis für Latours Definition des Anthropozäns.

Dass auch wir Menschen aus nichtmenschlichen Akteuren zusammengesetzt sind, ist eigentlich eine Binsenwahrheit und ein eher schwaches Argument für die hypothetisch mögliche Autonomie technischer Apparate, das erst nach dem Ableben der Menschheit spruchreif wird. Bis dahin tun wir gut daran, die Verantwortung für unser technisches Handeln wahrzunehmen.

Dominik Schlienger-Tuomi, Dalsbruk, Finnland