Ballroom: Glitzer, Glamour, Widerstand

Nr. 48 –

Längst zu einem Anziehungspunkt für die Popkultur geworden, ist Ballroom seit den Anfängen politischer Schutzraum und Ort der Behauptung queerer Identitäten. Das Spiel mit Genderidentitäten und dem eigenen Körper wird auch in der Schweiz von einer kleinen Community gelebt. Szenen von einem Ball in Bern.

MC German Mother Mandhla Laveaux auf der Bühne des Balls
MC German Mother Mandhla Laveaux zeigt zu Beginn des Balls ihr Können und hat sich hier für einen «Dip» auf den Runway geworfen.

«In a ballroom, you can be anything you want.»
Im Ballroom kannst du alles sein, was du möchtest.

Dorian Corey im Film «Paris Is Burning» (1990)

Kurz vor zehn Uhr öffnen sich die Türen, die vom Foyer in einen der grossen Räume der Berner Dampfzentrale führen. Schnell sind die Plätze auf der Tribüne besetzt, der grösste Teil des Publikums hat sich links und rechts des improvisierten Laufstegs aufgestellt, dessen Umrisse mit weissem Klebeband auf dem schwarzen Boden markiert sind. Wer es nicht weiss, dem würde es vielleicht nicht auffallen, doch es zeichnet sich ab, dass es hier zwei Gruppen gibt: Die einen tragen eher zurückhaltende, dunkle Kleidung, bei den anderen sieht man mal farbige, mal glitzernde Tops und Netzshirts, hier und da einen falschen Pelz oder eine Federboa, doch richtig ausgefallen werden die Outfits erst später. Draussen in der Kälte warten immer noch Leute in einer langen Schlange darauf, hereingelassen zu werden. Wer sich auf die Bühne wagen will, wird ohne Anstehen durchgelassen. Einige Performer:innen sind bereits eingetroffen, man erkennt sie an ihren Rollkoffern, die sie eilig Richtung Backstage ziehen, sie unterhalten sich aufgeregt auf Französisch, Deutsch und Englisch.

Wer sich traut mitzumachen, erhält Anerkennung, egal ob er oder sie weiterkommt.

DJ Esengo 007 dreht die Lautstärke auf, ein lautes Crashbecken ertönt. Ein paar weitere Crashes brechen die erwartungsvolle Stille im Saal, bevor ein stampfender Housebeat einsetzt und das unverkennbare «Ha!» folgt – ein Vocal-Sample, das gemeinsam mit jenem Crash in den meisten Songs zu hören ist, die heute Abend gespielt werden. Das kommt daher, dass die für den Ballroom produzierte elektronische Musik stark vom 1991 erschienenen Song «The Ha Dance» von Masters at Work beeinflusst ist. «Test to the test, bitch!» – die Moderatorin oder MC mit der hellgrünen Perücke und im gemusterten Minikleid, das ihr bei jedem zweiten Schritt in den hohen Schuhen über den Hintern rutscht, tritt auf den Laufsteg. Sie spricht im Takt ins Mikrofon, und das Publikum fängt an, sich zum Beat zu bewegen. Auch wenn die Szene es vermuten lassen könnte: Hier wird weder eine Modenschau noch eine Performance und auch kein Tanzstück gezeigt. Der Ball, der gleich beginnt, ist all das zusammen. Aber auch noch viel mehr.

Wie im Modeheft

Die Kultur, die an diesem Abend in Bern zelebriert wird, hat ihren Ursprung im New York der siebziger und achtziger Jahre. Im Stadtteil Harlem begannen queere Schwarze und People of Color (BIPoC), eigene Balls, eine Art Wettkämpfe, zu organisieren, da sie bei den Drag Balls häufig Rassismus erfuhren. Ging es bei Drag Balls, deren Tradition bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, noch hauptsächlich darum, dass Frauen in Männerkleidung, vor allem aber Männer in Frauenkleidung auftraten, entwickelte sich die Ballroomszene rasch weiter und inkorporierte dabei auch kulturelle Praktiken, von denen trans, schwule und lesbische BIPoC-Personen ausgeschlossen waren. So entstand mit dem Voguing ein eigener Tanzstil, der von den Posen und der Darstellung von Models in Magazinen wie der «Vogue» inspiriert war.

