Durch den Monat mit Johannes R. Millius und Daniel Blatter (Teil 4): Braucht es im Theater Trigger­warnungen?

Nr. 4 –

Johannes R. Millius erzählt, worauf es ankommt, wenn man in einer Kleinstadt wie Brig Theater plant. Bald wird er Kulturbeauftragter von Leuk und möchte mehr kulturelle Kontakte über den Röstigraben knüpfen. Sein Kollege Daniel Blatter findet: Vergebliche Mühe.

Daniel Blatter und Johannes R. Millius sitzen auf einer Treppe
«Hey, wenn es dich nicht betrifft, kann es dir ja so was von egal sein. Und sonst machen wir halt eine Triggerwarnung, dass es eine Triggerwarnung hat»: Daniel Blatter und Johannes R. Millius.

WOZ: Herr Millius, Sie sind im Vorstand des Kellertheaters Brig. Wie macht man ein Theaterprogramm in einer Kleinstadt? Wie findet man heraus, was zieht und warum?

Johannes R. Millius: Das ist eine grosse Diskussion! Wir versuchen immer, einen Mix zu finden aus sicheren Werten und jungen Künstler:innen, denen wir eine Chance geben wollen. Wir machen zum Beispiel bei Jungsegler mit, einem Newcomerformat, das als Wettbewerb ausgeschrieben wird. Man reserviert einen Abend, ohne zu wissen, wer gewinnt. Wir gehen auch jedes Jahr an die Künstlerbörse in Thun, um Neues zu entdecken.

Was sind sichere Werte?

Millius: Einheimische ziehen gut, Erika Stucky, Sina, das Duo Valsecchi und Nater. Und Grössen wie Franz Hohler oder Renato Kaiser.

Ich musste über einen Satz im Theaterprogramm lachen: «Luc Oggier, dessen Grossvater aus Brig stammt.» Braucht es immer auf Biegen und Brechen einen Bezug zum Kanton?

Millius: Wir bekommen Fördergelder für Anlässe, bei denen Walliser:innen auf der Bühne stehen. Da bist du halt froh, wenn der Grossvater aus Brig kommt … Aber meines Wissens betont Luc das auch selbst gern.

Noch etwas ist mir aufgefallen: Es hat eine Triggerwarnung im Programm.

Millius: Das ist beim Stück «Der wunderbare Massenselbstmord» von Arto Paasilinna, das ich inszeniere. Es geht um Suizid und häusliche Gewalt. Ich möchte einfach nicht, dass jemand ungewollt mit einem Thema konfrontiert wird, das ihm zu viel ist. Ich kenne genug Menschen, von denen ich weiss, auf gewisse Themen wären sie zu wenig vorbereitet. Darum finde ich es total legitim, offensiv Triggerwarnungen zu machen.

Manche sind gleich an der Decke, wenn sie nur schon das Wort lesen.

Millius: Ja, ich musste mich auch schon rechtfertigen. Aber hey, wenn dich eine Triggerwarnung nicht betrifft, kann sie dir ja so was von egal sein. Und sonst machen wir halt eine Triggerwarnung, dass es eine Triggerwarnung hat (lacht).

Im Frühling werden Sie Kulturverantwortlicher von Leuk. Immer wenn ich dort bin, fällt mir auf: Es ist schön, aber auch sehr tot.

Daniel Blatter: Das kann ich bestätigen. Als ich das letzte Mal da Kaffee getrunken habe, kam ich mir vor wie in einer Geisterstadt.

Millius: Tot ist Leuk sicher nicht! Natürlich ist es nicht vergleichbar mit Visp, Brig oder Zermatt. Aber es hat eine grosse Tradition in Kulturveranstaltungen: Im Schloss stellen internationale bildende Künstler:innen aus, es gibt den Spycher-Literaturpreis, der ebenfalls international orientiert ist, Chorkonzerte, Operetten, Ländler, Elektro …

Gibt es etwas, das Sie in Leuk gern veranstalten würden?

Millius: Ich möchte die Sparten Spoken Word, Poetry Slam und Kabarett stärken. Wir haben uns ja schon darüber beklagt, dass es im Oberwallis keine Slam-Poetry-Szene gibt.

Leuk ist nahe an der Sprachgrenze. Gibt es im Wallis eigentlich einen Röstigraben?

Millius: Ja, massiv. Viele Oberwalliser fühlen sich von der Verwaltung in Sitten nicht so verstanden – obwohl man eine deutschsprachige Person verlangen kann, wenn man da anruft. Es gibt auch immer wieder mal Ideen, aus dem Oberwallis einen eigenen Kanton zu machen. Aber ich glaube nicht, dass es uns ohne das Unterwallis besser ginge.

Blatter: Bei den Abstimmungsresultaten sicher nicht.

Möchten Sie auch zweisprachig veranstalten?

Millius: Das wäre natürlich die Königsdisziplin. Ich fände es cool, mit Unterwalliser Veranstalter:innen Tandems zu machen, etwa einen Abend mit drei deutsch- und drei französischsprachigen Performer:innen, den wir dann auch nach Siders oder Sitten bringen.

Blatter: Ich finde es gar nicht nötig, dass man immer versucht, Ober- und Unterwallis zu verbinden. Es fruchtet einfach nicht.

Millius: Man muss das ja nicht bei jedem Anlass machen, aber es ist doch sinnvoll, die Leute zueinander zu bringen.

Der wohl wichtigste Walliser Musikexport stammt zurzeit auch aus dem Unterwallis: KT Gorique.

Blatter: Wer?

Millius: KT Gorique, die Rapperin. 2019 spielte sie im Stockalperhof in Brig vor zwanzig oder dreissig Leuten. Kurz darauf war sie dann aber am Open Air Gampel, seither haben sie die Leute etwas mehr auf dem Radar.

Blatter: Wenn eine Unterwalliser Band hier spielt, verstehe ich einfach die Texte nicht, also was solls …

Millius: Das sehe ich sehr anders.

Blatter: Ich glaube, das müssen wir nach dem Interview fertig diskutieren.

Millius: Man müsste halt eine neue Sprache erfinden.

Blatter: Esperanto.

Millius: Oder Kirchenlatein. Komm, Daniel, wir gehen mal nach Siders an ein Konzert.

Mit Untertiteln?

Millius: Oder einfach an ein Instrumentalkonzert.

Johannes R. Millius (32) und Daniel Blatter (44) sind Walliser Kulturschaffende. Gemeinsam treten sie als «Wort + Totschlag» auf.