Verbrannte Erde

Le Monde diplomatique –

Seit Jahren übt die britische Armee in Kenia für Auslandseinsätze – mit verheerenden Folgen

steppenartige Landschaft im Laikipia County in Zentralkenia
Im Laikipia County in Zentralkenia Foto: JIM GIBSON/Alamy Stock Photo

Am 10. März 2022 vermeldete die kenianische Tageszeitung The Nation eine „historische Entscheidung“.1 Antonina Cossy Bor, Richterin am Environmental and Land Court von Nanyuki – einem Gericht für Umwelt- und Landrecht – hatte die Klage von eintausend Kleinbauern aus Lolldaiga zugelassen, die sich gegen die Ausbildungseinheit der britischen Armee in Kenia richtete. Es geht um die Bodenschäden, die die „British Army Training Unit in Kenia“ (Batuk) bei ihren Manövern verursacht hat.

Seit 1964 bildet die Batuk jedes Jahr bis zu 4000 britische Infanteristen in Kenia aus. Lange Zeit genoss sie diplomatische Immunität. Als 2016 das jeweils für fünf Jahre geltende Verteidigungsabkommen zwischen Nairobi und London erneuert wurde, hob man die Immunität auf. Antonina Cossy Bor ist die erste Richterin, die dies zur Kenntnis genommen hat. Bislang blieb die Batuk von Gerichtsverfahren verschont. Jetzt muss sie sich auf eine Prozesslawine einstellen.

Die Bauern Lolldaigas sind allerdings nicht die Ersten, die gegen die Armee der früheren Kolonialmacht aufbegehren. Seit die Batuk im Norden des Landes mit ihren Militärübungen begann, gab es immer wieder ungeklärte Streitfälle. Im Laufe der Jahre zog die Einheit den Groll der Bevölkerung des ostafrikanischen Staats auf sich, der zwischen 1920 und 1963 das Prunkstück des britischen Empires war und Schauplatz berühmter Hollywoodfilme (John Fords „Mogambo“ mit Ava Gardner und Sydney Pollacks „Jenseits von Afrika“ mit Meryl Streep).

Von den 21 afrikanischen Ländern, die Mitglied im Commonwealth of Nations sind, ist Kenia heute Großbritanniens wichtigster Handelspartner. Daher gehört es auch zu den Schwerpunktländern von Boris Johnsons „Global Britain“-Strategie, die der Premierminister nach dem Brexit ausrief: Im Dezember 2020 ersetzte ein bilaterales Freihandelsabkommen das Abkommen zwischen Europäischer Union und Ostafrikanischer Gemeinschaft (EAC). Es regelt insbesondere den zollfreien Zugang kenianischer Waren (Teepflanzen, Obst, Gemüse) zum britischen Markt. 43 Prozent aller kenianischen Gemüseexporte gehen nach Großbritannien. Zudem setzt sich die Londoner City mit Unterstützung der Downing Street dafür ein, dass Nairobi zum regionalen Finanzzentrum ausgebaut wird, das eines Tages Dubai Konkurrenz machen soll.2

Auch die militärische Zusammenarbeit wurde an die neue britische Außenpolitik angepasst. Ein neues Verteidigungsabkommen, das im Juli 2021 unterzeichnet wurde und für fünf Jahre gilt, formuliert neue Pflichten für die Batuk: Sie soll künftig auf die Natur Rücksicht nehmen, aber auch die kenianischen Streitkräfte für den Kampf gegen Wilderei und Terrorismus ausbilden.

Die Terrorismusbekämpfung erscheint besonders dringlich: Seit zehn Jahren verübt die Al-Shabaab-Miliz Anschläge in dem westafrikanischen Land.3 Das Abkommen beinhaltet zudem eine multilaterale Komponente: Nach Aussage britischer Militärvertreter und Diplomaten können künftig auch Soldaten aus Drittstaaten bei den Militärübungen mitmachen, vorausgesetzt, Nairobi stimmt zu. Hochrangige Militärs aus den Niederlanden sind bereits bei der Batuk vorstellig geworden.

