Fernsehkritik: Viktor Klemperer als Soap-Opera

Klemperer war vor dem Mauersturz ein subversiver Insidertipp in der DDR. Der Autor des schmalen Reclambüchleins «LTI, Notizbuch eines Philologen» hatte in akribischer Genauigkeit die Sprache des Dritten Reiches analysiert und damit durchaus vergleichende Blicke auf den offiziellen Sprachgebrauch der Republik provoziert (LTI meint Lingua tertii imperii, Sprache des Dritten Reichs). Ich erhielt ein abgegriffenes Exemplar gleich nach dem Mauerfall von einem Freund – und war beeindruckt. Fünf Jahre später war Klemperer ein dickes, bald zweibändiges Tagebuch eines Juden, der als Professor und Liebhaber der deutschen Sprache und Kultur als so etwas wie ein Patriot des besseren Deutschland in Dresden überlebt und Zeugnis abgelegt hat. Und jetzt ist Klemperer eine deutsche Fernsehserie, die sich guckt wie «Gute Zeiten, schlechte Zeiten».

Ja, es stimmt, ich ärgere mich über diese zweiwöchigen Kitschveranstaltungen, die auch noch zweimal die Woche zur besten Fernsehzeit laufen, so dass eine Begegnung mit den Bildern fast nicht zu vermeiden ist, die den Alltag im Nazideutschland so unheimlich kompatibel machen mit den Bildern all der anderen Alltagsserien. Und ich ärgere mich darüber, dass die Chance, zu begreifen, was eigentlich das «Komische» am deutschen Alltag der dreissiger Jahre war, das Befremdliche, und wie es kam, dass die Vernichtung der jüdischen Nachbarn und SchulfreundInnen plötzlich normal war, ein weiteres Mal verpasst wurde.

Dass dies nicht mit dem Medium Fernsehen zusammenhängt, bewies in allerbester Weise der Dokumentarfilm «Kinderland ist abgebrannt» von Sibylle Tiedemann und Ute Badura, mit dem Untertitel: «Zur Erinnerung an die Schulfreundin 1934». Dieser Film bietet nichts zum Einfühlen, keine Alltagsrekonstruktionen. Man hört nur sehr lebendige, jenseits ihres Alters jung wirkende Frauen, die 1934 etwa zehn Jahre alt waren, von ihrer Jugend erzählen und sieht dazwischen Schwarzweissfotos, auf denen die Erzählerinnen als Kinder zu sehen sind. Ab und an dazwischen geschnitten sind Szenen aus dokumentarischem Filmmaterial.

Einige der Frauen leben heute noch in Ulm, die jüdischen Schulkameradinnen sind ausgewandert, in die USA oder nach Palästina. Jene, deren Vater 1933 als Kommunist und Sozialist verhaftet und in ein KZ gebracht wurde, ist in Deutschland geblieben – obwohl nie eigentlich «geistig beheimatet» hier. Man fängt, und das ist dem Film und den Mitmachenden hoch anzurechnen, beim Zuhören und Sehen an, das Verständnis, auch die eigenen Zurechtlegungen zu verlieren. So dass es gar nicht komisch wirkt, wenn eine der damaligen Schulkameradinnen sagt – es ist jene, die mit ihren Eltern nach Palästina ging und die Ulm, das Münster und die Donau mag, nur vor den Menschen hat sie immer noch Angst –, wenn sie also sagt: «Eigentlich komisch, wie das kam.» Diese Irritation überträgt sich auf die Zuschauerinnen. Und sie ist es, die einen nachdenken lässt.

Kinderland ist abgebrannt. Ute Badura und Sibylle Tiedemann. D 1997. Dokumentarfilm

Klemperer – Ein Leben in Deutschland. Kai Wessel und Andreas Kleinert. D 1999. Dokudrama in 12 Teilen