Kino: Grosse Liebe am äussersten Rand

Nr. 45 –

Am Anfang und am Ende blickt ein Esel aufs Dorf. Es liegt am Rand einer Wüste, die sich ins bebaute Land frisst und der im chinesischen Film «Return to Dust» spektakulär schöne Bilder zu verdanken sind. Eine körperlich versehrte Bäuerin sitzt mit ihrem Mann, der von seiner Familie als Trottel behandelt wird, auf einer Sanddüne. Die beiden wurden verheiratet, und Regisseur Li Ruijin inszeniert in einer quälenden Einstellung, wie die beiden angeleitet werden, vor einer kahlen roten Wand fürs Hochzeitsfoto zu posieren. Ihre Gesichter passen nicht ins Bild.

Der ganze Film passt nicht ins Bild, das Chinas Regierung von ihrem Land zeigen möchte, und er stellt auch die globalisierte Idee der Modernisierung infrage. «Return to Dust» hat seit dem Kinostart in China bereits 14 Millionen Franken eingespielt, doch seit dem 26. September ist er dort nicht mehr zu sehen. Die Spekulationen über die Gründe der Zensur gehen in eine klare Richtung: «Return to Dust» zeigt eine Armut, die offiziell als überwunden gilt. Da schuftet sich ein Bauernpaar ohne Maschinen ab. Die Egge aus Holz ist selbstgebaut, nur der Esel hilft beim Pflügen. Staatliche Massnahmen der Armutsbekämpfung werden von den reicheren Verwandten verdreht: Sie jagen das Ehepaar aus einem Haus, damit sie eine Abrissprämie einstreichen können.

So sehen wir, was der angebliche Trottel alles kann. Er baut sich aus luftgetrockneten Erdziegeln ein eigenes Haus. In der Sorgfalt und der Geduld, die seine Bewegungen bei der Arbeit prägen, scheint eine Art Glück verborgen. Das findet eine Fortsetzung in der Liebe, die sich zwischen ihm und seiner Frau entwickelt. Der Film leistet eine grosse Umkehrung. Immer wenn ein BMW ins Bild fährt, weiss man: Jetzt kommt wieder eine richtig doofe Intervention aus dem Partei- und Staatsapparat. So etwas wie Weisheit hat nur Raum, wenn die Eheleute allein sind. Wenn sie beim Jäten Gedanken über die Natur austauschen, erhält der Film etwas Sagenhaftes. Als sei er ein Gedicht über das gute Leben im schlechten. Oder eine Erinnerung an die grossen Einsiedler der chinesischen Literatur.

Filmstill aus dem Film «Return to Dust»: zwei Personen bei der Arbeit auf einem Feld

«Return to Dust» (im Original: 隐入尘烟, Verborgen in Staub und Rauch). Regie und Drehbuch: Li Ruijin. China 2022. Jetzt im Kino.