Britische Soldaten beim „Askari Storm“-Manöver, Februar 2015
Britische Soldaten beim „Askari Storm“-Manöver, Februar 2015 Foto: ANDREW MILLIGAN/picture alliance/empics

Werden demnächst auch Nato-Truppen Manöver in Kenia abhalten? In den Häfen am Indischen Ozean werden die Mineralien aus Zentralafrika nach China verschifft. Damit hat das Land eine strategisch wichtige Stellung in dem chinesisch-westlichen Wirtschaftskrieg.

Die Stadt Nanyuki liegt 210 Kilometer nördlich von Nairobi, im zentralkenianischen Hochland, das im Norden steil zum Rift Valley abfällt. Zu Kolonialzeiten befand sich hier, am Fuß des Mount Kenya, eine Garnison der Kings African Rifles. Das Regiment der Kolonialmacht sollte den Norden überwachen, der bei weißen Großwildjägern hoch im Kurs stand und damals zum „Limes“ des britischen Empires in Afrika gehörte. In den 1950er Jahren diente die Stadt als Rückzugsposten im Militäreinsatz gegen die Mau-Mau-Rebellen4, die sich in den Wäldern und Höhlen des Mount-Kenya-Massivs verschanzten. Seit Januar 2021 befindet sich vor den Toren der 40 000-Einwohner-Stadt das Hauptquartier der Batuk: die Nyati Barracks, die den britischen Steuerzahler 70 Millionen Pfund gekostet haben.

Auf dem von der kenianischen Luftwaffe gepachteten Gelände unterhält die britische Armee einen Fuhrpark mit mehr als 1000 Fahrzeugen. 528 britische Angestellte (davon 280 Militärangehörige) sind hier beschäftigt sowie 581 Kenianer:innen. Für die Batuk-Übung „Askari Storm“ (Soldatensturm), die zweimal im Jahr stattfindet und mehrere Wochen dauert, werden fast 2000 Infanteriesoldaten aus dem Vereinigten Königreich sowie 1500 kenianische Zeitarbeitskräfte mobilisiert.

Das Szenario, das wenige Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine für das „Askari Storm“-Manöver im März 2022 angeregt wurde, drehte sich passenderweise um den „Einsatz in einem befreundeten Land, das dem Hybridangriff einer feindlichen Staatsmacht ausgesetzt ist und um Hilfe ersucht“.

Manöver im Wildschutzgebiet

Die ersten Batuk-Manöver fanden vor fast 60 Jahren zwischen den Akazienbäumen des Rift Valley und den Siedlungen Dol Dol und Archers Post statt. Das Gelände stellte die kenianische Armee. Später erweiterte die Batuk ihren Radius auf das zentrale Hochplateau, wo die riesigen Ländereien der Nachfahren britischer Siedler liegen.

Sechs der sieben von der Batuk angemieteten Ranches gehören weißen Kenianern.5 Hier sollen die „Johnnies“ – so der Spitzname der jungen Rekruten, die nach Nanyuki kommen – „fern der gewohnten Umgebung ihre Grenzen austesten“.6 Auf diesem Land bereitet die Batuk die britischen Soldaten auf ihren Einsatz im Irak und später in Afghanistan vor.

Die Viehfarmen sind zugleich private Wildschutzgebiete, teils mit Luxus-Lodges, die reiche Touristen als Ausgangsbasis für ihre Fotosafaris nutzen. Martin Evans, Vorsitzender des Bauernverbands von Laikipia und Eigentümer der Ranch Ol Maisor, vermietet jedes Jahr 12 000 Hektar Savanne mit Nutzvieh und Gazellen für 41 Tage an die Batuk. „Das macht keinen großen Anteil unserer Einkünfte aus, aber es geht“, erklärt der weiße Kenianer der dritten Siedlergeneration lakonisch. „Die Armee hat uns jedenfalls nie Probleme gemacht.“

Das können in der Gegend nicht alle bestätigen. Bis in die 2000er Jahre dachte die Batuk wenig darüber nach, wie sie die „Herzen und Köpfe“ der Bevölkerung gewinnen könnte, und beschäftigte sich mehr damit, wie sie ihre Rekruten am besten auf die Begegnung mit „potenziell gefährlichen Tieren“ – „von Löwen und Leoparden über Skorpione bis zur Schwarzen Mamba“ – vorbereitet.

