Martin Neukom: Das grüne Rad im Apparat

Nr. 4 –

Seine Wahl in die Zürcher Regierung war ein Coup. Was hat der Baudirektor aus dieser Chance gemacht – und wieso kocht der Bauernverband vor Wut?

Regierungsrat Martin Neukom in seinem Büro
«Wenn jeder Angst hat, sich zu bewegen, tut sich auch nichts»: Der grüne Regierungsrat Martin Neukom in seinem Büro über der Limmat.

Der Gang in Martin Neukoms Büro ist kein leichter. Er führt in einem lang gezogenen grauen Klotz unweit vom Limmatufer über Steintreppen und dunkle Flure, vorbei an schweren Holztüren. Als wolle das Gebäude die Bürde des Amts und die Schwere des Verwaltungsapparats betonen. Im Büro selbst ändert sich die Atmosphäre schlagartig. Das viele Licht, das über die Fensterfront hereinbricht, ist ein Grund, die gute Laune des Zürcher Baudirektors der andere.

Die Fröhlichkeit mag überraschen, denn in zweieinhalb Wochen muss sich der grüne Regierungsrat erneut zur Wahl stellen. Die bisherigen Umfragen deuten zwar auf einen Erfolg hin, aber Neukom weiss aus eigener Erfahrung, dass Umfragen trügen können. Vor vier Jahren stieg der Winterthurer als erst 32-jähriger Nobody praktisch chancenlos ins Rennen. Doch dann spülte ihn die Wucht der Klimabewegung und -debatte in die Zürcher Regierung. Dass er dann auch noch Baudirektor wurde, ist für seine gute Laune massgeblich.

Rückenwind aus dem Parlament

Vor seiner politischen Karriere hat der Ingenieur zu solaren Energiesystemen geforscht. Er sei ein «erkenntnisgetriebener Mensch», beschreibt Neukom sich selbst. Für die bürgerlichen Medien ist er wegen seines naturwissenschaftlichen Backgrounds ein «Nerd» – man könnte es auch positiver formulieren, wenn einer mit Zuständigkeitsbereichen wie Strassenbau, Gewässerschutz oder Energieversorgung nicht als technischer Laie völlig dem Urteil der Expert:innen ausgeliefert ist. Neukom sagt, er schätze den Austausch mit den Fachleuten, man profitiere gegenseitig voneinander – jüngst zum Beispiel im Bereich des Gewässerschutzes.

Dass der grüne Ingenieur ausgerechnet die Baudirektion übernehmen durfte, ist die eine glückliche politische Fügung. Die andere ist, dass er im Zürcher Kantonsrat auf eine ökologische Mehrheit zählen konnte: Grüne, SP, AL, GLP und EVP hatten sich nach der letzten Wahl zur erstaunlich gut funktionierenden sogenannten Klima- und Fortschrittsallianz zusammengeschlossen (vgl. «Zürich wackelt»).

«Diese parlamentarische Mehrheit war entscheidend, ohne sie hätte ich bei vielen Vorlagen mehr Abstriche und Kompromisse machen müssen», sagt Neukom und verweist aufs Energiegesetz, das wohl wichtigste Geschäft seiner Amtszeit. Es erhielt im November 2021 an der Urne über sechzig Prozent der Stimmen. Öl- und Gasheizungen sind seither bei Neubauten nicht mehr erlaubt, alte fossile Heizungen müssen durch klimaneutrale ersetzt werden, der Kanton leistet dafür Förderbeiträge. «Ein Kantersieg für den Klimaminister», kommentierte der ­«Tages-Anzeiger». Neukom verweist auch auf Erfolge bei der Umsetzung: «Von der Stadt Zürich habe ich eben erst die Infos erhalten, dass seit Inkrafttreten der Gesetzesänderung 95 Prozent der ersetzten Heizungen Wärmepumpen und Fernwärmeanschlüsse waren. Das ist bemerkenswert».

