Durch den Monat mit Hannes Rudolph (Teil 2): Wie war das in der DDR eigentlich mit der Sexualmoral?

Nr. 36 –

Wie Hannes Rudolph als jugendlicher Mensch im Leipzig der frühen Neunziger das Theater entdeckte. Was ihn als Regisseur umtrieb. Und warum es so lange ging, bis das Thema Trans in den Homosexuellen Arbeitsgruppen Zürich ankam.

Hannes Rudolph
«Es gab in der DDR ein paar Bücher von Sexualwissenschaftlern, da stand drin, was die Menschen so praktizieren – rein deskriptiv»: Hannes Rudolph. 

WOZ: Herr Rudolph, Sie sind 1977 in Leipzig geboren. Als die Mauer fiel …

Hannes Rudolph: … da war ich zwölf. Für mich war das der erste grosse gute Glücksfall.

Inwiefern?

Indem dieses rigide DDR-System zu existieren aufhörte, als mein Geist schon recht kritisch geworden war. Wenn das noch länger gegangen wäre, hätte ich wohl irgendwann Ärger bekommen. So wars zuerst mal Befreiung. Bald aber auch Enttäuschung.

Was war passiert?

Als die grosse Mehrheit der Ostdeutschen CDU wählte und mit der Wiedervereinigung auch die positiven Seiten verschwanden, die die DDR hatte, wurde mir bewusst, wie schnell sich eine Gesellschaft unter Umständen ändern kann. Wir hatten uns etwas anderes gewünscht: einen demokratischeren Sozia­lismus. Es wurde uns erst spät klar, wie sehr die DDR wirtschaftlich schon am Ende war.

Wie war das in der DDR eigentlich mit der ­Sexualmoral?

Die DDR hatte da einen streng wissenschaftlich geprägten Umgang: Es gab ein paar Bücher von Sexualwissenschaftlern, da stand drin, was die Menschen so praktizieren und mit wem. Rein deskriptiv. Ich habe in meiner Kindheit und Jugend von der kirchlich geprägten Sexualmoral des Westens nichts mitbekommen. Dennoch war Homosexualität im Alltag nahezu unsichtbar und sicher auch tabuisiert. Erst kurz vor der Wende brachte die Defa mit Heiner Carows «Coming out» den ersten Film dazu raus. Auch die Themen HIV und Drogen, die in westlichen Medien der Achtziger eine grosse Rolle spielten, wurden unter den Teppich gekehrt. Solche Probleme passten nicht ins Bild vom aufgeklärten Sozia­lismus und wurden als Problem des Westens deklariert. Zumindest war das mein Eindruck .

Und nach der Wende haben Sie sich bald auch politisch engagiert?

Eigentlich weniger. Natürlich mussten wir uns gegen die Neonazis wehren, die waren in Leipzig Teil unserer Jugend. Ich habe mich aber eher für einen Klubraum in der Schule oder für Fahrradständer engagiert. Die meiste Zeit habe ich im Theater verbracht, ich war damals im Theaterjugendklub des Schauspiels Leipzig. Da konnten wir uns austoben und mal nicht nur Kopf, sondern auch Körper sein. Das war für mich ein wichtiger Ausgleich zum ­naturwissenschaftlichen Gymnasium.

Wie ging es danach weiter?

Ich wollte eigentlich ans Theater. Aus Vernunftgründen habe ich aber zuerst Psychologie studiert und mich erst danach für Regieassistenzen beworben. Denn von Regiearbeit über Jahre zu leben, ist ja doch ziemlich schwierig.

Und später als Regisseur?

Da würde ich mich eher nicht als politisch beschreiben. Ich bin immer psychologisch an Stoffe herangegangen: Wie handeln Leute unter bestimmten Bedingungen, wie werden sie zu denen, die sie sind? Bei Büchners «Leonce und Lena» etwa, 2009 am Staatstheater Mainz, habe ich mich mit dem Zustand der Jugend beschäftigt: Wie ist das, wenn man das Leben so medial aufbereitet und von überall gesagt bekommt, so und so soll dein Leben sein – wie kann man da noch eigene Erfahrungen machen? Womöglich aus der DDR-Sozialisation heraus hatte ich schon früh ein Sensorium für Minderheiten. Das kommt mir nun in meiner heutigen Tätigkeit zugute. Ich bin ja über die trans Community zur HAZ gekommen und habe so den trans Blick einbringen können. So weiss ich ein wenig, wie das ist, wenn man aus einer Minderheit kommt. Die HAZ hat ihre Ursprünge ja primär in der Schwulen- und der Lesbenbewegung. Wobei sich die Lesben vorübergehend abgekoppelt hatten.

Warum eigentlich?

Vermutlich, weil es mit heterosexuellen Frauen grössere Synergien in den feministischen Kämpfen gab. Die schwulen Männer waren in deutlicher Überzahl, da drohten lesbische Anliegen unterzugehen. Lesben werden ja, weil sie Frauen sind, doppelt diskriminiert.

Wann kamen weitere Gruppen hinzu?

Eine Bi-Gruppe gab es, als ich 2014 Geschäftsführer wurde, schon sehr lange. Die trans Community jedoch ist in der Schweiz erst 2009 so richtig entstanden. Kurz darauf wurde das Transgender Network gegründet, und seit 2012 gab es dann die Fachstelle für trans Menschen. Als ich 2014 als Geschäftsführer bei der HAZ anfing, war das Kürzel LGBTQ und damit die Inklusion des Trans-Themas gerade beschlossen worden und wurde 2015 in die Statuten aufgenommen. Seither nennen wir uns HAZ – Queer Zürich.

Gibt es da unter den verschiedenen Gruppen auch Verständigungsprobleme?

Es gibt Diskussionen. Wobei ich fast immer erlebe, dass sich mit Aufklärung vieles klären lässt. Nur weil jemand schwul ist, heisst das ja noch lange nicht, dass er besser versteht, was es heisst, als trans Mensch unter Diskriminierungen zu leiden. Es gibt unter queeren Leuten genauso viele Ignorant:innen wie andersw­o.

Hannes Rudolph (45) ist Geschäftsführer der HAZ – Queer Zürich, die noch bis 11. September den 50. Geburtstag feiert. Kommende Woche erläutert Rudolph unter anderem das Problem des Pinkwashing. www.haz.ch/50-jahre