Die in der Umgebung von Archer’s Post und Dol Dol lebenden Hirtenvölker der Samburu und Massai kamen die Militärmanöver teuer zu stehen. 2002 einigte sich das britische Verteidigungsministerium mit der auf Menschenrechte spezialisierten Anwaltskanzlei Leigh Day darauf, 4,5 Millionen Pfund Schadenersatz (damals umgerechnet 7,1 Millionen Euro) an 228 Massai-Familien zu zahlen, deren Angehörige durch zurückgelassene Batuk-Blindgänger schwer verletzt wurden oder zu Tode kamen.

Zwei Jahre später wurde eine zweite Entschädigungszahlung für diesmal 1100 Betroffene vereinbart. Im selben Jahr veröffentlichte Amnesty International zusammen mit der lokalen NGO Impact (Indigenous Movement for Peace Advancement and Conflict Transformation) eine Untersuchung, in der mindestens 650 Kenianer:innen (Samburu und Massai) Vergewaltigungsvorwürfe gegen britische Soldaten erhoben. Doch die erhofften Gerichtsprozesse kamen nicht zustande, weil die Vorfälle teils lange zurücklagen und die Berichte schwer zu verifizieren waren.

Inzwischen sieht sich die Batuk mit weiteren Vorwürfen konfrontiert. Anders als bei früheren Streitfällen wenden sich die Bewohner:innen von Lolldaiga heute an die für Umweltschutz zuständige Strafjustiz. Kläger sind weder Samburu noch Massai, die von der Zentralregierung ausgegrenzt und häufig von der Tourismusindustrie instrumentalisiert werden, sondern Kikuyu-Kleinbauern. Die Kikuyu sind neben den Luo eine der beiden großen Ethnien des 53-Millionen-Einwohner-Lands. „Die Entschädigungen, die London im Vergleichsweg gezahlt hat, reichen nicht aus: Jetzt muss in Kenia Recht gesprochen werden“, fordert Rechtsanwalt Kelvin Kubai.

Gabriel Ngata, einer der Ältesten im Dorf Muramati unweit von Nanyuki, trägt ein T-Shirt mit dem Slogan „Justice for Lolldaiga“. Von seinem Hof, auf dem er mit seiner Frau und drei Kindern sechs Schafe, vier Kühe und zwei Ziegen hütet, schweift der Blick über die hügeligen Ländereien der Lolldaiga Hills Ltd. Auf dem Gebiet dieser Ranch brach vor einem Jahr ein Feuer aus, das auch das Land von Ngatas Dorfgemeinschaft verwüstete.

Das private Reservat der Lolldaiga-Hills-Ranch, wo einem Elefanten und Löwen über den Weg laufen können, gehörte damals dem weißen Kenianer Robert Wells, der an die Batuk jedes Jahr 20 000 Hektar Land vermietet. Im März 2021 brach hier während einer „Askari Storm“-Übung ein Buschfeuer aus und zerstörte eine 50 Quadratkilometer große Insel der Biodiversität.

Die Brandursache steht zweifelsfrei fest: Ein britischer Soldat hatte seinen Feldkocher nicht richtig ausgemacht. Die aus dem Reservat flüchtenden Elefantenherden donnerten hügelabwärts und zertrampelten dabei die gesamte Feldernte. Die ganze Nachbarschaft – rund 10 000 Haushalte in drei Dörfern – war drei Tage lang in beißenden Qualm gehüllt.

