LSD: Wo bleibt der Spass?

Nr. 48 –

Die Journalistin Anuschka Roshani hat ein euphorisches Buch über ihre Erfahrungen mit LSD geschrieben. Es ist auch ein Plädoyer für dessen therapeutische Kraft. Doch es gibt eine psychedelische Welt ausserhalb von Labors und Therapiezimmern.

Gemälde: angedeutetes Gesicht als Relief aus Farbschichten
Die seltsame Erfahrung, wenn sich das eigene Ich auflöst: Anuschka Roshani schwärmt nach ihrem LSD-Trip von der Kraft der Droge. Beni Bischof: «PortrÄt von j. p.», 2012

Es ist ein Ereignis im emphatischen Sinn, was Anuschka Roshani hier beschreibt: eine Erfahrung, die ihr die Welt durch ihre Einzigartigkeit ein Stück weit zu einer anderen gemacht hat. «Auf dem Zenit meines Trips hatte ich gemeint, die Schönheit der Existenz in all ihrem Gleissen wahrzunehmen; alles flammte auf», schreibt Roshani. Die Stunden, die sie unter dem Einfluss von LSD verbrachte, hätten bei ihr zudem «geradezu phänomenale Langzeiteffekte» gezeigt: «Das Zeug machte mich offensichtlich über den Trip hinaus quicklebendig, in einem Masse lebendig, wie ich es zuvor niemals für möglich gehalten hätte.» Die Zeit einmal als blosses Konstrukt des Gehirns zu erleben, liess bei ihr eine «euphorische Gelassenheit» zurück.

Wer soll entscheiden, was der Zweck des Werkzeugs LSD ist?

«Gleissen» heisst das neue Buch, in dem Roshani von ihren Erfahrungen mit LSD berichtet. Im Rahmen einer Studie am Unispital Basel, die die pharmazeutische Wirkung verschiedener LSD-Dosen auf das Gehirn untersucht, nahm sie die Substanz in einem medizinisch überwachten Setting zu sich. An sechs Tagen erhielt sie verschiedene Dosen, zwei davon hoch, 100 respektive 200 Mikrogramm. Was mit journalistischer Neugier und Recherche begann, mündete bei ihr in eine, wie man sagt, quasireligiöse Erfahrung.

«Alles geht, alles bleibt»

Anuschka Roshani war viele Jahre Redaktorin beim «Spiegel», bevor sie 2002 nach Zürich zog, wo sie bis heute beim «Magazin» des «Tages-Anzeigers» arbeitet. Zu Drogen fühlte sie sich «nie hingezogen», machte nur vereinzelte Erfahrungen, auch Alkohol trank sie kaum. «Selbstbeherrschung ist mir ohnehin immer erstrebenswerter erschienen als Kontrollverlust.» Auf LSD aufmerksam macht sie ein Porträt über Michael Pollan in der «Financial Times». Dessen Buch «Verändere dein Bewusstsein» beschreibt das aktuelle Revival der Forschung zur therapeutischen Wirkung von Psychedelika und die grossen Hoffnungen, die in Substanzen wie Psilocybin oder LSD gesetzt werden.

Roshani beschreibt ihre Vorbereitung auf die Trips, dazu gehört ein kurzer Abriss über die Geschichte von LSD-Forschung und -Konsum, und deren Nachwirkungen in ihrem Alltag. Interessant und verdienstvoll macht das Buch vor allem, dass Roshani ihre Beobachtungsgabe und ihre genaue Sprache dazu einsetzt, ihre Triperfahrung zu beschreiben und verständlich zu machen. So leicht ist das nicht. Wie bei Träumen geht das Wesentliche an einer psychedelischen Erfahrung in der nachträglichen Erzählung oftmals verloren, weil die erlebten Vorgänge und Gewissheiten nie zu trennen sind von der Art, wie sie sich anfühlen. Erkenntnisse aus Trips klingen deshalb meist wie Plattitüden (ein Beispiel von Roshani: «Alles geht, alles bleibt»). Egal, wie genau man über die Wirkung von psychoaktiven Substanzen in der Theorie informiert ist, der Graben zur Erfahrung bleibt gigantisch.

Es sind äusserst introspektive Trips, die Roshani da in ihrem Spitalbett verharrend und ohne viel äussere Einwirkung erlebt. Hinter geschlossenen Lidern taucht sie ab in die Geschichte ihrer Familie, bis sie nicht mehr unterscheiden kann, ob es ihre Erinnerungen sind oder sie in denen ihrer Mutter «herumkurvt». Sie sieht wüste Todes- und Elendsbilder, die sie nur kurz erschrecken, und auf dem Höhepunkt beobachtet sie ihr eigenes Ich, wie es sich in die einzelnen Tropfen einer Fontäne auf‌löst. Als wesentlich beschreibt sie die starke Relativierung scheinbarer Gegensätze, dass man etwa in einer Emotion komplett aufgehen, diese aber gleichzeitig auch von aussen, in einer Szene dargestellt, beobachten kann.

Die in «Gleissen» erzählte Geschichte zeigt: Ein Setting mit medizinischer Begleitung (gegen die theoretisch mögliche Panik liegt die Spritze schon bereit) kann Menschen eine psychedelische Erfahrung ermöglichen, die sonst keinen Zugang zu den Substanzen hätten oder sich nicht dazu getrauen würden. Allerdings erklärt Roshani dieses Setting auch einfach zur Norm, ohne dass ersichtlich wird, wieso sie das tut.

