Zwanzig Jahre Fristenregelung: Betroffene schützen statt stigmatisieren

Nr. 39 –

Was sagt es über dieses Land aus, dass das Geburtstagsfest der Fristenregelung keine ausgelassene Party ist – sondern ein gediegener Mittagsanlass im Hotel Bern? Klar, der Hauch des Etablierten hat auch Vorteile. Was etabliert ist, lässt sich besser verteidigen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter gratuliert, und es klingt glaubwürdig, als sie sagt, sie sei als junge Frau auch deshalb der FDP beigetreten, weil die CVP als Abtreibungsgegnerin nicht infrage kam.

Historikerin Marina De Toro zeichnet nach, dass schon 1973 ein Verein für straf‌lose Schwangerschaftsabbrüche entstand, aber die Fristenregelung 1977 knapp an der Urne scheiterte. Erst nach dem ersten Frauenstreik 1991 nahm die Diskussion wieder Fahrt auf, 1993 reichte die Zürcher SP-Nationalrätin Barbara Haering eine parlamentarische Initiative für den Schwangerschaftsabbruch ein. 2002 befürworteten die Stimmenden die Fristenregelung schliesslich deutlich: mit über 72 Prozent Ja.

Das ist noch nicht lange her – daran erinnert FMH-Präsidentin Yvonne Gilli, die noch miterlebt hat, wie Frauen aus katholischen Gegenden ins Ausland, später nach Zürich abtreiben gehen mussten. Thomas Eggimann von der Fachgesellschaft Gynécologie Suisse erzählt, wie in seinem Alltag als junger Berner Arzt in den neunziger Jahren auf 900 Geburten 600 Abtreibungen kamen, weil Walliserinnen, Freiburgerinnen und Solothurnerinnen in ihren Heimatkantonen keine Behandlung fanden. Das sei für die Ärzt:innen nicht einfach gewesen, und Frauen machten sich diesen Entscheid auch nicht einfach – worauf eine Frau aus dem Publikum widerspricht: Doch, ihr Entscheid sei einfach gewesen.

Der Schwangerschaftsabbruch gehöre aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, sagen mehrere Referentinnen (siehe WOZ Nr. 31/22). Das fordert auch die Weltgesundheitsorganisation. Nötig sei ein Gesundheitsgesetz, das die Betroffenen schütze, sagt Barbara Berger vom Verband Sexuelle Gesundheit Schweiz. Der Weg zum Schwangerschaftsabbruch könne auch heute noch steinig sein, betont Berger: unseriöse «Pro Life»-Beratungswebsites, Geldmangel und hohe Franchisen oder der stigmatisierende Satz: «Du hättest ja verhüten können».

Zum Schwangerwerden braucht es (mindestens) zwei. Wie so oft bleibt auch an diesem Anlass eine Frage offen: Wo sind die Männer?