Kommentar zur Revision des Sexualstrafrecht: Ein Sieg für die Frauenrechte

Nr. 10 –

Dass das Nötigungselement bei Vergewaltigungen aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird, ist der Erfolg einer Frauenrechtskampagne, die bis ins Bundeshaus getragen wurde.

Die linken Frauen, die bei der Revision des Sexualstrafrechts für die Zustimmungslösung – also die «Nur Ja heisst Ja»-Variante – gekämpft hatten, haben diese Woche eingelenkt: Sie haben sich auf den Kompromissvorschlag aus dem Ständerat eingelassen. Als Niederlage kann dies aber nicht gewertet werten. Dass die Schweiz nun die «Nein heisst Nein»-Lösung erhält, macht zwar als Signal einen Unterschied: Mit der Zustimmungslösung hätte das Parlament eindeutig anerkannt, dass bei sexuellen Handlungen immer Konsens das Prinzip sein muss. Auf der juristischen Ebene aber gibt es kaum mehr einen Unterschied zwischen der Zustimmungslösung und «Nein heisst Nein» in der neusten Variante des Ständerats. Denn dieser will nun im Gesetz festschreiben, dass im Falle des sogenannten Freezing – einem Erstarren des Opfers – auch dessen nonverbales Nein gelten soll. Das kommt faktisch der Zustimmungslösung gleich: Ein nonverbales Nein zu einer sexuellen Handlung lässt sich nicht mehr unterscheiden von einem nonverbalen Nichtzustimmen.

Wollte man etwas böse sein, könnte man sagen: Der Ständerat gibt den Verfechter:innen der Zustimmungslösung recht, ohne dies zuzugeben – unter Gesichtswahrung also. Wie bedeutend das ist, lässt sich nur im Rückblick verstehen. Der Bundesrat sah mit seiner bereits im Jahr 2010 aufgegleisten Strafrahmenharmonisierung ursprünglich nur minimale Reformen vor – obwohl das heutige Sexualstrafrecht seit gut dreissig Jahren nicht mehr revidiert wurde. Eine Vergewaltigung wird in der Schweiz derzeit nur als solche anerkannt, wenn ein Täter sein Opfer zuvor genötigt hat. Er muss ihm Gewalt angetan, es bedroht, unter psychischen Druck gesetzt oder zum Widerstand unfähig gemacht haben. Daran wollte der Bundesrat nichts ändern. Er wollte lediglich die Straftatbestände im Sexualstrafrecht geschlechtsneutral ausformulieren, auch «beischlafähnliche» Handlungen wie Anal- oder Oralverkehr als Vergewaltigung taxieren sowie die Mindeststrafen anpassen.

Viele Parlamentarier:innen sahen das gleich. Noch im Januar 2020 trat etwa SP-Ständerat und Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch im SRF-«Club» auf und argumentierte: Wie genau sexualisierte Gewalt kategorisiert werde, sei doch zweitrangig. Hauptsache, man könne die Täter:innen angemessen bestrafen – auch wenn dies halt im Zweifelsfall wegen sexueller Belästigung geschehe und nicht wegen Vergewaltigung.

Doch im Laufe der Debatte ums Sexualstrafrecht ist Bemerkenswertes passiert: Der gesellschaftliche Diskurs hat die Politik überholt – und sie schliesslich zum Handeln gezwungen. Da war die 2017 losgetretene #MeToo-Bewegung: Weltweit begannen Frauen über ihre Erfahrungen mit misogynen Machtstrukturen zu sprechen. Da war in der Schweiz 2019 der Frauenstreik mit Hunderttausenden Protestierenden. Und vor allem waren da Frauen, die das Tabu gebrochen und öffentlich über erlebte Vergewaltigungen gesprochen haben.

Dass nun das Nötigungselement bei Vergewaltigungen aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird, ist der entscheidende Erfolg einer Frauenrechtskampagne, die bis ins Bundeshaus getragen wurde. Im Gegensatz zum Ständerat hatte der Nationalrat im Winter gar für die Zustimmungslösung gestimmt. Das setzte die kleine Kammer unter Druck, weitere progressive Zugeständnisse zu machen: Neben der Anerkennung des Freezing beschloss er in dieser Frühlingssession auch, Täterarbeit im Sexualstrafrecht zu verankern.

Die Schweiz bleibt mit dem neuen Gesetz hinter vierzehn europäischen Staaten zurück, in denen bereits das Zustimmungsprinzip gilt. Wie viel Fortschritt ein Gesetz am Ende bringt, bleibt aber immer auch eine Frage der Ausgestaltung. Der Druck der Frauenbewegung muss hier weiterhin hoch bleiben.