Zwei Ohren vor dem hellen Morgenhimmel. Ein Schatten hinter den Alpenrosen. Eine Reihe leuchtender Augenpaare im Dunkeln. Grossformatig in einer Galerie sähen sie gut aus, die automatisch ausgelösten Fotos von Wildtierkameras. Sie könnten eine eigene Kunstform begründen.

Im 19. Jahrhundert wurde der Wolf in der Schweiz ausgerottet. 1994 wanderte ein italienischer Rüde ins Unterwallis ein – und frass Schafe. Heute leben hierzulande 150 bis 200 Wölfe in über zwanzig Rudeln. Wie geht diese Rückkehr vor sich? Die beiden Kulturwissenschaftler:innen Elisa Frank und Nikolaus Heinzer haben ihre Dissertationen dazu geschrieben und nun gemeinsam ein Buch veröffentlicht. Es zeigt, wie es weiterging, nachdem «la Bête du Val Ferret» das Wallis aufschreckte.

Frank und Heinzer zeichnen die kulturelle Bedeutung der Schwarznasenschafe im Wallis nach, begleiten eine Hirtin und einen Wildhüter am Calanda, wo sich 2012 das erste Wolfsrudel bildete, verfolgen die Auseinandersetzungen um den Herdenschutz und um das revidierte Jagdgesetz, das 2020 an der Urne abgelehnt wurde. Das Buch ist dort am stärksten, wo es zeigt, wie komplex die Situation ist, etwa für Schafhalter:innen. Redundant wirkt es bei den Gemeinplätzen über Wildnis und Zivilisation, die kaum über einen simplen Natur-Kultur-Dualismus hinauskommen: «Von staatlichen Behörden ausgeführte Regulierungsmassnahmen manifestieren dabei den Versuch der Gesellschaft, Kontrolle über Wölfe und die oft als wild imaginierte Natur auszuüben, welche mit Wölfen assoziiert wird.»

Trotzdem: Wer sich mit Schweizer Raubtieren beschäftigt, wird kaum um dieses Buch herumkommen. Es bietet einen umfassenden Überblick, streift auch die Situation von Luchs und Bär und endet mit einer Kurzgeschichte von Gianna Molinari. Und die Bilder – nicht nur von Wolfsohren, sondern auch von frisch gewaschenen Zuchtwiddern, der Arbeit auf einer abgelegenen Alp, Antiwolfprotesten und Cartoons – sind ein idealer Einstieg in den Text.

Bettina Dyttrich

Elisa Frank, Nikolaus Heinzer: «Wölfe in der Schweiz. Eine Rückkehr mit Folgen». Hier und Jetzt. Zürich 2022. 208 Seiten. 44 Franken.