„Als die Regenzeit begann, fiel uns auf, dass das Wasser, das aus den Hügeln kommt, auf einmal anders schmeckte und aussah“, erinnert sich Gabriel Ngata. Kühe erblindeten, bei den jungen Frauen kam es gehäuft zu Fehlgeburten, die Älteren bekamen Lungenprobleme. „Nach den dramatischen Ereignissen hat sich kein Verantwortlicher der Batuk und nicht einmal ein Vertreter des Reservats blicken lassen, um uns Hilfe anzubieten“, klagt Duncan Weitheke, Pastor der Pfingstgemeinde Victory Chapel. „Und ich kann leider nur geistlichen Trost spenden.“

Der Gemeindeverwalter aus einem der Dörfer, der in der Gegend aufgewachsen ist und lieber anonym bleiben möchte, kann es immer noch nicht fassen: „Dass die Batuk mit ihren nächtlichen Übungen, dem Lärm der Lkws und Hubschrauber uns mitunter den Schlaf raubt, ist vielleicht noch hinnehmbar. Aber so etwas habe ich noch nie erlebt“, gesteht er und stützt sich auf seinen Gehstock. „Unsere Ernte ist verdorben. Wir sind am Verhungern“, klagt eine andere Bäuerin und zeigt auf ihren Avocadobaum, der von einem Elefanten umgestoßen wurde.

„Wir haben nichts gegen die Batuk-Manöver“, erklärt der Anwalt Kelvin Kubai. „Aber wir wehren uns dagegen, dass sie mit ihren Übungen das Alltagsleben unserer Gemeinschaften stören und Umweltschäden anrichten.“ Den schönen Worten habe man lange genug geglaubt: „Wir haben uns weismachen lassen, die Batuk trage zum einheimischen Wirtschaftsleben bei und schaffe Arbeit für die jungen Menschen. Aber unterm Strich müssen wir nüchtern feststellen, dass wir mehr verloren als gewonnen haben.“

Die Batuk in den Nyati Barracks ist unterdessen mit einem Vorfall beschäftigt, der schon länger zurückliegt, aber neuerdings wieder für Schlagzeilen sorgt.7 Im März 2012 wurde in der Klärgrube eines Hotels in Nanyuki, das die britischen Soldaten gern in ihrer Freizeit frequentierten, der leblose Körper der 21-jährigen Prostituierten Agnes Wanjiru aufgefunden. Im Herbst 2021 enthüllte die Sunday Times, dass ein Batuk-Soldat von seinen Kameraden als Täter beschuldigt worden war. Die Fakten seien von den Vorgesetzten beim Militär, aber auch von der kenianischen Polizei, die sich für den Mord an einer Sexarbeiterin nicht besonders interessierte, unter dem Deckel gehalten worden.

Das Verbrechen wurde in zahlreichen Leitartikeln in der nationalen und internationalen Presse behandelt. So schrieb etwa der kenianische Karikaturist Patrick Gathara im November 2021: „Der Versuch der britischen und der kenianischen Regierung, den Fall Wanjiru zu vertuschen, ist auch eine eindrückliche Erinnerung daran, dass kein britischer Siedler, Beamter, Soldat oder Polizist jemals dafür belangt wurde, dass in den sieben Jahren des Ausnahmezustands, den die Kolonialregierung 1952 auf dem Höhepunkt des Mau-Mau-Aufstands verhängt hat, Tausende umgebracht und gefoltert und fast 1,5 Millionen Menschen in Lagern interniert wurden.“8

Diesmal wird die Geschichte sicher nicht im Sande verlaufen: Im Frühjahr 2022 reisten zwei Anwältinnen der Kanzlei Leigh Day nach Nanyuki und sammelten neue Informationen über die Umstände, die zu Agnes Wanjirus Tod geführt haben könnten.

Auf die stürmischen Proteste reagierte die Batuk mit einer Imagekampagne, in der sie „ihre soziale und wirtschaftliche Rolle im Dienst der einheimischen Gemeinschaften“ hervorkehrt. Die Kampagne wird von dem ehemaligen Batuk-Major Adrian Weale geleitet, der 2003 im Irak als provisorischer Vizegouverneur der Provinz Dhi Qar fungierte und nun nach Kenia zurückgekehrt ist.

