Kost und Logis: Jetzt sagen sie schon wieder «Büffel»

Nr. 48 –

Bettina Dyttrich war auch ein Kind mit Pfeilbogen

«Sind die Sachen in diesem Museum eigentlich wertvoll?»

«Du redest wie ein Europäer.»

«Ich bin ein Europäer!»

Klingt wie ein identitätspolitischer Disput der Gegenwart, ist aber mehr als dreissig Jahre her. Und der Fragende, mein Mitschüler, war erst neun oder zehn. Der Mann, der nicht mehr wie ein Europäer reden wollte, war der Ethnologe Hans Läng (1919–2012), der das Zürcher «Indianermuseum» (heute Nordamerika Native Museum) damals leitete.

Seit der ersten Klasse faszinierten mich die Indigenen Nordamerikas. Als wir sie in der dritten Klasse «durchnahmen», wusste ich schon mehr als die Lehrerin. Und war gestresst. Ich konnte mich wahnsinnig aufregen, wenn andere Kinder Tipis neben Totempfähle zeichneten, obwohl die Kulturräume von Tipi und Totempfahl mehrere Tausend Kilometer auseinanderliegen. Oder wenn sie behaupteten, alle Indigenen hätten in der Prärie gelebt und Bisons gejagt. Die sie zu allem Überfluss auch noch falsch «Büffel» nannten. Nie hätte ich Karl May gelesen, weil ich wusste, dass die Fakten in seinen Romanen hinten und vorne nicht stimmen. Ich glaube, ich war ein ziemlich humorloses Kind.

Nicht nur Rassismus, auch Begeisterung für Indigene hat mit Kolonialgeschichte zu tun. Dass heute über Winnetou gestritten wird und sich die Kolonisierten mehr und mehr zu Wort melden, finde ich gut. Und klar lässt sich kritisieren, dass höchstens zwei der mindestens hundert «Indianerbücher», die ich als Kind las, von den Beschriebenen selbst stammten. Trotzdem: Zwischen Karl May und den Autorinnen der besten Jugendromane zum Thema liegen Welten. Ja, Autorinnen, denn es waren oft Frauen aus Deutschland: Anna Jürgen, Käthe Recheis oder Liselotte Welskopf-Henrich, die auch über das American Indian Movement des 20. Jahrhunderts einen Romanzyklus schrieb und von den Lakota einen Ehrentitel bekam.

Dank meiner Obsession habe ich viel über europäische Kolonialgeschichte gelernt. Natürlich habe ich auch viel gespielt, Pfeilbögen gebastelt und als imaginäres Apachenkind Baustellen und Wälder erforscht, was mich sehr glücklich gemacht hat. «Indianer spielen» hiess für mich, immer wieder zu merken: Alles könnte anders sein. Es war auch ein Weg, mit der Angst vor Waldsterben, Chemieunfällen und dem Weltuntergang umzugehen.

Mit genau dieser Leitfrage, die mein Mitschüler schon mit neun verinnerlicht hatte – wie viel ist es wert? –, sind die europäischen Eroberer durch die Welt marodiert. Genau diese Weltsicht führt dazu, dass die nichtmenschlichen Bewohner:innen dieses Planeten heute in unfassbarem Tempo wegsterben. Natürlich muss dieser Text mit einem Aufruf enden, «von den Indigenen zu lernen». Aber was heisst das in Europa, über individuelle Betroffenheit hinaus, was heisst es in einem Wirtschaftssystem, das völlig lernresistent scheint?

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.