Bei einem Ball treten die Teilnehmenden in verschiedenen Kategorien gegeneinander an, werden vom Publikum angefeuert und von einer Jury bewertet. Klassische Kategorien sind neben dem Voguing solche, bei denen die Teilnehmer:innen den eigenen Körper, Stil oder bestimmte Fähigkeiten präsentieren. Daran hat sich seit den achtziger Jahren nicht viel verändert. Anders ist trotzdem einiges, so existieren heute beispielsweise Kategorien explizit für nonbinäre Personen. Auch hinsichtlich der Repräsentation und der Rechte von LGBTIQ+-Personen hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges verbessert. Doch gehört Gewalt gegen queere, insbesondere gegen trans Personen, noch längst nicht der Vergangenheit an. Gleichzeitig hat die Szene, insbesondere in den neunziger und den nuller Jahren, viele ihrer Mitglieder während der Aidskrise verloren. Ballroom dient queeren Personen bis heute als Möglichkeit, sich zu vernetzen und zu organisieren und ist längst von einem zunächst sehr lokalen zu einem globalen Phänomen geworden.

Die Jury des Balls sitzt an einem Tisch vor der Bühne in der Berner Dampfzentrale
Die Jury. In der Mitte: Tropikahl B. Poderosa.

Einer, der die noch junge Szene in der Schweiz massgeblich mitprägt, ist Sun Niederer, genannt Sun, auch bekannt als Helios B. Poderosa. Er ist «Vater» der aktuell zehn Mitglieder des in Zürich beheimateten House of Poderosa, neben dem House of Phoenix und dem House of Dorsey Swann in der Romandie das einzige «Haus» in der Schweiz. Die Hausmütter und -väter übernehmen leitende, organisatorische, pädagogische und Careaufgaben für ihre Mitglieder. Der 24-Jährige kam vor etwa fünf Jahren über das Voguing zur Szene und hat den Ball in der Dampfzentrale organisiert.

Was es genau heisst, zu einem House zu gehören, darüber gingen die Meinungen auseinander, sagt Sun zwei Wochen vor dem Ball. «Eine Gang, ein Kollektiv, eine Ersatzfamilie – die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.» Während in den Anfängen der New Yorker Szene die Zugehörigkeit zu einem House oftmals noch bedeutete, dass die «Mutter» eines House ihre «Kinder» bei sich aufnahm, wenn diese von ihren leiblichen Familien verstossen wurden und in Armut lebten, wohne man heute nicht mehr zusammen, sagt Sun und lacht beim Gedanken an eine Gross-WG mit allen House-Mitgliedern. Und doch sei das starke Zugehörigkeitsgefühl und die Gemeinschaft, die unter anderem in den Houses gelebt werde, eines der wichtigsten Elemente der Ballroomkultur. «Es geht ausserdem um das Recht und die Möglichkeit, sich auszudrücken und dafür einzustehen, wer man ist.»

Das gefällt auch Tangerine Lychee Liu an der Ballroomszene. Die 23-jährige Person, die für sich alle Pronomen verwendet, ist in der chinesischen Millionenstadt Guangzhou aufgewachsen und hat in Kanada studiert, bevor sie im September vor einem Jahr nach Zürich zog, um hier ein Studium in Kunstgeschichte weiterzuführen. Und wo sie dank eines Voguing-Workshops bei der «Mutter» des House of Poderosa, Ivy Monteiro, Zugang zur lokalen Ballroomszene fand. Noch gehört Tangerine, der am Samstag zum dritten Mal an einem Schweizer Ball teilnehmen wird, keinem House an, sie ist erst dabei, die Szene kennenzulernen. «Im Ballroom kannst du Dinge ausprobieren und deine eigene Identität erforschen.» Er habe lange gedacht, dass er einfach «ein maskuliner schwuler Mann sei», so Tangerine, die in der Kategorie «Vogue Femme» antritt: eine Spielart des Voguings, die besonders schnell und akrobatisch ist, Elemente von Ballett enthält und sich durch betont feminine Bewegungen auszeichnet. «Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich auch Feminität in mir habe, die ich in diesem Tanz erforschen kann.»