Die britische Armee gibt in Kenia jedes Jahr umgerechnet rund 58 Millionen Euro aus. Sie hat für 818 000 Euro Entwicklungsprojekte für Schulsanierungen und Brunnen finanziert. In extremen Trockenperioden fahren die Tanklaster der Batuk kreuz und quer durch die Region und versorgen die durstige Bevölkerung mit Wasser. Kürzlich übernahm die Armee zu 75 Prozent die Finanzierung eines 73 000 Euro teuren Policare-Zentrums vor den Toren von Nanyuki. Dort arbeiten „Forensikexperten, Ärzte, Richter und Staatsanwälte, die auf sexualisierte Gewalt spezialisiert sind“.

Laut Major Weale war die Batuk wegen der Enthüllungen im Zusammenhang mit dem Mordfall Wanjiru „erschüttert“. Seither fährt die Militärpolizei häufiger Streife in der Stadt; die Johnnies wurden angewiesen, keine Prostituierten mehr aufzusuchen und vor Mitternacht in die Nyati Barracks zurückzukehren.

Die 40-jährige ehemalige Sexarbeiterin Maryanne Wangui, die zur Volksgruppe der Kikuyu gehört, stammt aus Nanyuki. Sie ist im Arbeiterviertel Majengo geboren und aufgewachsen. Heute kämpft sie für die Rechte der rund 500 Prostituierten, die in der Stadt arbeiten. Nach den Enthüllungen der Sunday Times im Herbst 2021 demonstrierte sie an der Seite der jungen Frauen und forderte die kenianische Regierung auf, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.

„Sexuelle Gewalt durch die Johnnies kennen wir seit jeher – vor allem, wenn sie betrunken sind“, berichtet Wangui. „Aber viele Frauen gehen nicht zur Polizei, weil sie befürchten, dass ihnen dort niemand glaubt. Außerdem haben sie Angst davor, der Batuk die Stirn zu bieten.“ Das bestätigt auch Fidel Jesus, ein junger Blogger aus Nanyuki: „Die Batuk ist ein heikles Thema. Sogar Politiker, die privat über die Batuk schimpfen, halten sich mit öffentlicher Kritik zurück. Es stehen einfach zu viele lokale und nationale Interessen auf dem Spiel.“ Ndirithu Muriithi, der Gouverneur von Laikipia County, war zu einer Stellungnahme nicht bereit.

In den 2000er Jahren machte vor allem der Massai-Aktivist Mali Ole Kaung der Batuk die Hölle heiß. Kaung war Vorsitzender der Organisation Impact und die treibende Kraft hinter den rechtlichen Schritten gegen das britische Verteidigungsministerium, die mit einem Vergleich endeten. Kaunga organisierte auch mehrere Demonstrationen unter dem Slogan „100 Jahre sind genug!“ und forderte die Nachfahren der britischen Kolonialherren auf, das Land zu verlassen.

Damals wurde in Kenia gerade der 100. Jahrestag der Vertreibung der Massai begangen, die von der Kolonialverwaltung aus ihrer Heimat verjagt und in Reservate gesperrt wurden. Zuvor hatten die Briten einer der wichtigsten Führungsfiguren der Massai, Olonana Ole Mbatian, eine entsprechende Vereinbarung abgepresst.

Die diplomatischen Beziehungen zwischen London und Nairobi waren gerade höchst angespannt. Großbritannien drohte gar damit, die Batuk in das Sultanat Oman zu verlegen, wo die britische Armee eines ihrer fünf regionalen Kommandozentren unterhält – die übrigen befinden sich in Brunei, Belize und Deutschland. Als Massai-Nomaden mit ihrem Vieh in das private Wildschutzgebiet Lolldaiga eindrangen, reagierten die Ranger mit massiver Gewalt: Dabei kam ein Mensch zu Tode und drei Hirten wurden schwer verletzt.

