Eine feministische Wutrede: Wir sind too big to fail

Nr. 39 –

Nicht mehr mitmachen – aber nicht auf die Ich-zieh-in-die-Wildnis-und-werde-Einsiedler:in-Art. Rapperin Big Zis ruft nach der Rentenaltererhöhung zum Streik auf.

Emoji welches erbricht

Nach dem Abstimmungswochenende habe ich folgenden Postkartenspruch bekommen: «hinfallen – aufstehen – Krone richten – weitergehen», mit Zwinkersmiley versehen. Hab ein Kotz-Emoji zurückgeschickt. Wir sollten unsere König:innen ohne feierliches Staatsbegräbnis auf der Brache verbuddeln. Wer braucht Adel, wer braucht Stars, wer braucht das eine Prozent? Wir brauchen alle Feminist:innen am 8. März, aber spätestens am 14. Juni auf der Strasse. Wir wollen keine Monarchinnen mit wackligen Kronen und ihrer Gefolgschaft von bürgerlichen Frauen. Nieder mit den freisinnigen Palästen (ja doch, die gibts).

«Dir chöit froh si, wei mir nume Glichberächtigung und nid Rache» (Ihr könnt froh sein, dass wir nur Gleichberechtigung wollen und nicht Rache)
Zitat von «muetterschiff» aus der Berner Insta-Meme-Küche

Solche Postkartensprüche wünsch ich mir. Zähne zeigen.

Sind vielleicht tatsächlich unsere Geduld und unsere Gutmütigkeit das Problem? Ist es wirklich Gutmütigkeit und nicht eher Erpressbarkeit? Jetzt nicht den Faden verlieren, mit dem wir keine Löcher mehr stopfen wollen. Erpressbar sind nicht nur die Frauen, sondern alle marginalisierten Gruppen. Wobei sich immer wieder aufs Neue zeigt, dass wir weder nebensächlich sind, noch Nebensächliches leisten. Wir sind gesellschaftsrelevant. Too big to fail. Fühlt sich nicht so an? Fühlst du dich doch bankrott? Alleine? Keine staatlichen Eingriffe, kein Rettungspaket in Sicht. Du bist ausgelaugt, am Rand eines Nervenzusammenbruchs? Wünschst dir zuweilen, von einer SUV-Limousine überfahren zu werden, damit mal Pause, Ruhe ist? Ja, geht mir ähnlich. Wie soll das auch anders sein. Wie ein System bekämpfen, in dem ich Tag für Tag zu überleben versuche? Das Patriarchat und den Kapitalismus verstehen, demontieren und überwinden, während wir darum kämpfen, den Kopf über Wasser zu halten? Das braucht Superheld:innenpower. Aber selbst mit Hulk-Kraft bleiben wir isoliert. Allein gehst du ein.

Wir können uns entscheiden, da nicht mehr mitzumachen. Und ich meine nicht die Ich-zieh-in-die-Wildnis-und-werde-Einsiedler:in-Art des Nicht-mehr-Mitmachens. Ich meine eine gemeinschaftliche Art. Wenn wir uns alle, die Betroffenen und Freund:innen und Genoss:innen, gemeinsam und organisiert entscheiden, nicht mehr mitzumachen, dann pressen wir. Ich glaube, es nennt sich Streik.

«Die nächste Revolution wird feministisch.»
Laurie Penny

Weil der zeitgenössische feministische Kampf weit über den Frauenkampf hinausgeht. Weil wir Kämpfe verbinden. Weil Feminismus intersektional und international sein muss. Weil wir nicht gegen die Unterdrückung einer diskriminierten Gruppe kämpfen und dabei eine andere vergessen, sondern Seite an Seite kämpfen wollen.

Das schmälert nicht die harte Arbeit, das Blutvergiessen vorangegangener feministischer Bewegungen. Ohne sie wären wir nicht, wo wir jetzt sind. Auch deshalb schmerzt das Abstimmungsresultat zur AHV 21. Wir haben es nicht geschafft, diesen Frauen eine weitere Erniedrigung zu ersparen.

Ich töne hier so kämpferisch, aber wenn ich von Journalist:innen gefragt werde, ob sich meiner Meinung nach die Welt in feministischer Hinsicht zum Guten verändert hat, ist meine Antwort: «Wenn man den Backlash als Antwort auf fortschrittliche Entwicklungen versteht, dann muss sich wohl etwas getan haben!» Wirklich? Ja. Ich bin keine Motivationscoachin, ich erfinde keine Postkartensprüche. Ich bin Rapperin, ich kenne nur Punchlines.

Aber weder Punchlines noch Ratgebersprüche helfen uns weiter (ausser für Parolen auf Transparenten an Demos). Denn die Umstände sind vielschichtig und kompliziert, und wir müssen Widersprüche aushalten können. Wir müssen die Gleichzeitigkeit von unzeitgleichen Bewegungen integrieren. Zum Beispiel: Ich kämpfe für Frauen- und Lesbenrechte und zeitgleich für eine genderqueere Zukunft. Ich stehe hinter gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innenkämpfen, will aber auch darüber diskutieren dürfen, wann Arbeit Arbeit ist. Nur wenn sie monetär entlöhnt wird? Nö!

Wenn der scheinbar sichere Boden von Normen und Konzepten, auf dem wir nun eine Weile gegangen sind, zu bröckeln beginnt, dann lasst uns nicht in Panik geraten und um uns schlagen. Lasst uns beweglich bleiben, uns gegenseitig darin unterstützen, die Widersprüche auszuhalten.

«Anti-capitalism without intersectionality is class reduction. Intersectionality without anti-capitalism is just liberal identity politics.» (Antikapitalismus ohne Intersektionalität bedeutet Reduktion auf die Klassenfrage. Intersektionalität ohne Antikapitalismus ist nur liberale Identitätspolitik).
Unbekannt

Klassenkampf ist nötigst. Klassenkampf gegen Identitätspolitik auszuspielen, ist dumm. Ich kämpfe für keine gesellschaftliche Klasse, in der Rassismus, Heteronormativität, Sexismus oder Klimakrise nicht zur Diskussion stehen und überwunden werden wollen. Diese Kämpfe hängen zusammen und können nicht unabhängig voneinander verhandelt und ausgefochten werden. Die Rechten wissen das, deshalb attackieren sie unsere queeren Genoss:innen, unsere BIPoC-Genoss:innen, das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und Unversehrtheit von Finta-Personen. Wir müssen unsere Kämpfe verbinden, es muss uns gelingen.