Durch den Monat mit Hannes Rudolph (Teil 3): Wie bringt man so diverse Kämpfe zusammen?

Nr. 37 –

Weshalb nicht jeder Schwule modeinteressiert sein muss. Warum sich linke weisse Heteromänner auch mal an der eigenen Nase nehmen könnten. Und was der Geschäftsführer der jubilierenden HAZ – Queer Zürich über Pinkwashing denkt.

Hannes Rudolph
«Wir sind queer vereint und haben auf dem Schirm, dass es auch andere Diskriminierungen gibt. Es wird aber von aussen versucht, Spaltung herbeizuführen»: Hannes Rudolph.

WOZ: Hannes Rudolph, in der Geschichte queerer Bewegungen fällt auf, wie sehr diese kulturelle Entwicklungen vorantrieben.

Hannes Rudolph: Was noch mehr ­auffällt, sind die Klischees, die damit verbunden sind.

Welche Klischees?

Etwa dass Schwule besonders kulturell beflissen, modeinteressiert und künstlerisch begabt seien. Ich glaube, es ist eher anders­herum.

Wie andersherum?

Dass an den Rändern der Gesellschaft, wo Akzeptanz und Teilhabe ein Stück weit verweigert wird, bestimmte Berufe eher ergriffen werden. Die Tatsache etwa, dass so viele Schwarze in der Unterhaltungsbranche ihr Zuhause gefunden haben, liegt auch daran, dass ihnen viele andere Karrieren verwehrt wurden. Oder nehmen Sie die Anlässe rund um den «Kreis», die Homosexuellenzeitschrift im Zürich der fünfziger Jahre: An diesen Theaterabenden und Dragshows waren viele Jungs dabei, die von zu Hause rausgeflogen waren, sich irgendwie durchschlagen mussten – und an solchen Orten doch noch irgendwie ein Zuhause fanden. Dass von so geprägten Leuten viele Impulse kommen, hat damit zu tun, dass sie gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen zwangsläufig wach sein müssen – mehr zumindest als die privilegierte Mitte der ­Gesellschaft.

Nun gibt es ja unterschiedliche Formen von Diskriminierung. Plakativ zugespitzt: Auf der einen Seite ein älterer, weisser heterosexueller Mann, der ausgesteuert ist – auf der anderen eine junge Schwarze lesbische Frau im Management bei Google …

Ich glaube, das ist so ein Missverständnis mit dem Privilegienbegriff. Der eigentliche Punkt ist doch: Die Schwarze Frau im Management wird es meist sehr viel schwerer haben als eine weisse Frau im gleichen Büro – und viel schwerer als ein weisser Mann. Dass sie erfolgreich ist, liegt ja wohl nicht daran, dass sie Schwarz ist – viel eher ist sie es, obwohl sie Schwarz und auch noch Frau ist. Auf der Ebene des Klassismus ist sie als Mitglied des oberen Mittelstands privilegiert – nicht aber in Bezug auf Rassismus und Sexismus. Der alte weisse Mann dagegen ist zwar vielleicht ökonomisch unterprivilegiert, muss aber nicht auch noch rassistische Diskriminierung erleben.

Wie bringt man so diverse Kämpfe zusammen – nicht gegen-, sondern miteinander?

Eigentlich mache ich die Erfahrung nicht, dass es so schwierig ist, intersektionale Themen unter einen Hut zu bringen. Was man ja auch an unserem Jubiläumsprogramm sehen konnte: Wir sind queer miteinander vereint und haben auf dem Schirm, dass es auch noch andere Diskriminierungen gibt. Es ist vielmehr so, dass von aussen versucht wird, Spaltung herbeizuführen.

Zum Beispiel?

Diese wüste Diskussion über trans Frauen in Frauenräumen: Da gibt es eine sehr laute Minderheit, sogenannte Terfs, das heisst «trans-exclusionary radical feminists», die darauf beharren, dass trans Frauen keine Frauen seien. Häufig machen diese Leute auch Schulterschlüsse mit Menschen, die klar faschistoid gegen Muslime hetzen oder sich antisemitisch positionieren. Das ist zwar nur eine sehr kleine Minderheit in der feministischen Bewegung, aber die Medien stützen sich immer wieder gern darauf, weil sich solche Themen gut verkaufen lassen. Der grösste Teil der Frauen- und Lesbenbewegung hat überhaupt keine Mühe, feministische, queere und trans Themen gemeinsam zu denken und zu erkennen, dass Sexismus, Frauenfeindlichkeit und die patriarchale Gesellschaft uns alle betreffen.

Warum tun sich Teile der traditionellen Linken denn so schwer mit Identitätsfragen?

Linke weisse, gerade auch Heteromänner müssten sich da vielleicht mal etwas an der Nase nehmen.

Wie meinen Sie das?

Wir sollten den Kampf der Ar­bei­ter:in­nen­klas­se als eine von mehreren Dimensionen in der linken Bewegung sehen und die Dimension reich gegen arm mit den Dimensionen Schwarz gegen Weiss und Männer gegen Frauen verbinden. Klar ist es unangenehm, wenn man sich mit den eigenen Privilegien aus­einandersetzen muss. Aber wenn wir das nicht tun, haben wir keine Chance. Diese Entweder-oder-Logik funktioniert nur, wenn ich Intersektionalität eben nicht mitdenke. Neben dem schwulen weissen Mann mit Zahnarztpraxis gibt es ja auch noch den schwulen Arbeiter, der vielleicht auch noch Schwarz ist.

Schwierig wird es spätestens, wenn man es mit queeren Neonazis zu tun hat.

… oder mit der queer SVP.

Ist es denn nicht erfreulich, dass das Thema selbst in solchen Kreisen Anklang findet?

Nein. Erfreulich ist aber die zunehmende Selbstverständlichkeit, mit der Queerness in der Gesellschaft ankommt. Was unerfreulich ist: dass es in vielen Fällen Pinkwashing ist. Dass also Firmen zwar im Pride-Monat Regenbogenfahnen aufhängen, gleichzeitig aber rechte Poli­ti­ker:in­nen unterstützen. Das ist hochgradig verlogen.

Hannes Rudolph (45) ist Geschäftsführer der HAZ – Queer Zürich, die dieses Jahr ihren 50. Geburtstag feiert. Nächste Woche erzählt Rudolph von seiner Erfahrung als Berater von trans Menschen. www.haz.ch/50-jahre