Mali Ole Kaunga ist inzwischen ruhiger geworden. Seine NGO ist heute fest etabliert und geachtet. Und in seiner Analyse der Situation lässt er sich auch nicht beirren: „Das Land, auf dem die Batuk ihre Manöver durchführt, gehört Kolonialbaronen, die es den Massai weggenommen haben. Die Präsenz der Batuk ist deshalb absolut unberechtigt.“ Die Massai, ebenso wie die Samburu, die seit jeher von den Mehrheitsethnien im Land ausgegrenzt und geächtet werden, sind schon immer leidenschaftlich für ihre Forderungen eingetreten. „Unsere Volksgruppe war lange Zeit die einzige, die die Batuk und deren Umfeld aus weißen Ranchern britischer Abstammung offen und klar kritisiert hat“, sagt Kaunga. Nairobi habe diesen Protest lange ignoriert – und in Nanyuki gelte jeder, der die britische Militärpräsenz anprangert, als geschäftsschädigender Verräter. „Aber inzwischen lehnen sich auch andere Gemeinschaften auf und organisieren sich in den sozialen Medien. Es ist eine neue Dynamik entstanden.“

Rund hundert Kilometer nördlich von Nanyuki beginnt am Nordufer des Uaso-Nyiro-Flusses das Samburu County. Wegen der Konflikte um Landbesitz und der extremen Trockenheit raten westliche Diplomaten von Reisen in diese Region ab. Die Bevölkerung auf der anderen Seite der Brücke in Archer’s Post, die hauptsächlich von Ackerbau und Weidetierhaltung lebt, ist die Batuk-Manöver seit Jahrzehnten gewohnt.

Anders als bei den Übungen auf den Privatländereien im Laikipia County kommen bei den hiesigen Manövern jedoch echte Munition, Mörser und Phosphorbomben zum Einsatz, die laut der Batuk bei den nächtlichen Übungen für Beleuchtung sorgen sollen. Mehrere hundert Nomadenfamilien, deren Angehörige Opfer von Blindgängern wurden, haben vom britischen Verteidigungsministerium 4,5 Millionen Pfund Schadenersatz erhalten.

„Es wurde allerdings alles in London entschieden; die Gemeinschaft wurde nicht eingebunden“, klagt Fabian Losoli, der früher in der Lokalregierung saß und dort zu den Wortführern gehörte. „Als die Entschädigungen verteilt wurden, haben viele zum ersten Mal in ihrem Leben so viel Geld auf einem Haufen gesehen. Der Alltag vieler Wanderhirten ist dadurch erneut auf den Kopf gestellt worden – und nicht zum Guten, vor allem wegen des Alkohols.“ Der Batuk wird Gedankenlosigkeit vorgeworfen – auch die kenianische Regierung hat nichts unternommen, um die Bevölkerung auf den plötzlichen Geldsegen vorzubereiten.

Das Auftreten der britischen Militärs hat sich zwar verändert, aber die Probleme bleiben. „Mag sein, dass sie ihre Blindgänger beseitigen und den Jungen Arbeit geben“, räumt Losoli ein. „Aber auf diese Weise wollen sie sich nur den sozialen Frieden erkaufen.“

Kayu Lochode, dessen Name in der Sprache der Massai „der Weitblickende“ bedeutet, ist ein bekannter Ranger in einem etwas höher gelegenen Reservat an der Autobahn A2, die nach Norden in Richtung äthiopischer Grenze führt. Er sieht die Batuk mit gemischten Gefühlen: „Sie geben uns zwar Arbeit, damit wir ihre Aktivitäten absichern, aber dafür, dass sie unser Land nutzen, haben wir noch nie Geld gesehen. Dabei haben sie uns versprochen, dass sie zahlen werden.“

Die Verfassungsreform von 2010, mit der die Countys eingeführt wurden, hat wieder vermehrt dazu geführt, dass Ansprüche auf das Land angemeldet werden. Die Batuk führt ihre Manöver zwar offiziell auf Gelände durch, das sie von der kenianische n Armee mietet. Aber sie soll sich auch auf 36 000 Hektar breitgemacht haben, die der „Losesia Community Land“ gehören – einem Zusammenschluss von 940 Samburu-Viehzüchtern, die dort 10 000 Kühe, 1000 Dromedare und 50 000 Ziegen weiden lassen.