Echter Mann spielen

Doch was bedeutet «feminin» und «maskulin» in diesem Kontext überhaupt? Werden hier stereotype Rollenbilder transzendiert oder nicht vielmehr reproduziert? Zwar sind die Gender- und die Sexualitätskategorien in der Welt des Ballrooms komplexer und vielfältiger als ausserhalb, trotzdem beziehen sich Konzepte wie «Butch Queen up in Drag» (schwuler Mann, der sich «weiblich» kleidet) oder «Femme Queen» (trans Frau) auf verbreitete Männer- und Frauenbilder. Das bestätigt Sun: «Gerade bei ‹Realness› wird Heteronormativität ins Zentrum gestellt.» In Echtheitskategorien geht es darum, bestimmte Rollen und Genderidentitäten zu verkörpern: Dabei messen sich beispielsweise schwule, feminine Männer oder trans Männer darin, wer den überzeugendsten Geschäftsleiter im Anzug abgibt. Gerade für trans Personen sei das eine wichtige Kategorie, sagt Sun, da diese etwa im Berufsleben oder schon nur auf der Strasse oft gezwungen seien, als «echter» Mann oder «echte» Frau durchzugehen, weil sie sonst Diskriminierung oder Gewalt erfahren. Gleichzeitig können marginalisierte Personen so performativ herstellen, wovon sie im Alltag zum Teil ausgeschlossen werden – und erführen Anerkennung dafür. «In einer idealen Welt würde diese Kategorie nicht existieren, aber davon sind wir wohl noch Jahrzehnte entfernt.»

Auftritt in der Kategorie «Vogue Femme – Wavering Winds»: Eine Performer:in schwingt lange Stoff-Fächer mit den Armen
In der Kategorie «Vogue Femme – Wavering Winds» zeigen die Antretenden ihre von Wind und Lüften inspirierte­n Performances.

Tangerine sagt dazu: «Du zeigst dich in bestimmten Kategorien zwar heterosexuell binär, aber es ist nicht echt, es ist ein Konstrukt», und sie betont, dass Personen, die an Balls teilnehmen, sich nicht auf eine bestimmte Darstellung von Genderidentität festlegen müssen. Drei Tage vor dem Ball hat er noch nicht entschieden, welche Outfits er anziehen will. Auf ihrem Handy zeigt sie ein Foto von sich im hellblauen Badeanzug. «Vielleicht das hier», sagt er und lacht, sichtlich zufrieden mit dem Anblick. Am Ball tritt Tangerine kurz vor Mitternacht, angefeuert vom rhythmischen Klatschen des Publikums, in ebendiesem Badeanzug auf den Runway. Sie trägt dazu Stiefel in einem helleren, metallischen Blauton, schwingt die Hände in atemberaubender Geschwindigkeit, geht für den Duckwalk tief in die Hocke und schmeisst sich, so will es die Regel, wenn in der Musik ein Crash zu hören ist, für einen sogenannten Dip mit einem ausgestreckten Bein rücklings auf den Boden – eine Bewegung, die aussieht, als müsste Tangerine sich dabei den Rücken brechen.

Die Performance von Tangerine ist die einzige an dem Abend, in der eine explizit politische Botschaft transportiert wird. Zwei Personen mit Transparenten treten während seines Auftritts mit auf den Runway, «Safe and accessible bathroom for trans+ now» und «Chinese Queers will not be censored» steht darauf. Tangerine will damit auf den Fall einer trans Frau aufmerksam machen, die im Frühling dieses Jahres in Wuhan auf einer Männertoilette ermordet wurde. Der Fall wird von den Behörden totgeschwiegen.

