Diplomatie Chinas: Allseitiges Zögern

Nr. 9 –

Die chinesische Regierung äussert sich zum Krieg Russlands gegen die Ukraine – und zeigt beispielhaft, warum es keine Verhandlungen um eine Waffenruhe gibt.

Letzte Woche liess eine Stellungnahme von China zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine aufhorchen: Die Regierung in Peking veröffentlichte ein Zwölf-Punkte-Dokument mit der «Position Chinas zur politischen Lösung der Ukrainekrise». Über allgemeine und unterschiedslos an beide Kriegsparteien gerichtete Appelle zur Deeskalation und für einen Waffenstillstand hinaus enthält das Dokument allerdings keine konkreten Ansatzpunkte und Vorschläge für Verhandlungen.

Dabei könnte die chinesische Regierung unter Xi Jinping am stärksten auf Moskau Einfluss nehmen, wenn sie ihre längerfristigen Eigeninteressen in den Vordergrund stellen würde: Wieder funktionierende internationale Handelslieferketten sowie der Erhalt der wichtigsten Absatzmärkte für chinesische Produkte in Nordamerika und Europa sind für den Exportvizeweltmeister viel wichtiger als ein engeres Bündnis mit Russland als Juniorpartner.

Der grausame Krieg gegen die Ukraine fordert täglich Menschenleben, führt zu weiteren Zerstörungen und bringt Eskalationsrisiken bis zum Einsatz von Atomwaffen mit sich. Eine Waffenruhe und nachfolgende Verhandlungen über politische Lösungen für zumindest einige der Konfliktpunkte zwischen Moskau und Kyjiw wären deshalb dringend. Doch die wird es erst geben, wenn andere Akteure ihre internationalen Einfluss- und Druckmöglichkeiten wahrnehmen.

Im Fall des Aggressors Russland wären das neben China die grossen, bevölkerungsreichen Länder des Globalen Südens – darunter Indien, Brasilien, Ägypten, Südafrika und Indonesien –, die besonders von den verschärften Ernährungs- und Energiepreiskrisen sowie weiteren negativen Auswirkungen des Krieges betroffen sind. Nur schon aus ihrer eigenen Betroffenheit heraus wäre es höchste Zeit, dass sich die Regierungschefs dieser Staaten gemeinsam mit Uno-Generalsekretär António Guterres nach Moskau begeben und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin klarmachen, dass er diesen Krieg so schnell wie möglich beenden muss.

Doch bislang gibt es nicht das geringste öffentlich wahrnehmbare Anzeichen dafür, dass sie ihre Einflussmöglichkeiten nutzen würden. Die Regierungen Brasiliens und Indiens haben beim Besuch des deutschen Bundeskanzlers ihre «neutrale» Position zum Krieg in Europa sehr deutlich gemacht und erklärten lediglich ihre grundsätzliche Bereitschaft zur «Vermittlung» zwischen Russland und der Ukraine.

Die Nato, US-Präsident Joe Biden und andere westliche Regierungschefs bekräftigten derweil anlässlich des Jahrestags des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar, die Ukraine werde «alle Waffen erhalten, die sie benötigt». Die Regierung von Wolodimir Selenski verlangt vom Westen weiterhin alle denkbaren Rüstungsgüter – Kampfflugzeuge, Langstreckenraketen, Kriegsschiffe und noch viel mehr Panzer – zur Rückeroberung des gesamten Donbas wie auch der von Russland annektierten Krim.

Zudem besteht Selenski auf dem schnellen Beitritt der Ukraine zur Nato, das westliche Militärbündnis hat einen solchen allerdings auf die lange Bank geschoben. Direkte Gespräche mit Putin schliesst Selenski derzeit aus und will erst nach einem «kompletten Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine» verhandeln.

Für Verhandlungen und einen Waffenstillstand wäre die Regierung in Kyjiw wohl erst zu gewinnen, wenn sich ihre westlichen Unterstützerstaaten auf ein Kriegsziel für die ukrainischen Streitkräfte und die dafür erforderlichen Waffen einigen würden. Denkbar wäre beispielsweise ein militärisches Erschöpfungspatt, das zu einer Waffenruhe führt und die beiderseits verlustreichen Stellungs- und Abnutzungsschlachten, wie sie bereits seit Monaten in Bachmut stattfinden, beenden würde. Ob es hingegen gelingt, Putins Invasionstruppen hinter die Linien vom 24. Februar 2022 zurückzudrängen, wie das Selenski beabsichtigt und was völkerrechtlich auch völlig legitim wäre, oder gar die Krim zurückzuerobern, ist angesichts der russischen Manpower und Waffensysteme militärisch zumindest fraglich.

Das Regime von Wladimir Putin, das den Krieg jederzeit von sich aus beenden könnte, ist seinerseits nur zu Verhandlungen bereit, wenn die Ukraine zuvor die Eingliederung ihrer Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson in Russland akzeptiert. Das erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag dieser Woche.

So bleibt nur zu hoffen, dass trotz dieser unversöhnlichen öffentlichen Positionen hinter den Kulissen längst Gespräche und Verhandlungsinitiativen stattfinden, deren weitere Geheimhaltung eine wesentliche Voraussetzung für ihren Erfolg ist. Auch vergangene Kriege – in Vietnam, im Irak, Iran oder beim Zerfall Jugoslawiens – mit zunächst ähnlich unversöhnlichen Positionen der Beteiligten wurden schliesslich durch Verhandlungen beendet.