„Die Briten haben nie auch nur einen Pfifferling dafür gezahlt, dass sie hier trainieren können. Dabei versengen ihre Explosionen das Weideland, von dem unser Vieh sich ernährt, das wegen der Trockenheit sowieso schon zu wenig Futter bekommt“, wettert Samuel Lemoyog, der Vorsitzende der Viehzüchtergemeinschaft.

Lemoyog befindet sich in einer heiklen Lage. Der Sohn eines Viehzüchters aus Losesia ist auch der Ansprechpartner seiner Gemeinschaft für die Batuk. „Das ist mein Land! Unsere Generation wird sich Gehör verschaffen – so viel steht schon mal fest.“

Diese neue Generation ist auch die erste, die in der prächtigen Landschaft des Rift Valley zwischen weidenden Kühen selbstgeschriebene Musikvideos mit dem Smartphone dreht und in den sozialen Netzwerken postet. In den Texten ihrer Songs, musikalisch vom Reggae inspiriert, geht es um das Leben auf dem Land, den Umweltschutz und die Dürre, aber auch um Toleranz zwischen Kenias verschiedenen Communitys, die Liebe, mobile Telefonie – und um die Vergangenheit: Der 22-jährige Pilaz Pilonje, der von Beruf Statistiker ist, singt in „UKoloni“ darüber, wie die Samburu bei ihrer ersten Begegnung vor mehr als hundert Jahren den Briten ihr Vertrauen geschenkt haben und bitter enttäuscht wurden. In dem Lied schwinge aber „auch Aktuelles“ mit, bekennt Pilonje.

In Lolldaiga verbreitete sich die schlechte Nachricht, als der erste Regen fiel: Der Oberbefehlshaber der Batuk legte gegen die Entscheidung der Richterin Bor offiziell Beschwerde ein. Er will nicht, dass vor einem kenianischen Gericht dem britischen Militär der Prozess gemacht werden kann. Das bedeutet Verzögerungen und setzt die Kleinbauern, die ohnehin schon zu kämpfen haben, finanziell noch mehr unter Druck“, seufzt Rechtsanwalt Kubai.

In solchen Momenten muss der junge Anwalt an seinen Großvater Musa Mwariama denken. Er gehörte zu den Mau-Mau-Rebellen, die sich damals in der Macchia des Mount-Kenya-Massivs verschanzt haben. Und er war der ranghöchste Offizier, der nicht von den Kolonialtruppen gefangen genommen oder getötet wurde. „Bis zu seinem Lebensende 1989“, erzählt der Anwalt, „pflegte mein Großvater zu sagen: ‚Not Yet Uhuru‘ – ‚Noch nicht frei‘. Das gilt heute immer noch. Aber wir lassen nicht locker.“

1 Siehe Mercy Mwende, „Landmark ruling opens floodgates to lawsuits against British army“, The Nation, Nairobi, 14. März 2022.

2 Siehe Mercy Mwende, „Kenya deal with UK aims to turn Nairobi into Africa’s financial hub“, Financial Times, London, 27. Juli 2021. Siehe auch Gérard Prunier, „Es brennt in Kenia“, LMd, Oktober 2014.

3 Siehe Gérard Prunier, „Terror und Misere“, LMd, November 2013.

4 Siehe Ngugi Wa Thiong’o, Rêver en temps de guerre“, Paris (Éditions Vents d’ailleurs) 2022.

5 Siehe John Letai, „The sun never set: British army secret payments to colonial era farms“, Declassified UK, 8. April 2021.

6„Paras push the limits in Kenya“, Onlinezeitung der britischen Armee, 16. November 2017.

7 Siehe „Neuf ans après les faits, un soldat britannique accusé du meurtre d’une jeune Kényane“, Courrier International, Paris, 4. November 2021.

8„One more body in the septic tank that is British colonial history“, Al Jazeera, 8. November 2022.

Aus dem Französischen von Andreas Bredenfeld

Jean-Christophe Servant ist Journalist.