Wenn auch nicht so explizit wie bei Tangerine: Politisch ist die Veranstaltung auch sonst. «Unsere Existenz an sich hat bereits eine Signalwirkung. Gegenüber der Politik, der Gesellschaft und den Leuten, die uns in unserem Alltag begegnen», sagt Sun. Der Ballroom, entstanden als ein Ort von und für LGBTIQ+-Personen, hat auch heute noch den Anspruch, ein Safe Space für Menschen zu sein, die Diskriminierung erfahren. «Man unterstützt hier BIPoC und Migrant:innen, und niemand beurteilt dich danach, ob du weiblich, männlich oder sonst wie aussiehst», erklärt Tangerine. Wer sich dazu entscheidet, bei einem Ball aufzutreten, wird aber durchaus beurteilt – vom Publikum, insbesondere aber von der Jury. Die setzt sich am Ball in der Dampfzentrale aus Grössen der lokalen und der europäischen Ballroomszene zusammen. Darunter etwa Kenjii Juicy Couture aus Italien und natürlich der Star der Schweizer Ballroomszene: Ivy Monteiro alias Tropikahl B. Poderosa, wie ihr Dragname lautet. Monteiro ist eine Tanz-, Performance- und Multimediakünstlerin, die das erste House der Deutschschweiz, das House of Poderosa, gegründet hat.

Madonnas Hit

Als Monteiro, an diesem Abend als Tropikahl unterwegs, kurz vor dem offiziellen Beginn des Balls zum ersten Mal den Raum betritt, richten sich alle Augen auf sie. In ihrer langen Daunenjacke, einer Fellmütze, hohen Schuhen, mit Leopardenhandschuhen und einer Sonnenbrille sieht sie aus, als wäre sie direkt aus St. Moritz eingeflogen. Während ihrer Performance auf dem Runway lässt sie irgendwann den Mantel fallen und trägt darunter nur noch einen schwarzen, fast durchgehend transparenten Body.

Newcomer und Mitglieder der Schweizer Häuser treten im eigentlichen Wettkampf in verschiedenen Kategorien gegeneinander an. Die Jury bestimmt mit Handbewegungen, wer sogenannte «tens» kriegt und weiterkommt und wer «chopped» wird und rausfliegt. Worauf es dabei ankommt? «Technik, Schönheit, Präsentation», sagt Ivy Monteiro. «Doch sage ich den Kids immer: Am wichtigsten ist das Selbstvertrauen.» Auch wenn im Ballroom prinzipiell jede und jeder willkommen ist: Wer antreten will, muss sich an eine Menge Regeln halten, die mündlich überliefert werden. Etwa in welcher Kategorie man im Takt gehen muss und in welcher auf keinen Fall. Wer sich traut mitzumachen, erhält Anerkennung, egal ob er oder sie weiterkommt. «Ich will alle von euch klatschen und schreien hören, sobald hier jemand auf den Runway tritt!», wendet sich die Moderatorin vor Beginn des Balls mit fast drohender Stimme ans Publikum.

Tangerine Lychee Liu bei einem Battle in der Kategorie «Performance Wavy Waters»
Tangerine Lychee Liu (links) bei einem Battle in der Kategorie «Performance Wavy Waters».

Auch dieses besteht aus zwei Kategorien: den Personen, die zu dieser Welt dazugehören, und denjenigen, die von ihr fasziniert sind und zuschauen möchten. Zu welcher Gruppe man sich zählt, muss jede Person für sich selbst entscheiden. «Wenn du an einen Ball kommst, fragt dich niemand am Eingang danach, wen du liebst oder welche Geschlechtsmerkmale du hast», erklärt Sun. «Du musst dir überlegen, welche Privilegien und welche Position du hast und wo dein Platz in dieser Welt ist.» Das scheint zu funktionieren. Die Moderatorin bietet zu Beginn des Balls die Stühle in der ersten Reihe Personen mit Behinderung an und ruft dann BIPoC-Personen dazu auf, nach vorne zu kommen, wenn sie mögen. Einige treten vor, andere rücken nach hinten, und auch die Leute auf der etwas weiter entfernten Tribüne klatschen mit und feuern an. «Ich fühle mich richtig geehrt und bin dankbar dafür, dass ich dabei sein durfte», sagt eine Frau aus dem Publikum nach dem Ball.