Nach dem ersten Tag im Spital trifft sie Michael Pollan in München. Roshani betont den Punkt, in dem die beiden sich einig sind: «Wir stimmten darin überein, dass man sich diesem radikalen Experiment ausschliesslich unter fachlicher Anleitung aussetzen sollte, wolle man nicht unter die Räder kommen.» Was auch immer mit «unter die Räder kommen» gemeint ist: dass Forscher:innen, die mit staatlichen Geldern und Bewilligungen arbeiten, von illegalem Konsum abraten – geschenkt. Aber wieso hebt Roshani die Gefahren des Konsums ausserhalb von medizinischen oder therapeutischen Settings hervor, wenn sie es selber nicht einmal probiert hat?

Die Ansicht, dass man psychoaktive Substanzen in Begleitung von «Expert:innen» konsumieren sollte, ist verbreitet. Auch viele Hippies würden sie vertreten, bei ihnen heisst es dann einfach «Schaman:in». Dahinter steckt die Vorstellung, dass es einen korrekten Konsum gibt, was meistens bedeutet, dass ein Trip bestimmte Erkenntnisse bringen oder das persönliche Wachstum fördern soll. Diese Haltung vertrat schon LSD-Entdecker Albert Hofmann. In seinem Buch «LSD – mein Sorgenkind» beklagte er 1979 den «leichtsinnigen Gebrauch» von LSD und den schlechten Ruf, den dieses «durch Missbrauch in der Drogenszene» erlangt habe. Auf den massenhaften hedonistischen Konsum in den sechziger Jahren blickte er mit Argwohn. Da die Trips oft «ohne ärztliche Überwachung durchgeführt wurden, nahmen sie nicht selten ein böses Ende», schrieb er in dem Buch.

Für Hofmann war LSD kein Genussmittel, sondern ein Werkzeug. Aber wieso soll das so sein? Und wer soll entscheiden, was der Zweck dieses Werkzeugs ist?

Nach über fünfzig Jahren Stigmatisierung und Verbot macht der zweite Frühling, den die Psychedelikaforschung gerade erlebt, die Anwendungen von LSD als Medikament wieder denkbar. Sogar der Bundesrat hat die Ergebnisse dieser Forschung anerkannt, wohl auch, weil Schweizer Forscher:innen wie Matthias Liechti – er verantwortet die Studie in Basel, an der Roshani teilnahm – diese massgeblich voranbringen. 2021 schrieb er im Bericht «Perspektiven der schweizerischen Drogenpolitik»: «So mehren sich die Hinweise, dass sich Halluzinogene wie LSD und Psilocybin, aber auch MDMA als Therapeutika zur Behandlung bestimmter psychiatrischer Störungen eignen.»

Doch wieder Buddhismus

Die Argumente für den vielfältigen Nutzen von Psychedelika wirken also, so scheint es, wie ein Heilmittel gegen die Stigmatisierung. Diese Entwicklung ist sowieso zu begrüssen. Aber die Suche nach Vorzügen kann auch etwas Bemühtes haben, wenn LSD zum Beispiel selbst bei der Bewältigung der Klimakrise helfen soll. Die Idee findet sich auch in «Gleissen», denn, so heisst es dort, der Konsum könne zu einem «gereifteren Naturbewusstsein» führen. Vor allem aber droht unter dem Gewicht all der wertvollen Lektionen und Nützlichkeiten die anarchische Seite des Psychedelischen erdrückt zu werden. Zuallererst zersetzt LSD jegliche Vorstellung von Sinn und Zweck, es verträgt sich wunderbar mit der Liebe zum Absurden, kann unendlichen Spass bereiten, Lachkrämpfe auslösen. Vielleicht ist auch dieses Lachen irgendwie gesund, aber das ist nicht der Grund, warum wir es suchen.

Trips werden anders erlebt, wenn man dabei nicht an ein Spitalbett gebunden, sondern unterwegs ist und mit anderen. Vielleicht hat auch die Art, wie Roshani ihre Trips erlebt hat, dazu beigetragen, dass sie irgendwann beim Buddhismus landet. Auf die Empfehlung einer an der Studie beteiligten Forscherin beginnt sie zu meditieren, um «mich – meine rumorenden Gedanken – für ein paar Wimpernschläge los zu sein» und sich etwas von der als heilsam erlebten Ich-Relativierung zu erhalten. Peter Gasser, ein Pionier in der Therapie mit Psychedelika, drückt ihr bei einem Treffen dann noch das Buch eines Zenmeisters in die Hand.

Aber wieso muss man, wenn es um psychedelische Erfahrungen geht, eigentlich zuverlässig bei fernöstlich angehauchter Erfahrungsreligion landen? Und nicht etwa bei Deleuze oder Dada? Erfreulich wäre, wenn neben Forschung und Therapie auch eine neue psychedelische Kultur erblühte, jenseits von Mandalas, Trommelkreisen und Meditation.

Lesung: Dienstag, 6. Dezember 2022, 19.30 Uhr, Progr, Bern.

Buchcover von «Gleissen. Wie mich LSD fürs Leben kurierte»

Anuschka Roshani: «Gleissen. Wie mich LSD fürs Leben kurierte». Kein & Aber. Zürich 2022. 176 Seiten. 30 Franken.