Den grössten Handlungsspielraum sieht Neukom aber nicht bei Brocken wie dem Energiegesetz, wo er neben dem Gesamtregierungsrat und dem Parlament «nur ein Rädchen in einem grossen Apparat» sei. Direkten Einfluss könne er bei der Beschaffung nehmen: «Wir machen ja den ganzen Strassenunterhalt, wofür schwere Fahrzeuge nötig sind». Anders als bei Autos gebe es da noch kaum elektrische Alternativen von der Stange. «Ich finde, da ist es durchaus die Rolle des Staates, einen höheren Preis für neue schwere Elektrofahrzeuge zu zahlen, um deren Entwicklung zu pushen», sagt Neukom.

Per Du zur Fehlerkultur

Von einem grossen Apparat könnte man auch sprechen, wenn man sich Martin Neukoms Baudirektion anschaut: Gut 1900 Mitarbeiter:innen an rund siebzig verschiedenen Standorten sind das. Da eine neue Kultur zu etablieren, sei gar nicht so einfach, sagt Neukom. Ihm gehe es dabei vor allem darum, «an einer Fehlerkultur» zu arbeiten. «Wenn jeder Angst hat, sich zu bewegen, tut sich auch nichts. Man muss auch mal Fehler machen können.» Etwas weniger abstrakte Neuerungen: Auch auf höherer Kaderstufe sind jetzt Teilzeitpensen möglich, und alle sind seit kurzem per Du.

Auf den angestrebten Kulturwandel angesprochen, schildern mehrere Personen aus der Baudirektion praktisch identische Erfahrungen: Es werde zwar viel gefordert, aber das in einem unterstützenden und konstruktiven Umfeld, wozu auch die Du-Kultur beitrage.

Neukom setzt zu einem Lob auf seinen Amtsvorgänger Markus Kägi von der SVP an. Sein Einstieg ins Amt sei auch deshalb erstaunlich «smooth» verlaufen, weil er auf ein Umfeld getroffen sei, in dem ein sehr guter Umgang untereinander geherrscht habe. Politisch gesehen sind jedoch die Differenzen zwischen den beiden weitaus grösser als die Gemeinsamkeiten. Das zeigt sich exemplarisch am bereits erwähnten Gewässerschutz. Alle vier Jahre erscheint dazu ein Bericht, und die Befunde darin sind schon länger sehr bedenklich: Den Gewässern im Kanton Zürich geht es nicht gut.

Während Kägi zum letzten Bericht keine Stellung nahm, findet Neukom im aktuellen Vorwort deutliche Worte: «Es braucht mehr natürliche und naturnahe Gewässer dank Revitalisierungen und mehr Schutz vor Schadstoffeinträgen aus dem Abwasser, dem Siedlungsgebiet und der Landwirtschaft.» Mit Verweis auf Klimaschutz und Biodiversität will Neukoms Baudirektion deshalb auf 1300 Hektaren die Wiedervernässung von Mooren vorantreiben – ein Vorhaben, das viele Bäuer:innen und insbesondere den Zürcher Bauernverband zur Weissglut treibt, weil das nur auf Kosten von landwirtschaftlich genutzten Flächen geht. Es sei ihm bisher nicht gelungen, hier einen konstruktiven Dialog zu etablieren, gibt Neukom zu.

Und was ist mit der Axpo?

Hört man sich im links-grünen Lager um, erkennen von SP-Vertreter:innen über Umweltverbände bis hin zu Klimastreikenden alle an, dass Neukom im begrenzten Rahmen seines Amtes klimapolitisch viel herausgeholt habe. Entsprechend hoch sind aber auch die Erwartungen an eine mögliche zweite Amtszeit; denn es gibt noch viel zu tun, etwa bezüglich Solaranlagen auf bestehenden Dachflächen oder bei der Dekarbonisierung des Stromkonzerns Axpo. Dessen grösster Miteigentümer ist der Kanton Zürich – dafür wirkte er bisher erstaunlich passiv.