Das Verhältnis zwischen der Ballroomwelt und der Öffentlichkeit ist ambivalent, Medienschaffende und Fotograf:innen sind nur mit ausdrücklicher Zustimmung willkommen. Man möchte gesehen werden, aber zu den eigenen Konditionen. Einzelne Elemente der Subkultur wie das Voguing sind derweil längst im Mainstream angekommen. Dazu hat auch Popstar Madonna beigetragen, deren 1990 veröffentlichter Song «Vogue» zu einem weltweiten Erfolg wurde und dank dessen Musikvideo Millionen von Menschen erstmals mit Voguing in Berührung kamen. Während der Tanzstil plötzlich total in war, blieb der Entstehungskontext des Voguing den meisten unbekannt. Dank neuerer Serien wie «Pose» oder «RuPaul’s Drag Race», die die Ballroom- oder die Dragkultur thematisieren, verwendet Generation Tiktok heute Ausdrücke wie «throwing shade» (eine subtile Form, jemanden zu kritisieren oder zu beschämen) oder «tens across the board» (maximale Punktzahl). Diskussionen um kulturelle Aneignung finden daher auch in der Ballroomszene statt. Ivy Monteiro stellt klar: «Die Ballroomkultur steht nicht zum Verkauf. Es ist unsere Kultur, und wir wollen, dass sie als solche respektiert wird.» Und sie betont: «Klar, diese Bewegung ist voller Glitzer und Glamour, aber es ist eben auch eine Widerstandsbewegung.»

Dass sich Glamour und Widerstand problemlos vereinbaren lassen, wird an diesem Abend in der Dampfzentrale spürbar. Runde um Runde treten die Teilnehmer:innen gegeneinander an, je nach Kategorie und Motto mal in fantasievollen Kostümen, etwa in blauer, schimmernder Kleidung, die Wasser imitieren soll, mal in sexy Outfits, die lediglich aus ein paar glänzenden Ketten bestehen. Abgesehen von einigen blutigen Anfänger:innen einen die Performer:innen die Eleganz und der Stolz, mit dem sie sich über den Runway bewegen. Die etwa 300 versammelten Besucher:innen klatschen und schreien auch vier Stunden nach Beginn immer noch begeistert mit. Ab und zu gibt es Sprechchöre, angefeuert von der Moderatorin, die ihr Handwerk so eindrücklich meistert, dass man ihr alleine gut ein paar Stunden zuhören und zuschauen würde.

Tangerine macht in mehreren Kategorien mit, gewinnt aber keine der begehrten Trophäen. Es scheint sie nicht zu stören. Kurz vor Schluss, während eines Spiels ähnlich der Reise nach Jerusalem, bei dem die Stühle nicht gehend, sondern voguend umkreist werden, schafft es Tangerine fast bis ins Finale und verteilt strahlend Luftküsse, als er den Runway räumen muss. Der DJ dreht die Musik noch einmal auf, die Jurymitglieder erheben sich vom Tisch und beginnen zu tanzen, genau wie die Zuschauer:innen, die eben noch neben dem Runway standen. Ivy, Sun, Tangerine, alle versammelt. «Ich bin müde, aber zufrieden», sagt Tangerine noch rasch, bevor er sich wieder dem Kreis zuwendet, der sich soeben um ein paar Voguer:innen gebildet hat. So ein Ball sei ein Ritual, «zeremoniell, fast wie in der Kirche», sagt Ivy Monteiro, und es ist definitiv auch ein Fest.

Ballroom auf der Leinwand

«Paris Is Burning» (1990) ist für viele die erste Begegnung mit der Welt des Ballrooms. In ihrem Dokumentarfilm porträtiert Jennie Livingston die New Yorker Ballroomszene und einige ihrer wichtigsten Vertreter:innen und zeigt, wie Houses und Balls Ende der achtziger Jahre funktionierten. Der Film ist bis heute populär und diente der viel beachteten Netflix-Serie «Pose» (2019) als Inspiration. Und doch steht er seit seinem Erscheinen in der Kritik: Der Filmemacherin wird vorgeworfen, sie habe Kapital geschlagen aus den Schicksalen der dokumentierten Personen, von denen viele in Armut lebten.

Der 2006 veröffentliche Film «How Do I Look» von Wolfgang Busch, der die Ballroomszene in New York und in Philadelphia während zehn Jahren begleitete, wird positiver bewertet, unter anderem, weil Angehörige der Community bei der Produktion des Films miteinbezogen wurden. Gelobt wird auch «Kiki» (2016) von Sara Jordenö, der einen Fokus auf den Aktivismus der Beteiligten legt.