Regeln für Lieferketten

Le Monde diplomatique –

Protest vor einer Tankstelle in Rottenburg, 1995
Rottenburg, 1995 Foto: Ulmer/picture-alliance/dpa

Die Verwicklung von Shell in die Hinrichtung des nigerianischen Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa 1995 und zahllose Berichte von NGOs und Gewerkschaften über ausbeuterische Arbeitsbedingungen im Globalen Süden waren in den 1990er Jahren Anlass, über die Verantwortung transnationaler Konzerne zu diskutieren. Initiativen wie der sogenannte Global Compact, die auf Selbstverpflichtungen der Unternehmen setzten, folgten. Die Ergebnisse waren äußerst mager.

Der entscheidende Schritt gelang erst 2011, als der UN-Menschenrechtsrat seine Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedete. Darin wurde die Verpflichtung der Staaten festgeschrieben, die Menschenrechte zu schützen, ebenso die Verantwortung der Unternehmen, sie zu achten sowie das Recht von Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen, auf Wiedergutmachung zu klagen. Zivilgesellschaftliche Akteure kritisieren zwar, die Firmen hätten auch völkerrechtlich in die Pflicht genommen werden müssen. Konsens ist aber, dass diese Leitlinien einen Wendepunkt darstellten. Sie bilden auch den Rahmen, in dem sich die aktuellen und geplanten Lieferkettengesetze bewegen.

2017 verabschiedete die französische Nationalversammlung das „Gesetz der Wachsamkeit“ (Loi de vigilance), das weltweit erste Gesetz dieser Art. Es betrifft französische Unternehmen mit mehr als 5000 Beschäftigten im Inland oder 10 000 Beschäftigten weltweit und sieht explizit ihre zivilrechtliche Haftung vor. Auf seiner Grundlage können Betroffene von Menschenrechtsverletzungen vor französischen Gerichten klagen. Die Hürden dafür sind jedoch recht hoch.

2021 beschloss der Deutsche Bundestag das Gesetz über die Sorgfaltspflichten in Lieferketten. Es tritt 2023 in Kraft und betrifft zunächst Firmen ab 3000 Beschäftigten, von 2024 an solche mit mindestens 1000 Beschäftigten. Diese Unternehmen sind dann verpflichtet, bei direkten Zulieferern zu ermitteln, wo Menschen- oder Umweltrechte verletzt werden. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle wacht über die Umsetzung und kann bei Verstößen Bußgelder in einer Höhe von bis zu 2 Prozent des Jahresumsatzes verhängen. Anders als bei der Loi de vigilance begründet das deutsche Gesetz keinen Anspruch, Schadenersatz einzuklagen.

Im Februar 2022 hat die EU-Kommission einen Entwurf für das EU-Lieferkettengesetz vorgelegt. Es erfasst mehr Unternehmen als die bisherigen nationalen Regelungen, nämlich europäische sowie in der EU tätige Firmen aus Drittstaaten ab 500 Mitarbeitenden mit mehr als 150 Millionen Euro Umsatz weltweit. In Branchen mit besonders hohem Gefahrenpotenzial für Mensch und Umwelt gilt es bereits für kleinere Betriebe. Die Sorgfaltspflichten beziehen sich nicht nur auf die direkten, sondern auch auf indirekte Zulieferer. Anders als das deutsche Gesetz und auch niedrigschwelliger als im französischen Gesetz verankert, enthält der Entwurf zudem eine zivilrechtliche Haftung für die Unternehmen.

Beate Willms

Beate Willms leitet das Ressort Wirtschaft und Umwelt der taz.